Einkreisungsängste in Riad
Mit Pakistan, Ägypten und der Türkei versucht Saudi-Arabien eine sunnitische Allianz gegen Iran aufzubauen. Probelauf ist die Allianz gegen die jemenitischen Houthi-Rebellen
Im saudischen Königshaus hat man sich schon seit Monaten auf eine Einigung in den Atomverhandlungen zwischen den westlichen Mächten und dem Iran vorbereitet - und hinter den Kulisse an einer Achse zur Eindämmung des Rivalen gearbeitet. Doch die Allianz mehrheitlich sunnitischer Staaten droht nicht nur den Jemen in einen offenen Bürgerkrieg zu stürzen, sondern auch die konfessionelle Polarisierung der Region noch weiter zu verschärfen.
Aus der Perspektive des saudischen Königshauses war die Machtübernahme der Houthi-Rebellen im Jemen nur die Spitze des Eisbergs. Schon seit geraumer Zeit sieht sich das saudische Königshaus von wachsendem iranischen Einfluss umzingelt. Im nördlichen Nachbarland Irak unterhält die schiitisch dominierte Regierung trotz der Kooperation mit der internationalen Koalition gegen IS auch gute Beziehungen nach Teheran. Einheiten der iranischen Revolutionären Garden kämpfen dort aufseiten der schiitisch dominierten irakischen Armee gegen die Milizen des IS (Irak: "Erst Tikrit, dann Mosul und Falludscha") - und werden dadurch indirekt zu Verbündeten des Westens.
Aus saudischer Perspektive ist dabei keinesfalls gegeben, wer von beiden das kleinere Übel ist. Selbst wenn die Dschihadisten auch die Monarchien am Golf auf ihrer Feindesliste führen, scheint der wachsende Einfluss des Irans die Herrscher in Riad stärker zu verunsichern als die visuell aufbereiteten Blutorgien des IS.
Befürchtungen in Riad
Auch in Syrien kämpfen iranische Einheiten Seite an Seite mit der Hisbollah, um das Regime Bashar Al-Assads zumindest in einem Rumpfstaat im syrischen Kernland aufrecht zu erhalten. Der Sturz Al-Assads gilt jedoch auch nach 4 Jahren Bürgerkrieg und geschätzten 220.000 Toten nach wie vor als außenpolitische Doktrin in Riad. Im Libanon wiederum ist die mit dem Iran alliierte Hisbollah spätestens dem Jahr 2006 die stärkste militärische Kraft im Land. Um dem entgegenzutreten, hat die saudische Regierung zusammen mit Frankreich beschlossen, Waffenlieferungen an die libanesische Armee aufzunehmen.
Der Einfluss Irans reicht aus Perspektive Riads sogar in die Staaten des Golfkooperationsrates (GCC) hinein. Im kleinen Inselstaat Bahrain vor der saudischen Golfküste protestierten im Frühling 2011 vor allem schiitische Oppositionsgruppen gegen das sunnitische Königshaus und für eine stärkere Machtverteilung zugunsten der schiitischen Bevölkerungsmehrheit. Das bahrainische Königshaus ließ nach wenigen Wochen den Ausnahmezustand ausrufen, die Proteste wurden mithilfe saudischer und emiratischer Truppen niedergeschlagen. Doch sie blieben nicht ohne Widerhall in Saudi-Arabien selbst, wo zur gleichen Zeit in der mehrheitlich von Schiiten bewohnten Ostprovinz Demonstranten auf die Straße gingen und Reformen forderten.
Angst vor Solidarisierungen der Schiiten im eigenen Land
Die Angst vor einer möglichen Solidarisierung der schiitischen Bevölkerung im eigenen Lande mit schiitischen Bewegungen in den Nachbarländern gilt als eine der größten Ängste des saudischen Königshauses. Als im November letzten Jahres die Miliz Ansar Allah (auch bekannt als Houthi-Rebellen) die jemenitische Hauptstadt Sanaa eroberten, dürften in Riad die Alarmglocken geklungen haben. Die Houthi-Rebellen gehören der Minderheit der schiitischen Zaidis an, deren Siedlungsgebiet im Nordjemen liegt und die ungefähr ein Drittel der Gesamtbevölkerung ausmachen.
Auch wenn die Houthis vorgeben, vor allem für die Gleichberechtigung der zaidischen Stämme einzutreten, erklären sie ihre Solidarität mit dem Iran und haben dessen anti-amerikanische und anti-israelische Slogans übernommen. Kurz nach der Einnahme Sanaas wurden die ersten Direktflüge zwischen Sanaa und Teheran aufgenommen.
Während Angehörige des ideologischen Establishments der islamischen Republik sich damit brüsten, dass der iranische Einfluss nun vom Jemen bis zum Mittelmeer reicht, verlagerten die Golfstaaten ihre Botschaften panisch von Sanaa ins südjemenitische Aden. Als die Houthi-Rebellen vor einigen Tagen auch Aden eroberten, evakuierten die Golfstaaten und die meisten westlichen Länder ihr Botschaftspersonal gänzlich aus dem Land.
Die USA - mittlerweile ein unsicherer Kantonist aus Sicht des saudischen Königshauses
Brookings-Institution-Kolumnist Bruce Riedel schreibt auf Al-Monitor, dass sich das saudische Königshaus das letzte Mal derart bedroht fühlte, nachdem Saddam Husseins 1990 Kuwait erobern ließ und ein Angriff auf Saudi-Arabien nicht unwahrscheinlich schien. Das jemenitische Regime unter dem 2012 zurückgetretenen Präsidenten Abdullah Saleh stellte sich damals auf die Seite Saddam Husseins.
Im Gegensatz zu damals scheint sich das saudische Königshaus jedoch heute seiner traditionellen Schutzmacht, den USA, nicht mehr im gleichen Maße gewiss zu sein (vgl. USA verheddern sich zunehmend im Nahen Osten). Das Bemühen der Obama-Administration einen Atomdeal mit dem Iran abzuschließen, dürfte in Riad schon seit Jahren Kopfzerbrechen bereitet - und das Land motiviert haben, eine Allianz gegen den Iran zu schmieden, die im Zweifelsfalle auch ohne direkte amerikanische Unterstützung auskommt.
Militärische Kooperation mit Pakistan
In den strategischen Planungen des Königshauses kommt Pakistan die wichtigste Rolle zu. Zwischen den beiden Ländern besteht seit Jahrzehnten eine rege Kooperation, vor allem im militärischen Bereich. Erst im Jahr 2013 ließ Saudi-Arabien 1,5 Milliarden Dollar in gemeinsame Sicherheitsprojekte mit Pakistan fließen. Das östliche Nachbarland des Irans ist zudem Atommacht - und verfügt über das am schnellsten wachsende Arsenal der Welt. Beobachter vermuten, dass auch saudisches Geld das pakistanische Atomwaffen-Programm mitfinanziert hat. Zudem wird vermutet, dass im Falle einer iranischen Nuklearisierung auch der saudische Schritt zur Bombe nur noch ein minimaler sein wird: Das Königreich würde die Bombe einfach von Pakistan kaufen.
Ende Februar landete der pakistanische Premierminister Nawaz Sharif in der saudischen Hauptstadt Riad, wo er von König Salman noch am Flughafen abgeholt wurde. Bei den Gesprächen zwischen den beiden soll es vor allem um den Iran gegangen sein. Pakistan ist das einzige nicht-arabische Land, welches seine Teilnahme an der Allianz gegen die jemenitischen Houthis ankündigt hat, auch wenn das Maß der pakistanischen Teilnahme an der Koalition zum jetzigen Zeitpunkt noch unklar ist. Der pakistanische Verteidigungsminister Khawaja Asif war zu diesem Zwecke mit hohen Militärs am 30. März zu Besuch in Riad.
Auch in Pakistan ist der saudische Einfluss umstritten
In Pakistan selbst ist die Teilnahme an der Koalition gegen die Houthis jedoch stark umstritten. Premierminister Nawaz Sharif, der einige Jahre im saudischen Exil verbracht hat, betont zwar die Verpflichtung, die Pakistan für die Sicherheit des "heiligen Landes" empfinde, doch es gibt auch andere Stimmen.
Der Vorsitzende des außenpolitischen Kommittees Mushahid Hussain Syed nennt eine Teilnahme "eine Dummheit höchsten Ranges", da es sich im Jemen nicht nur um einen Bürgerkrieg, sondern auch um einen regionalen Stellvertreterkrieg handele:
Es würde unseren eigenen nationalen Interessen sogar schaden, da es uns von unserer Kampagne gegen Terrorismus und Extremismus im eigenen Lande ablenken würde.
Auch innerhalb der pakistanischen Gesellschaft scheint große Skepsis zu bestehen, im saudisch-iranischen Hegemonialkonflikt Partei zu ergreifen, umso mehr, da dieser Konflikt die konfessionelle Spaltung der muslimischen Welt noch zu verstärken droht. Auch in Pakistan gibt es eine schiitische Bevölkerungsminderheit, und in den vergangenen 10 Jahren sind Anschläge sunnitischer Fundamentalisten auf schiitische Moscheen deutlich angestiegen. Zudem stehen beträchtliche Teile der pakistanischen Gesellschaft dem saudischen Einfluss in Pakistan kritisch gegenüber. Der Vorwurf, saudisches Geld fließe in Stiftungen und Koranschulen, in denen ein radikaler, wahabitischer Islam saudischen Vorbilds gepredigt wird, ist auch in Pakistan weit verbreitet.
Ägypten bleibt finanziell von Riad abhängig
Der zweite große Partner in der von Riad geschmiedeten Allianz gegen den Iran ist Ägypten. In Präsident Al-Sisi scheint das Königreich einen verlässlichen Partner zu haben - allein schon deswegen, weil die ägyptische Staatskasse nach wie vor auf Finanzspritzen aus dem Golf angewiesen ist. Erst auf der Investorenkonferenz, die der ägyptische Staat Mitte März in Sharm-al-Sheikh veranstalten ließ, wurden weitere 12 Millarden an Investitionen und Direkthilfen seitens der Golfstaaten bewilligt.
In den ägyptischen Medien wurden die Teilnahme an der Koalition und die Mobilisierung von 5 Kriegsschiffen und 40.000 Soldaten vor allem damit begründet, dass die Houthis auch für Ägypten strategische wichtige Interessen bedrohen könnten. Gemeint ist die Meerenge Bab-al-Mandab, die den südlichen Zugang zum Roten Meer bildet. An dessen nördlichem Ende liegt der Suez-Kanal, über den Ägypten einen beträchtlichen Teil seiner Staatseinnahmen bezieht.
Manche in Ägyptens Staatsapparat halten diese Gefahr für übertrieben. "Keiner ist in der Lage die Meerenge zu blockieren oder die internationalen Konsequenzen abzuwehren, die mit einem solchen Schritt verbunden wären", sagt der ehemalige Vize-Außenminister Hussein Haridi. Für Politikwissenschaftler Amr Abdel Rahman ist die ägyptische Beteiligung vor allem ein Indiz für die Abhängigkeit des Landes von den Golftstaaten:
Wenn unsere Außenpolitik nicht so sehr von den Golfstaaten abhängig wäre, hätten wir zunächst an einer vernünftigen diplomatischen Lösung mit dem Iran arbeiten und uns die militärische Option immer noch offen halten können. Doch die vorschnelle Bereitschaft zur Teilnahme wird Ägypten in Zukunft nur noch stärker dem Willen des saudischen Königshauses unterwerfen.
Erdogan bricht mit einer alten türkischen Tradition
Das saudische Königshaus scheint auch einigen Erfolg darin gehabt zu haben, Länder in seine sunnitische Allianz einzureihen, welche bisher weitestgehend stabile Beziehungen mit dem Iran hatten. Anfang März folgte auch der türkische Präsident Erdogan der Einladung König Salmans und kam nach Riad. Zwar hat die Türkei bisher keine militärische Teilnahme an der Koalition gegen die Houthis zugesagt, doch hat Präsident Erdogan in den letzten Tagen seine Rhetorik gegenüber dem Iran verschärft.
Dabei scheint der unter Beschuss stehende AKP-Chef mit einer weit zurück reichenden türkischen Tradition zu brechen. Der letzte Konflikt zwischen der Türkei und dem Iran ist lange her. Genaugenommen handelte es sich um einen Grenzkonflikt zwischen dem osmanischen und dem persischen Reich im Jahr 1639. Zum jetzigen Zeitpunkt ist allerdings noch unklar, inwieweit der saudische Versuch, die Türkei und Ägypten in seine sunnitische Allianz zu integrieren, Früchte tragen wird. Seit der Machtübernahme des ägyptischen Militärs im Sommer 2013 stehen sich die Regierungen beider Länder unversöhnlich gegenüber. Die Regierung Erdogans gilt als bedeutendster Unterstützer der ägyptischen Muslimbrüder, während die Regierung Al-Sisis diese als Staatsfeinde betrachtet.
Auch in der Türkei blieb die klare Parteinahme des Staatspräsidenten nicht ohne kritische Reaktionen. Hikmet Cetin, zwischen 1991-1994 türkischer Außenminister, warnte davor, dass die Türkei durch die Teilnahme an der sunnitischen Allianz der Saudis das Risiko laufe, auch im Inneren in den Strudel konfessioneller Konflikte gezogen zu werden. Eine bedeutende Minderheit der türkischen Bevölkerung gehört dem alevitischen Glauben an, welcher der schiitischen Glaubensströmung nahe ist.
Unter türkischen politischen Kommentatoren rief die klare Parteinahme Erdogans zugunsten Saudi-Arabiens auch noch eine andere Deutung hervor: Im Juni finden Wahlen in der Türkei statt und selten war Erdogan so sehr in der Kritik wie heute, auch in der eigenen Partei. Außerdem ist das Wirtschaftswachstum des Landes gen Null gesunken. Fetim Tastekin von der Istanbuler Zeitung Radikal stellt diesbezüglich die Frage: "War die schnelle Parteinahme Erdogans zugunsten Saudi-Arabiens vielleicht auch von der Aussicht auf schnelles Geld und kurzfristige Investitionen aus den Golfstaaten angetrieben?"