"Eitergeschwür"

Guantanamo: Angesichts des Hungerstreiks und möglicher Todesfälle erinnert sich Obama an sein altes Wahlversprechen, das Schluss machen wollte mit der Willkürjustiz

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21 von 100 Häftlingen in Guantanomo, die in Hungerstreik getreten sind, werden von Ärzten zwangsernährt. Dazu wird ihnen ein Schlauch durch die Nase zum Magen gelegt - ein brachiales Vorgehen. Die Maßnahme ist auch unter Ärzten umstritten. In Guantanamo kommt hinzu, dass die Zwangsernährung an Personen durchgeführt wird, die aus Verzweiflung über ihre Haft in den Hungerstreik getreten sind. Nicht wenige sind darunter, die längst freigelassen werden hätten sollen, ganz davon abgesehen, ob sie jemals, wenn Gerechtigkeit denn ein Maßstab ist, im berüchtigten Gefangenenlager hinter Schloss und Riegel hätten gesetzt werden dürfen.

In Guantanamo befinden sich noch 166 Gefangene. Darunter sind 86, von denen es heißt, dass sie zur Freilassung oder einer Überführung freigegeben wurden. Unter denen, die gerade zwangsernährt werden, sind einige, die eigentlich nicht mehr in Guantanamo sein sollten.

Dies wirft ein neues Licht auf das Schicksal derjenigen, die von US-Behörden als Personen klassifiziert wurden, die "cleared for transfer or release" sind. Weil 56 der 86 "bereinigten Insassen" aus dem Jemen stammen, blieb die "Cleared"-Erklärung der US-Behörden für sie folgenlos. Begründet wird dies auf amerikanischer Seite mit der Befürchtung, dass sie im Jemen Verbindungen zu Terrorgruppen aufnehmen und Anschläge gegen die USA planen könnten.

Laut Reuters hat die jemenitische Regierung bekräftigt, dass man die Gefangenen im Land haben will und man auch dabei sei, eine Gefängniseinrichtung zu bauen, die Rehabilitation ermögliche. Damit wäre einem Problem entgegnet, das in den USA wiederholt in die Öffentlichkeit gebracht wurde, als es darum ging, Obamas Wahlversprechen von der Auflösung des Gefangenenlagers umzusetzen: die Frage "Wohin mit den Gefangenen?" (vgl. Das Pentagon und die angebliche "Rückfälligkeit" der aus Guantanamo Freigelassenen)

Doch wird im Fall der 56 jemenitischen Guantanamohäftlingen die politisch labile Situation im Jemen und der Verweis auf dortige al-Qaida-Aktivitäten vorgebracht, um sie in der US-Festung auf Kuba zu lassen. Diese Einstellung gilt im Grunde schon seit 2010 (Guantanamo-Häftlinge sollen weiterhin unbegrenzt festgehalten werden). Jetzt angesichts der Hungerstreiks wird die Frage nach der Zukunft der Häftlinge neu gestellt. Obama erinnerte sich vorgestern öffentlich an sein altes Wahlversprechen und erneuerte es.

The idea that we would still maintain forever a group of individuals who have not been tried, that is contrary to who we are. It is contrary to our interests and needs to stop.(...) I am going back it because I think it is important.

Er wolle nicht, dass die Hungerstreikenden sterben und er wolle, dass sein Team nochmals alles überprüfe, was man in Guantanamo machen könne. Das Problem, das schon lange schwele, werde nicht besser, sondern schlimmer, es entwickle sich zum "Eitergeschwür", so der US-Präsident, der versprach, sich neu mit dem Kongress zusammenzutun.

Ist der politische Wille jetzt da?

Dafür habe er schon längst Gelegenheit gehabt, sie aber nie mit dem dafür erforderlichen politischen Willen genutzt, werfen ihm Kritiker vor. Obama habe seine Untätigkeit hinter den angeblich strengen Vorgaben des Kongresses verborgen.

Ob Obama die Willkürjustiz von Guantanomo nun mit einem neuen Anlauf beendet, wird eher skeptisch beurteilt. Bislang gelte das Gesetz: "Je weniger man gemacht hat, desto mehr sitzt man in der Falle", kommentiert etwa der New Yorker, der wenig Hoffnung auf eine Veränderung des Status quo erkennt, sondern eher schlechte Aussichten:

Eines Tages werden Gefangene sterben und wir müssen dann erklären, warum wir länger dafür gebraucht haben, herauszufinden, warum wir sie gefangen halten, als die sie brauchten, um ihr Leben aufzugeben.

Der aktuelle Hungerstreik in Guantanamo begann Anfang März. Auslöser war hartes Vorgehen der Gängniswärter, die im Laufe der Auseinandersetzungen mit Insassen des Camp 6 auch mit Plastikkugeln auf Häftlinge schossen.