El Salvador: Chronologie des Chaos

Seite 2: Auch der Bitcoin hilft nicht

Doch warum überhaupt Krieg gegen die Gangs ausrufen? Weshalb gerade jetzt? Im März waren es 87 Opfer, zuvor konnte die Gewalt jedoch eingedämmt werden.

Eine genaue Rekonstruktion wird wohl erst mit weiterer investigativer Recherche möglich sein. Verhandlungen mit Kriminellen sind eben ein Spiel mit dem Feuer. Es lohnt der Blick zurück. Denn die eiserne Faust, mit der Nayib Bukele zurzeit regiert, war in der Vergangenheit nicht sein Ansatz.

Ganz im Gegenteil: Als der jüngste Präsident Lateinamerikas Bürgermeister der Hauptstadt San Salvador war – damals mit 34 Jahren –, setzte er auf Präventionsmaßnahmen im Umgang mit den Gangs. Militärinterventionen und Polizeieinsätze waren nicht Teil seines Vorgehens.

Damals gehörte Bukele der linken FMLN-Partei ein, hervorgegangen aus ehemaligen Guerilla-Kämpfern. Die FMLN lieferte sich jahrzehntelang einen politischen Zweikampf mit der rechten ARENA-Partei. Keine der beiden Parteien schaffte es, das Land auch nur ansatzweise zu befrieden. Gute Chancen für eine Figur wie Bukele, der Veränderung verspricht. Mit Kriminellen Deals abwickeln, die ihre Versprechungen als nicht eingelöst sehen und dann wieder munter morden, manövriert ihn nun in eine Zwickmühlen-Situation; denn das Image des starken Mannes will um jeden Preis aufrechterhalten werden.

Für die globale Imagepolitur gibt es immer noch das Bitcoin-Thema. El Salvador, das als erstes Land weltweit die Kryptowährung als gesetzlich anerkanntes Zahlungsmittel einführte, hat eine erstaunlich indifferente Meinung zum Bitcoin: Eine kürzlich erschienene Umfrage bescheinigt, dass rund 65 Prozent der Einwohnerinnen und Einwohner die Einführung der Alternativwährung als "Versagen" sehen, nur knapp 15 Prozent sehen es als Erfolg.

Über 75 Prozent der Befragten haben Bitcoin in 2022 nicht ein einziges Mal benutzt. Das wundert nicht, denn etwa die Hälfte der Bevölkerung hat keinen Internetzugang – eine Grundvoraussetzung, um mit Bitcoin zu bezahlen. Dazu kommt, dass sich El Salvador kurz vor dem Bankrott befindet, die Staatsverschuldung ist extrem hoch; die digitalen Münzen helfen hier auch nicht.

15 Jahre Knast für Kriminalberichterstattung

In über drei Jahren Bukele-Herrschaft hat sich die Lage für Medienschaffende und Menschenrechtsverteidiger deutlich verschlechtert. Den vielleicht deutlichsten Ausdruck der Repression zivilgesellschaftlicher Organisationen spiegelt sich im "Gesetz über ausländische Agenten" wider, abgekürzt auch als "Agentengesetz" bekannt.

Am 16. November 2021 legte ein Ausschuss im Parlament einen Entwurf vor, der politische Aktivitäten untersagt, welche "darauf abzielen, die öffentliche Ordnung zu stören, oder die nationale Sicherheit und die soziale und politische Stabilität des Landes gefährden oder bedrohen."

Die Finanzierung von NGOs durch ausländische Geldgeber würde durch so ein Gesetz maßgeblich erschwert werden. Durch heftigen Widerstand, national wie international, wurde das Vorhaben gestoppt – vorläufig. Das Vorgehen erinnert an Nicaragua, wo Diktator Ortega nach der Ausschaltung der freien Presse und der Opposition auch die zivilgesellschaftlichen Akteure ins Visier genommen hat und massiv einschränkt.

Der Berichterstattung wird in El Salvador ebenso ein Maulkorb verpasst. Ein unklar formuliertes Gesetz, das durchkam, sieht 15 Jahre Gefängnis vor – und zwar für alle, die "Nachrichten oder Erklärungen wiedergeben oder weiterleiten, die von Banden stammen oder vermutlich stammen", sofern diese Meldungen "Angst und Panik erzeugen könnten". Darüber hinaus wurde bekannt, dass Journalisten mit der Spyware Pegasus ausgespäht wurden.

Der Fall El Salvador zeigt die gefährliche Situation, in die sich korrupte Regierungen in Lateinamerika über Jahre und Jahrzehnte hineinmanövriert haben. Wie ein Krebs haben sich kriminelle Gruppen in Politik, Justiz, der ganzen Gesellschaft eingenistet und dort Metastasen gebildet. Eine Politik der "harten Hand", wie sie Bukele in El Salvador betreibt, oder eine Strategie der "Umarmungen statt Kugeln", wie sie Mexikos Staatschef verfolgt – keine Strategie scheint zu funktionieren. Die Macht der organisierten Kriminalität scheint zu groß geworden zu sein.