Embedded carnevalists?

Das private Fotohandy auf dem närrischen Vormarsch legt sich mit den großen Kameras des öffentlich-rechtlichen Fernsehens an

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Auch im Kölner Karneval ist der fotografierende Narr längst keine Ausnahme mehr. Der veedels-verbundene Karnevalist hat sich über den Imi (einen Original Kölner imitierenden Imigranten) und den Touristen der "Tollen Tage" hinaus zum Mediennarren gewandelt. Der konsumiert längst nicht mehr bloß die privaten oder öffentlich-rechtlichen TV-Sitzungen., sondern schafft sich seine Erlebnisse selbst, inszeniert sich und seinesgleichen fotogen in voller Kostümpracht. Oder er bespitzelt per Kamera und gar aus Eifersucht seinen Partner oder seine Freunde. Und der westdeutsche Rundfunk zu Köln, der die exklusiven Übertragungsrechte des Kölner Rosenmontagszugs besitzt, fühlt sich von Heidi Klum, der prominenten Handyfotografin auf dem Wagen der Roten-Funken-Garde auf und in seiner Domäne bedroht.

Handy Alaaf!

Es begannt alles ganz harmlos: Heidi Klum, das rheinische Top-Model aus Bergisch-Gladbach bei Köln und New York, die Wirtschaftslokomotive von Birkenstock, des Otto-Versands und des Big-Apple-Glamours, beweist einmal mehr Medienkompetenz und strategisches Denken. Als PR-Faktor erweist sie nicht nur als Retter ganzer Branchen, wie dem Online-Handel des Versandhauses, sondern mit eigener Website auch als Bugfigur einer wackeligen Zukunftsmassentechnologie – des Foto-Handys.

Feiert meinen Karneval online mit: Mein Handy liefert live viele Fotos

Ich freue mich: Dieses Jahr kann ich Karneval in Bergisch Gladbach und Köln wieder mitfeiern. Aber es gibt nicht nur Kamelle, sondern noch ein besonderes Bonbon: Mein Foto-Handy wird vom Gladbacher Sonntagszug und vom Kölner Rosenmontagszug jede Menge Bilder schießen und live hier auf meine Website übertragen. Dieter Porzberg von Oevermann Networks, die meine deutsche und englische Internetseite betreuen, macht’s möglich. So seid ihr auf meinem Wagen fast selbst mit dabei!

Los geht es am Sonntag, 6. Februar, um 12.11 Uhr, wenn der Bergisch Gladbacher Sonntagszug startet. Für ihn habe ich mir bei den Forsbacher Jecken einen Wagen ausgeliehen. Über drei Stunden wird er durch meine Heimatstadt rollen und ich bin schon gespannt, wen ich am Zugrand alles entdecke. Schließlich stehen Freunde und Bekannte meistens an den Stammplätzen, an denen sie auch schon damals standen, als ich noch zuhause bei meinen Eltern wohnte.

Toll ist natürlich auch der Kölner Rosenmontagszug. Wenn er am 7. Februar um 11.11 Uhr startet, sind Seal und ich zu Gast auf dem Wagen der Roten Funken – und mein Foto-Handy! Klar, dass ich die Uniform des Ehrenleutnants trage, die ich vor zwei Jahren überreicht bekam. Wie ich mich in Gladbach verkleide? Schaut einfach hier nach, wenn’s soweit ist! Alaaf!

Heidi Klum auf ihrer Website

Das dumme an dieser schönen Foto-Handy-Website-Kommerz-Vision, auf der nur der private Spaß des Top-Models mit der Fruchtgummi-Marke Heidi (Fat Free! HeidiŽs Fruit Flirtations etc.) und ihren Freunden am Rande des Zugwegs abgelichtet werden sollte: Da gibt es noch jemand, der dem Web-Kommerz frönt, jedoch nicht privat, sondern öffentlich-rechtlich: Der westdeutsche Rundfunk Köln hat die exklusiven Rundfunk-Senderechte für den Kölner Rosenmontagszug. Nicht nur für Radio und TV, sondern auch für das Internet, die "dritte Programmsäule" des Mäusesenders, das dieser bekanntlich ebenfalls als Rundfunk auffasst und mitunter wichtiger nimmt als seine eigentlichen Übertragungswege.

Damit zusammenhängend existiert ein Verbot für fremde Kameras und Live-Bild-Übertragung. Egal wie, egal wo. Und diese Regelungen legt der Sender so eng bzw. weit aus, dass ein Narr, der nicht nur passiv ein pittoreskes Bild für den öffentlich-rechtlichen Zuschauer abzugeben bereit ist, sondern der selbst mitmachen und seine eigenen Aufnahmen schießen und versenden kann und will, zur medialen Unperson erklärt wird.

Das Hauptargument der WDR-Rechtsabteilung und mittlerweile auch der Zugleitung, die doch die Klum zunächst freudig an Bord des Narrenschiffs nahm: Da könne ja jeder kommen und auf diese Weise den Deal zwischen den organisierten Kölner Karnevalisten und dem WDR durchlöchern:

Das Supermodel aus Bergisch Gladbach will mit ihrem Verlobten Seal auf dem Wagen der Roten Funken im Rosenmontagszug mitfahren und plante zunächst, rund 40 Bilder per Handy aufzunehmen und live auf ihre Website zu stellen. Das erzürnte den Leiter des Rosenmontagszuges, Alexander von Chiari, der klarstellte: "Das wird niemals möglich sein.” Da der Westdeutsche Rundfunk (WDR) die alleinigen Rechte an der Live-Übertragung habe, könnten die geplanten Klum-Bilder nicht erlaubt werden.

Frankfurter Allgemeine Zeitung

Drei Versuche für den "embedded carnevalist"

Die erste Fassung der Meldung lief denn inhaltlich auf ein totales Foto-Handy-Verbot hinaus – auch für Heidi Klum. Doch wie sollte das bei dem beabsichtigten Jubel und Trubel auf allen Wagen, in den Fußtruppen und am Rande bei den Millionen Zuschauern durchgehalten werden? Nicht einmal George W. Bushs Anti-Terror-Truppe hätte dergleichen hingekriegt.

In einer zweiten Fassung bahnte sich eine Lösung dieses Konfliktes zugunsten einer expansiven Internet-Strategie des WDR an: Ehrenleutnant Heidi Klum wird "embedded carnevalist": Sie bekommt einen zusätzlichen, unbezahlten öffentlich-rechtlichen Job und fotografiert nun offiziell als Webfotografin für den Sender. Allerdings sollten die Bilder "dann aber nicht auf der Homepage des Models erscheinen, sondern auf der Website des WDR, der die alleinigen Rechte an der Live-Übertragung hat".

Damit übernimmt der WDR die Idee der Klum-Factory für seine offizielle Internet-Präsenz und überträgt einmal mehr die Ansprüche seiner Broadcasting-Domäne auf das Netz. Offensive Expansion ist angesagt: Die Klum-Bilder würden somit "live im Internet gezeigt, allerdings auf der Website des WDR".

Der prämediale Urkarnelist (Bild: Triloff)

In einer dritten Variante klingt der ganze Fall etwas versöhnlicher: Der Ehrenleutnant fotografiert für den WDR und seine Homepage. Aber darüber hinaus wird dem Promimodel Heidi Klum nun schlussendlich doch das Recht eingeräumt, "live und parallel zu den WDR-Bildern auch Bilder für ihre eigene Website zu verwerten" (so der WDR-Sprecher Rüdiger Oppers).

Und mit dieser teils privaten, teils kommerzialisierten Ausnahmeregelung soll dann das orthodoxe und expansive Bild- und Übertragungs-Monopol des WDR nicht gefährdet sein? Die Klum, eine WDR-gesponsorte Privatisierungs-Prinzessin des öffentlich-rechtlichen Rundfunks?

"Oh, Heidi, was hast du nur für ein High-Tech dabei?"

"Damit ich euch besser fotografieren kann!!!"

Medialer Karnevalismus

In dieser närrischen Saison ist das Fotohandy besonders bei der jüngeren Generation auf dem massiven Vormarsch. Der prämediale Karnevalist, der sein archaisches Aussehen gerade mal im Schminkraum vorbereitet und ganz nach den alten Stammesgebräuchen richtet, ist fast schon eine aussterbende Gattung. Stattdessen schiebt sich der flexible, medienbewusste Handy-Narr in den Vordergrund, der beiläufig sich und seinesgleichen im heiteren Outfit inszeniert oder die verrückten Gepflogenheiten und rasanten Abenteuer der nicht mehr ganz nüchternen Trinkgesellen dokumentiert. Dabei spielt auch das immer wildere Paarungsverhalten von Langzeitpartnern und Kurzzeitbegegnungen während der Fastnachtszeit eine besondere Rolle.

Mittlerweile zum guten Ruf gehören Vereinbarungen, sich in den tollen Tagen vorübergehend zu trennen, um sich jeweils alleine in den Trubel zu stürzen und in gleichgeschlechtlichen Rudeln auf Flirt-Jagd zu gehen und die Seelen-Treue zum Partner mit Verschwiegenheit über die erotischen Eskapaden der Zwischenzeit zu würzen.

Handycam-Spionage im Kölner Karneval

Doch diese heftigen Strebungen werden durch die Technologie der Kommunikation und der impliziten Kontrolle unterlaufen: durch Handy-Terror, Docu-Pics und Spionage-Attacken. Und hier leistet nun die Handy-Cam vortreffliche Dienste. Wenn auch insbesondere weibliche Karnevalistinnen damit drohen, mit mehr als einer Perücke und einem kompletten Schminkset auszugehen.

Währenddessen kann man Kölsche Klingeltöne auf mit GPRS und WAP-Push aktivierte Mobiltelefone herunterladen, um sogleich an "Superjeile Zick" und "Drink doch eine met" als rasanter oder sozial-gemütlicher Jeck für die Umgebung erkannt zu werden. Und wenn 54 Prozent der Deutschen angeblich beim Sex das Handy anlassen, um erreichbar zu bleiben, kann der geheime Wunsch, zumindest stimmlich erwischt zu werden, nicht so weit entfernt sein.

Subventionierter Fotohandy-Boom

Allerdings ist der aktuelle kommerzielle Erfolg der Fotohandys nur sehr eingeschränkt zu bewerten. Zwar bevorzugt die jüngere Generation dieses Medium besonders, auch in den Schulen ist es derzeit unentwegt Mode, auch innerhalb und außerhalb des Unterrichts unbeobachtete Spionage- oder bloßstellende Überraschungs-Bilder zu schießen und sie untereinander drahtlos auszutauschen und am Computer weiterzuverarbeiten. Bei Touristen und Zivilisten sowie Soldaten im Auslandseinsatz ersetzen sie die gute alte Postkarte, bis hin zu den perversen Shots von Abu Ghraib.

Aber es ist vor allem die Subvention eines mit Kamera hochgerüsteten Vertragshandys, die die jungen und touristischen Handynutzer zugreifen lässt Bereits 2004 haben die Fotohandys zwar zu einem 38prozentigen Lieferzuwachs bei Mobiltelefonen z.B. auf dem US-Binnen- und -Exportmarkt (besonders in Osteuropa) geführt. Bei einer voraussichtlich dieses Jahr zu verkaufenden Stückzahl von 670 Mio. Handys kann von 170 Mio. Fotohandys ausgegangen werden.

Der mediale Kunstkarnevalist (Bild: Wolfgang Zurborn)

Der Haken an dieser Rechnung ist nur: Der gesamte Mobilfunk-Markt ist stark subventioniert, die Netzgebühren-Preise werden nach der abschlaffenden Absatzkurve wieder kräftig anziehen. Die kritische Marke ist erreicht, wenn 70 Prozent der Betreiber über ein Fotohandy verfügten. Dann fiele der Verbilligungsanreiz bei der Anschaffung eines neu aufgerüsteten Vertragshandys fort.

Der Gebrauch einer neuen Technologie, wie ein aufwendigerer Sound oder eine höhere Bildauflösung, nutzten sich freilich relativ schnell ab: Die Verwendung als Kamera flache bei der Mehrzahl der User nach einen Monat deutlich ab. Derzeit liegen die Sprachangebote der Handy-Service-Netzes, die SMS, E-Mail und Instant Messaging weit vor telematischen und multimedialen Nutzungen, wie dem Bilderversand und -empfang.

Noch schlechter steht es um den tatsächlichen Einsatz des Handy-Banking oder den Mobile Commerce. Es könnte also vielleicht doch so sein, dass der WDR für Heidi Klum Reklame macht, damit sie die Handybranche – und den öffentlich-rechtlichen Mäusesender – ebenso in Schwung hält wie die Birkenstock-Latschen oder den Otto-Versand.