Seite 2: "Überzeugter Westler, kein Putinversteher"

Unstrittig ist, dass Todds Erfolg als Autor mit seinen demografischen Analysen in Zusammenhang steht. Im Buch "Sturz der Sowjetunion" bildet die Säuglingssterblichkeit ein wichtiges Argument für den Autor: als hervorstechendes Indiz für die Schwäche der UdSSR, die sich ihm früh zeigte.

Dass Russland nun ein Problem mit dem Nachwuchs hat, ist für ihn zugleich ein Ausweis dessen, dass das Land in der Moderne angekommen ist, wenn auch als "autoritäre Demokratie".

Man müsse sich dieses Land und seine Logik genauer anschauen, um es zu verstehen, meint Todd:

"Die westliche Weigerung, die russische Strategie in ihrer Logik, mit ihren Gründen, Stärken und Begrenzungen zu denken, hat zu einer allgemeinen Blindheit geführt."

Er selbst präsentiert er sich als überzeugter Westler, kein Putinversteher:

"Ich bin Westler. Ich habe nie danach gestrebt, etwas anderes zu sein."

Russland: Technologisch in Bewegung

Russland sei technologisch in Bewegung, so Todd. Das, was man uns über Russland erzähle, sei oft falsch. Man sehe nicht, "dass es sich in einer Phase der schnellen Umstrukturierung befindet. Der Absturz war heftig, der Wiederaufschwung ist erstaunlich".

Das macht Eindruck auf andere Staaten, zumal auf solche, die auf traditionelle Beziehungsstrukturen setzen. Der Westen sei da, nach seiner Auffassung, mit seiner Soft-Power nicht überzeugend.

Unsere kulturelle Modernität erscheint der Außenwelt in der Tat ziemlich weitgehend verrückt - eine Feststellung eines Anthropologen, nicht eines Retro-Moralisten. Und da wir außerdem von der unterbezahlten Arbeit der Männer, Frauen und Kinder der ehemaligen Dritten Welt leben, ist unsere Moral nicht glaubwürdig.