Energiepreisbremse: Wer bezahlt den 200-Milliarden-Euro-Abwehrschirm?

Last, Entlastung und Rückzahlung: Wer will was von wem, wofür, warum? – und was die Frage mit Herrschaftsformen und dem Verbot von Einweg-Kaffeebechern zu tun hat.

Die deutsche Bundesregierung sieht eine riesige Umverteilung zur "Entlastung der Bürger" bei den Kosten für Gas und Strom vor. 200 Milliarden Euro sind dafür vorgesehen. Die Frage, wer das irgendwann bezahlen soll, wird in vielen Berichten ausgeblendet. Dabei ist demokratisch bei jedem Ge- oder Verbot zu fragen: Wer will was von wem wofür warum? Und danach ist zu verhandeln.

Die extrem gestiegenen Preise für Gas und Strom sollen für private wie geschäftliche Verbraucher gesetzlich gedeckelt werden. Die Bundesregierung sieht vor, für den größten Teil des durchschnittlichen Verbrauchs Fixpreise zu setzen. Die Differenz zum tatsächlichen Preis des Energiehändlers soll "der Staat" oder "die Bundesregierung" zahlen.

Insgesamt stehen 200 Milliarden Euro als "Abwehrschirm" im Raum, nebst 95 Milliarden Euro für "umfangreiche Entlastungspakete", die "die Bundesregierung [....] geschnürt" hat, so die Eigendarstellung.

Natürlich setzt sofort das Wehklagen über Ungerechtigkeiten ein: Wer mit Öl oder Holzpellets heizt, geht leer aus? Und auch die Reichen sollen die Energiesubvention erhalten? (Ja, aber die müssen sie ggf. versteuern.)

Dass diese unglaublichen Summen, die die Preissteigerung in allen möglichen Bereichen ergeben, in irgendwelchen Taschen landen müssen, ist auch der Politik klar. Zum Teil soll dort gezielt abgeschöpft werden, zum Teil setzt man auf die normalen Wirtschaftskreisläufe. Doch viel interessanter ist die Frage: Aus welchen Taschen kommt das Geld eigentlich? Und durch welche wandert es noch?

Gigantische Größenordnung

Die Größenordnung ist jedenfalls gigantisch: Drei Monate Neun-Euro-Ticket haben in diesem Sommer 2,5 Milliarden Euro gekostet, was pro Kopf rund 30 Euro macht.

Bei den bisherigen Energiekostentransfers liegen wir um mehr als den Faktor 100 höher. Doch es gibt hier keinen erlegten Hirsch zu verteilen, kein Erbe und hoffentlich kein Raubgut. Das Geld, das – seit Beginn der Corona-Pandemie besonders üppig – verteilt wird, muss irgendwie von der gesamten Bevölkerung aufgebracht werden.

Wenn das Ganze mehr als ein Kredit sein soll, den jeder in exakt der erhaltenen Höhe nebst Zinsen zurückzahlen muss, stellt sich daher die Frage: Wer bezahlt für wen? Bzw. demokratisch genauer: Wer will zunächst von wem etwas? Wenn eine Familie "entlastet" werden möchte, muss sie sagen, wer die Last übernehmen soll.

Diese Frage müsste selbstverständlich bei jeder politischen Handlung gestellt werden, doch wir sind es gewohnt, in den Debatten eine Chiffre zu verwenden und alles "dem Staat" zuzuschreiben. Der Staat tut, macht, fordert, verwaltet.

Der Staat kassiert, der Staat bezahlt und ganz nebenbei monopolisiert er auch noch "die Gewalt". In Wahrheit macht "der Staat" natürlich gar nichts, es sind Menschen, die etwas tun, die etwas bekommen, und sie agieren mit anderen Menschen, nicht mit Firmen, Vereinen, Behörden, Körperschaften.

Das Geld, das nach derzeitiger Planung bis April 2024 ausgegeben werden soll, muss früher oder später von den Bürgern selbst wieder zurückgezahlt werden. Ob dies nun durch Ausgabenkürzungen an anderer Stelle über die bisherigen Steuern oder über spezielle Abgaben erreicht werden soll: Wer mehr verdient, wird auch mehr zahlen als jemand, der weniger verdient. Kann es also ungerecht sein, wenn von der Energiepreisbremse auch der medial sehr präsente Bonze mit Swimmingpool profitiert?

Wer will was von wem, wofür, warum?

Wer will was von wem, wofür, warum? Der ärmere Mensch möchte, dass ihm der reichere einen Teil der Gas- und Stromkosten bezahlt, weil er sonst nicht über die Runden kommt. Und der reichere? Möchte der, dass der ärmere Mitbürger für den Swimmingpool aufkommt? Abgesehen von wohl nur kriminell zu nennenden Sonderkonstellationen: nein.

Er möchte sich einfach selbst Geld leihen, er möchte jetzt mit bedient werden und zahlt über diverse Steuern in den nächsten Jahren das Erhaltene zurück. Ungerecht kann daran nichts sein. Nur die Unterstellung kann falsch sein: Dass er das überhaupt möchte. Was aber nicht nur für den Reichen gilt. Es ist ja längst nicht jeder auf einen Energiekostenzuschuss angewiesen, auch unterhalb des Spitzensteuersatzes nicht.

Da es keine Bedarfsprüfung geben soll, sondern jeder die Subvention erhalten soll, ändert sich die Antwort auf die Fragekette: Nicht jeder möchte gerne, dass andere für ihn zahlen, weil man sonst nicht über die Runden kommt - viele oder die meisten möchten dies, weil sie es sonst unfair fänden, dass der Nachbar etwas bekommt, sie aber nicht.

Wer will dann also was von wem, wofür, warum? Es gibt keine auf alle passende Antwort, wenn wir anfangen, genauer zu schauen, "den Staat" und abstrakte Regelungen mal außer Acht lassen und stattdessen prüfen, wer da tatsächlich mit wem etwas aushandelt.

Es gibt für Demokratie unzählige Definitionen, weil es zig Demokratieformen gibt. Dass dabei die Freiheit des Individuums zumindest eine große Rolle spielt, ist unstrittig. Die volle Alternative zu anderen Herrschaftsformen ist eine Demokratie, die aufs Herrschen möglichst weitgehend verzichtet.

Die "Volksherrschaft" als "Herrschaftslosigkeit" begreift, ganz im Sinne der französischen Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte:

Die Freiheit besteht darin, alles tun zu können, was einem anderen nicht schadet. So hat die Ausübung der natürlichen Rechte eines jeden Menschen nur die Grenzen, die den anderen Gliedern der Gesellschaft den Genuss der gleichen Rechte sichern.

So verstanden ist Freiheit nicht nur das Gegenteil vom Beherrschtwerden, sondern auch vom Herrschen: Wer seine vermeintliche Freiheit auf Kosten anderer auslebt, übt kein Freiheitsrecht, sondern Herrschaft aus. Dort, wo die Freiheit endet, man aber dennoch weitergehen möchte, beginnt die Verhandlung.

Wer müsste mit wem etwas aushandeln?

In den gegenwärtigen Demokratien genügt es in den meisten Fällen, eine Mehrheit für das Begehren zu organisieren – es ist nicht notwendig, dass sich alle Beteiligten einig sind. Wie weit man diese Mehrheitsherrschaft (die aufgrund thematisch jederzeit wechselnder Mehrheiten jeden trifft) reduzieren kann, soll nicht spekuliert werden, aber es hilft zum Verstehen von Problemen ungemein, wenigstens in einem Gedankenspiel auf solche Mehrheitsherrschaft zu verzichten und zu ergründen, wer mit wem etwas aushandeln müsste.

Wie ist das mit den Steuern, aus denen nun u.a. die "Entlastungspakete" gefüllt werden? Wenn wir uns nicht mit der Chiffre "Staat" oder "Finanzamt" begnügen wird schnell deutlich, dass wir ein riesiges Wirrwarr an Forderungen haben, mit denen wir uns sonst niemals beschäftigen.

Da gibt es Dinge, die noch recht einfach erscheinen: Alle wollen eine Feuerwehr, jedenfalls fast alle, nach dem klassischen Versicherungsprinzip. Das Unglück kann jeden treffen, also bildet man eine Solidargemeinschaft.

Vereinfachen wir den Fall mal und machen diejenigen, die eigentlich keine Feuerwehr wollen, zustimmungspflichtig, weil sie im Falle eines Brandes auf ihrem Gelände ohne Feuerwehr auch die Nachbarn gefährden, womit es nicht mehr ihre Freiheit wäre, keine Feuerwehr zu haben, sondern Feuerherrschaft über Nachbargrundstücke.

Und der Modus der anteiligen Leistungen für diese Feuerwehr bekommt die Gemeinschaft auch einvernehmlich geregelt. Dann ist alles klar, niemand herrscht über einen anderen.

Aber schon beim Theater sieht es anders aus. Da gibt es einen recht kleinen Kreis von Nutzern, die derzeit von allen übrigen eine Mitfinanzierung ihrer Freizeitbeschäftigung wünschen. Und tatsächlich sind da auch ein paar Bürger, die das Theater zwar nicht nutzen, aber es doch für eine gute Sache halten. Und sie sind bereit, dafür zu zahlen.

Doch dann ist da noch die große Gruppe derer, die nichts mit dem Theater am Hut haben, ob nun grundsätzlich oder temporär, und die dafür auch nicht zahlen wollen (oder keine Fläche zur Verfügung stellen wollen etc.). Was nun?