Energiepreise, Nord Stream 2 und die Ukraine-Krise

Für Geostrategen ist die Welt ein Schachbrett. Mancher Zug, der Russland unterstellt wird, wäre aus dessen Sicht dumm. Symbolbild: FelixMittermeier auf Pixabay (Public Domain)

Putin dürfte kaum vorhaben, die Ukraine zu erobern. Er will verhindern, dass sie zum Aufmarschgebiet der Nato wird. Ein Mittel wäre ein Gasembargo

Aktuell sind die Energiepreise auf einem Allzeithoch. Warum? Weil das Angebot von Gas und Öl auf dem Weltmarkt geringer ist als der Bedarf. Das hat einerseits technische und andererseits politische Gründe.

Der Erdölpreis wird von drei großen Akteuren bestimmt: den USA, Russland und der OPEC. Diese haben meist unterschiedliche Interessen - und das sorgt normalerweise dafür, dass der Ölpreis nicht explodiert. Vor 20 Jahren wurde der Ölbedarf der USA durch Importe in Höhe von 400 Millionen Tonnen, vorwiegend aus der Golfregion, gedeckt. Deshalb hatten die USA ein Interesse an niedrigen Ölpreisen.

Heute wird mehr als die Hälfte des amerikanischen Ölbedarfs aus einheimischem Schieferöl und Ölsanden gedeckt. Die Förderung und Aufarbeitung dieser Kohlenwasserstoffe ist aber wesentlich teurer und erst bei Preisen von 60 bis 70 Dollar pro Barrel rentabel. Deshalb haben die USA heute kein besonderes Interesse an einem niedrigen Ölpreis, der in erster Linie Europa und China, also ihren Konkurrenten nützt, während er ihre eigene Ölindustrie unrentabel macht.

Das System OPEC plus

Die OPEC-Länder haben als Exporteure natürlich ein großes Interesse an hohen Ölpreisen, aber um diese durchzusetzen, ist es notwendig, das Angebot über Förderquoten einzuschränken. Das erfordert einerseits, dass die vereinbarten Förderquoten auch eingehalten werden und andererseits, dass Russland als weltgrößter Ölproduzent mitspielt.

Das ist dann OPEC plus. Dieses System hat für die Teilnehmer den Vorteil, dass die Ölpreise hoch bleiben und so ihre Gewinne aus den Ölexporten gesichert werden. Es hat aber auch den Nachteil, dass die Einnahmen der Teilnehmerländer aus den Ölexporten durch die festgelegten Förderquoten gedeckelt sind.

Russland ist kein Mitglied der OPEC und betreibt eine eigene Politik beim Ölexport. Dabei geht es einerseits um maximale Einnahmen aus den russischen Ölexporten, auf die der Staatshaushalt angewiesen ist und andererseits um außen- und globalpolitische Interessen Russlands, die durch eine entsprechende Exportpolitik unterstützt werden.

Beim Erdgas haben wir derzeit eine echte Verknappung auf dem Weltmarkt. Grund ist der enorme Energiehunger der chinesischen Wirtschaft nach ihrer Erholung von der Corona-Krise, wobei der Gasbedarf dort zusätzlich noch stark steigt durch die Stilllegung einiger Kohlekraftwerke, weil die Luftverschmutzung so nicht mehr hinnehmbar war. Deshalb Umstellung auf Erdgas und somit höherer Erdgasbedarf.

Dazu kommt eine ungewöhnliche Hitzewelle in Brasilien, weshalb die Brasilianer mehr Erdgas zum Betrieb ihrer Klimaanlagen brauchen. Ergebnis: China und Brasilien kaufen den gesamten LNG-Markt leer.

Erschwerend kommt auch noch die Erschöpfung der britischen Nordseegasfelder hinzu, weshalb Großbritannien vom Erdgasexporteur zum -importeur wurde. Außerdem fällt das norwegische Snøhvit-Gasfeld aus, weil der LNG-Train in Hammerfest nach einem Brand frühestens 2022 wieder produzieren kann.

Deshalb ist Erdgas momentan am Weltmarkt knapp und teuer, zumal der Gaspreis an den Ölpreis gekoppelt ist. Westeuropas Gasversorgung beruht seit langem auf drei Säulen: Dem Nordseegas, LNG aus Nordafrika und der Golfregion und russischem Erdgas.

Das russische Erdgas wird durch Pipelines geliefert, die durch die Ukraine bzw. durch Polen sowie auf dem Grund der Ostsee verlaufen. Der Anteil des russischen Gases am Verbrauch Westeuropas beträgt derzeit rund. 40 Prozent. Russlands Präsident Wladimir Putin hat angeboten, auch mehr Gas zu liefern und so die Ausfälle beim Nordseegas und LNG zu kompensieren.

Der Gründungszweck der Nato

Das stößt allerdings auf erbitterten Widerstand seitens der USA und der Nato. Warum? Nach dem Zweiten Weltkrieg waren die USA die stärkste Industrienation der Welt und die gesamte westliche Welt war von ihnen abhängig. Um diese Vormachtstellung in Europa abzusichern, wurde die Nato gegründet.

Der erste Nato-Generalsekretär, Lord Hastings Lionel Ismay, hat die Gründe für die Schaffung der Nato auf die kurze Formel gebracht: "Keep the Soviet Union out, the Americans in, and the Germans down."

Auch nach dem Zerfall der Sowjetunion hat sich daran nichts geändert und die USA benutzen die Nato nach wie vor, um Europa zu kontrollieren und in politischer und militärischer Abhängigkeit zu halten. Das ist aus US-Sicht umso wichtiger, als die EU mittlerweile ökonomisch und politisch ein ernstzunehmender Konkurrent der USA ist. Deshalb wurde die Nato nicht zusammen mit dem Warschauer Pakt aufgelöst und die USA tun alles, um sie auch weiter zu erhalten.

Nach dem Wegfall der Sowjetunion brauchte man dazu zunächst einmal einen neuen Feind. Da der "Internationale Terrorismus" dafür auf die Dauer nicht ausreicht, hat man jetzt Russland als neue Bedrohung wiederentdeckt, und China dazu.

Und damit die Europäer auch mitspielen und sinnlose Rüstungskosten übernehmen (die sie belasten und dadurch weniger handlungs- und konkurrenzfähig machen), ist es gut, sie auch anderweitig in Abhängigkeit zu halten. Hier bietet sich die Energieversorgung an.

Der ehemalige Außenminister der USA, Henry Kissinger, hat mal gesagt: "Wer das Öl kontrolliert, beherrscht die Staaten." Das gilt heute noch genauso wie damals, nur dass zum Öl als Energieträger noch das Gas kommt.

Fossile Abhängigkeiten

Ganz Westeuropa ist zur Zeit auf Öl- und Gasimporte angewiesen. Solange diese per Schiff aus Übersee angeliefert werden, haben die USA zwei Möglichkeiten, sie zu verhindern, ohne Westeuropa direkt anzugreifen: Entweder sie organisieren in unbotmäßigen Förderländern Unruhen, Bürgerkriege oder Kriege, so dass diese als Lieferanten ausfallen (Irak, Libyen) oder sie verhängen ein Embargo gegen das Land und blockieren dann den Transport der Brennstoffe.

Das kann entweder durch Sanktionen gegen Reedereien, die die Transporte übernehmen (Öl aus Venezuela nach Kuba) oder durch das Aufbringen der entsprechenden Schiffe in internationalen Gewässern durch die US-Navy oder befreundete Mächte (iranischer Tanker vor Gibraltar) geschehen.

Allerdings ist diese Art der Kontrolle umso weniger wirksam, je geringer der Anteil am Verbrauch ist, auf den sie angewendet werden kann.

Deshalb – und weil billige Brennstoffe die westeuropäische Industrie international wettbewerbsfähiger machen – waren die USA von Anfang an gegen jedes Projekt zur Gaslieferung aus Russland nach Westeuropa. Das begann mit dem Verbot des Erdgasröhrengeschäfts für die "Drushba-Trasse" und endet beim Kampf gegen Nord Stream 2.

Dabei ist Nord Stream 2 den USA ein ganz besonderer Dorn im Auge, weil es sich nicht nur um ein Infrastrukturprojekt zur Versorgung Westeuropas mit russischem Erdgas handelt, sondern um einen geopolitischen Gamechanger.

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