Energiewende auf dem Land: Warum wir auch mal kleiner denken müssen

Symbolbild: Didgeman/Pixabay

Dekarbonisierung bei der Energieversorgung muss auch ländliche Regionen erreichen. Die Sektorenkopplung bietet große Vorteile. Wie das praktisch funktioniert.

Die deutsche Energiewende wird aktuell meist auf den Einsatz von Luft-Wärmepumpen oder Fernwärmeversorgung in Städten reduziert. Was zunehmend kontrovers diskutiert wird, bildet mitnichten die gesamte deutsche Energiewende ab.

Die politische Forderung, bei Neuanlagen 65 Prozent der benötigten Heizenergie aus Erneuerbaren oder der Umwelt zu beziehen, ist weder eine Einschränkung der Demokratie noch eine Freiheitsberaubung.

Die Möglichkeiten für die Bereitstellung von Nutzenergie ohne die Verbrennung fossiler Energieträger sind deutlich vielseitiger, als sich dies in der vielfach hysterischen Diskussion politischer Medien derzeit widerspiegelt.

Die Struktur der Energieversorgung ändert sich

Die zunehmende Gebäudedämmung und die Elektrifizierung der häuslichen Energieversorgung sorgen dafür, dass die Gasversorgungsnetze schon in absehbarer Zeit zurückgebaut werden, weil sich ihr Betrieb nicht mehr lohnt.

Auch bei der Heizölversorgung wird das Angebot schrumpfen, weil die Margen bei der Mineralölverarbeitung und im Vertrieb schon heute so gering ausfallen, dass sich immer mehr internationale Mineralölkonzerne sowohl von der Mineralölverarbeitung als auch vom Vertrieb an Endkunden in Deutschland trennen.

Auch bei der Stromversorgung, die über viele Jahrzehnte als kaskadiertes System organisiert war, wird sich einiges ändern. Ausgehend von zentralen Großkraftwerken über die Hoch- und Höchstspannungsleitungen der vier in Deutschland tätigen Übertragungsnetzbetreiber wurde der Strom dann heruntergespannt auf die Verteilnetze der knapp 1.000 Verteilnetzbetreiber.

Mit der zunehmenden dezentralen Einspeisung aus Wind- und Solarenergie in die Verteilnetze ändern sich derzeit die Anforderungen an die Netze.

Um die Netzgebühren, die neben den reinen Netzkosten auch die Kosten für die faktische Strombeschaffung vor Ort umfassen, möglichst niedrig zu halten, wurden Investitionen in das streng regulierte Verteilnetz von der Bundesnetzagentur (BNetzA) nach Möglichkeit nicht erlaubt.

Investitionsrückstau

Daraus hat sich inzwischen ein Investitionsrückstau entwickelt, der den Ausbau dezentraler Stromerzeugungsstrukturen eher behindert.

Um hier eine Trendwende anzustoßen, sollen Neuinvestitionen in Netzausbau- und Netzanschlussvorhaben nach den Eckpunkten der BNetzA mit einer Erhöhung des Eigenkapitalzinssatzes spürbar angereizt werden.

Dass sich daraus in der Folge höhere Strompreise für die Endkunden ergeben, lässt sich wohl nicht vermeiden, ist letztlich jedoch eine Konsequenz der jahrelangen Investitionszurückhaltung.

Kleinräumige Lösungen im Stromverteilnetz

Im Projekt "EnerRegio - Modellhafte und netzstabilisierende Energiesysteme in der ländlichen Region" wurden am Beispiel eines ländlichen Bestandsquartiers aus 22 Wohnhäusern in Recke im Münsterland unterschiedliche Energiesystemmodelle entwickelt und damit aufgezeigt, wie ein sogenanntes defossiliertes Energiesystem mit erneuerbaren Energien im ländlichen Raum funktionieren kann.

Am Projekt beteiligt waren neben der FH Münster das Gas- und Wärmeinstitut Essen e.V. (GWI) und die B&R Energie GmbH. In dem Projekt wurde untersucht, über welche Schnittstellen verschiedene Energiesystem im Rahmen der sogenannten Sektorenkopplung integriert werden können und welche Lösungsansätze es für eine Netzstabilisierung in der ländlichen Region gibt.

Für ein stabiles zukünftiges Energiesystem könnte man einfach ganz konventionell das Verteilnetz so dimensionieren, dass es für die denkbare Höchstlast ausgelegt ist. Das wäre so ähnlich wie wenn man das deutsche Autobahnnetz so ausbaut, dass es den Urlaubsverkehr beim bundesweit gleichzeitigem Beginn der jährlichen Sommerferien verkraftet, ohne dass es zu Staus kommt. Mit gestaffelten Ferienzeiten hat man dieses Problem schon vor vielen Jahren deutlich reduziert.

Im zukünftigen Energiesystem werden die verschiedenen dezentralen Erzeuger, Verbraucher, Speicher- und Flexibilitätsoptionen und Akteure so miteinander verknüpft, dass eine vollständige Versorgung aus erneuerbaren Energien gewährleistet werden kann. Dafür benötigt man ein Konzept zum Ausbau der netzdienlichen Flexibilitäts- und Speicheroptionen.

Für die praktische Umsetzung werden letztlich kommunale Energiekonzepte erstellt, die als Entscheidungs- und Planungsgrundlage für die Entwicklung und Durchführung von Vorhaben im Energiesektor dienen.

Das Projekt in Recke im Detail

Mithilfe eines Modellierungstools wurden im ersten Durchgang zwei Energiekonzepte analysiert und dann optimiert. Das Konzept ″Power-to-Power″ beinhaltete die schrittweise Elektrifizierung der Wärmeversorgung.

Dabei wurde die Wärmeversorgung nicht mehr primär durch Gas, sondern durch eine Wärmepumpe bereitgestellt, die weitestgehend mit Strom aus Photovoltaikanlagen betrieben wurde.

Im zweiten Konzept unter dem Namen ″Power-to-X″ wurde ein zentraler Elektrolyseur integriert, mit dem Wasserstoff erzeugt wurde. Die Rückverstromung und Wärmebereitstellung erfolgte dann durch eine Brennstoffzelle.

Sowohl ökonomisch als auch ökologisch besser stellte sich dabei die Power-to-Power-Variante heraus, da diese kosteneffizientere Treibhausgas-Einsparungen bei Strom und Wärme erzielte.

Untersucht wurden in Recke auch die Auswirkungen auf das Stromnetz durch den Umbau auf Erneuerbare. Um unzulässige Abweichungen von der Nennspannung in den Sommermonaten zu vermeiden, hat man zu diesen Zeitpunkten zusätzliche Lasten in Form von Batteriespeichern oder Elektrolyseuren aktiviert.