Engel der Volksdeutschen

Seite 2: Nackt im Wald

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Nach so viel Aufregung gibt es erst mal Kaffee und Kuchen. Dann kommt Martin (Carl Wery, Stammgast im Heimatfilm der Adenauerzeit) mit einigen anderen deutschen Siedlern und bringt eine schockierende Nachricht: In der vergangenen Nacht wurde das Gut von Herrn Schulz überfallen. Schulz, seine Frau und alle Knechte wurden umgebracht (und Frau Schulz zuvor bestimmt vergewaltigt - das kennt man von den India… - pardon, den Polen). Ein Abgeordneter der deutschen Minderheit ist in die Stadt gefahren, um zu protestieren. Den Deutschen ist klar, dass die Behörden wie üblich nichts unternehmen werden. Sie überlegen, was zu tun ist: das Land verlassen oder bleiben? Sägewerksbesitzer Wegner will bleiben, erweist sich als Vorkämpfer von Ökologie und Nachhaltigkeit und erklärt auch gleich noch, warum die Deutschen die Wohltäter der Polen sind:

War nicht unsere Arbeit ein Segen für die ganze Gegend? Wir haben sie gelehrt, wie sie von ihren Wäldern leben können, ohne Raubbau zu betreiben, ohne sinnlos den Bestand zu verwüsten. […] So und so viele Bauern, die früher ein Hungerdasein führten, die haben heute ein ordentliches Auskommen. Warum soll ich denn davonlaufen? Was meinen Sie, Keith? Es ist doch schließlich unser Lebenswerk hier, das Ihre wie das meine. Sowas gibt man nicht so leicht auf.

Das ist das alte Kolonistenargument und auch auf Afrika, Südamerika oder überhaupt den Rest der Welt anzuwenden. Das zivilisatorisch höherstehende Volk hat die Pflicht, das Land auf die richtige Weise zu kultivieren, weil die primitiven Einheimischen das nicht können. Und was meint nun also Keith dazu? Keith denkt an die Frauen und die Kinder. Diese und die Familienväter sollen sich über die nahe Grenze in Sicherheit bringen. Die Junggesellen sollen bleiben und das Lebenswerk gegen das "polnische Gesindel" verteidigen. Doch dann überschlagen sich die Ereignisse. Lessing kommt und meldet, dass alle deutschen Abgeordneten ins Gefängnis geworfen wurden.

"Feinde"

Ich darf hier mitteilen, dass es unter den Volksdeutschen in Polen offenbar ein starkes bayerisches Kontingent gab, mit entsprechendem Akzent. Entweder war das wirklich so, oder es ist doch der Tatsache geschuldet, dass Polen während der Dreharbeiten an der Isar lag. Als Lessing tritt Ludwig Schmid-Wildy auf. Durch Paraderollen im Komödienstadl wurde er später, in der BRD, zum Volksschauspieler wie sein Kollege Beppo Brem. Brem gibt Wegereit, den Vorarbeiter im Sägewerk, und muss die faulen Polen immer ermahnen, dass sie im Holzlager nicht rauchen sollen. Das nehmen die Polen übel. Wegereit und Wegner werden von Antech und seinen Spießgesellen erschossen. Eigentlich wollten die Mörder Keith verhaften, aber der entkommt den Häschern und will nun die zweihundert Deutschen, die sich im Wald versteckt haben, über die Grenze führen.

Im NS-Film ist die Führerfigur ganz wichtig. In Feinde fällt die Rolle Willy Birgel zu, für den ich bei dieser Gelegenheit eine Lanze brechen möchte. Birgel war einer der großen Publikumslieblinge im Dritten Reich und - nach kurzem Auftrittsverbot durch die Alliierten - auch in der Adenauerzeit. Er war in Filmen zu sehen, die nach 1945 als "harmlose Unterhaltung" durchgingen (und so harmlos gar nicht waren) und in einer Reihe von offensichtlichen Propagandafilmen. Ich gestehe, dass ich ihn trotzdem mag. Das liegt nicht an seinem Verhalten oder an seinen charakterlichen Eigenschaften, die ich nicht kenne, sondern an seinem Typ und an seiner Art der Schauspielerei. Birgel, der Grandseigneur, war - je nach Sichtweise - ein blasierter Fatzke oder mit einer ganz undeutschen, leicht spöttischen Eleganz gesegnet.

Willy Birgel

Als Volkstribun, der mit der Fahne in der Hand vorangeht, damit die Masse weiß, wo der Feind zu finden ist, war er völlig ungeeignet. In den Propagandafilmen spielt er meistens die zwielichtigen Charaktere: den Chef des ausländischen Spionagerings in Verräter, den General in Unternehmen Michael, der kurz an der Front vorbeischaut und Befehle gibt, während die anderen den Kopf hinhalten oder den polnischen Offizier in Ritt in die Freiheit, der die Frau mit der falschen Herkunft liebt und darüber seine vaterländische Pflicht vergisst. Als Keith in Feinde ist er für die anderen Deutschen die Führerfigur, und er wäre auch bereit, für die gute Sache sein Leben zu geben, aber eigentlich doch nur, weil es so im Drehbuch steht. Wie ein überzeugender Nazi-Held wirkt er auf mich nicht.

Schon immer sehr sympathisch war mir Brigitte Horney, die manchmal wie die Schwester von Marlene Dietrich wirkt (siehe ihre Hafendirne in Liebe, Tod und Teufel) und mit ihrer distanziert-intellektuellen Erotik so gar nicht dem Frauenideal der Nazis entsprach. Horney drehte im Dritten Reich ein gutes Dutzend Filme, ließ sich also zwangsläufig von den braunen Machthabern vereinnahmen, dies jedoch bedeutend weniger als viele ihrer Kollegen. 1941 sollten die jüdische Frau und der Sohn ihres Freundes und Filmpartners Joachim Gottschalk deportiert werden. Die Gottschalks brachten sich vorher um. Horney hatte versucht zu helfen und gehörte zum kleinen Häuflein der Prominenten, die zur Beerdigung gingen, obwohl Goebbels es verboten hatte. Eine Weile lang nahm sie den mit Schreibverbot belegten Erich Kästner bei sich auf. Das Widerständige strahlte sie selbst dann noch aus, wenn sie die treue, zur Entsagung bereite Gefährtin des Helden spielte und blöde Opferdialoge sprechen musste, wie Goebbels sie im Kino hören wollte.

Brigitte Horney

Nach dem Gesagten wird es nicht verwundern, dass ich nichts dagegen habe, wenn sich Willy Birgel gleich auf den ersten Blick in Brigitte Horney verliebt, und sie sich in ihn. In Feinde ist sie Anna, die Frau von der Bauernwirtschaft. Der Fährmann Kasimir (Paul Dahlke) hat ihr beim Überqueren des Flusses (die Isar) einen Streich gespielt, dabei ist sie ins Wasser gefallen, und weil sie nun ihre Kleider trocknen muss, kann Keith sie nackt im Wald treffen. Von da aus entwickelt sich eine zarte Liebesgeschichte, die dramaturgisch in die Handlung mit dem polnischen Gesindel eingebettet ist, aber trotzdem nicht so recht zum Rest des Films passen will. Als Zuschauer hat man zwei Möglichkeiten: Entweder, man sieht sich an, was für fiese Untermenschen diese Polen sind und ist empört. Das klappt aber nur dann, wenn man genug Vorurteile mitbringt, um zu glauben, dass unsere Nachbarn wirklich so sind, wie da gezeigt.

Die Polen, die ich kenne, sind ganz anders. Darum blieb für mich nur die zweite Möglichkeit. Ich habe mich dafür interessiert, wie die Liebenden zueinander kommen in einer Welt, wo die Schurken solche Schurken sind. Wenn man die Polen durch Indianer ersetzen würde, wäre das ein Western. Und wenn sie als Räuber durch den deutschen Wald streichen würden, könnte man den Film als Double Feature mit Das Wirtshaus im Spessart zeigen. Oder mit Verklungene Melodie (1938). Das ist eines der Melodramen, die Brigitte Horney mit Viktor Tourjansky machte und die eine Wiederentdeckung verdient hätten. Sie spielt eine Frau mit Wüstenerfahrung (!), die bei einer Notlandung den Industriellen Thomas (Willy Birgel) kennen und lieben lernt, ihn dann aber verlässt, weil er zu sehr an Pflicht und Arbeit denkt, um einen vor den Nazis nach New York geflohenen Musiker zu heiraten. Als Thomas’ Bruder mit von der Party ist der von Birgel für das Kino entdeckte Carl Raddatz. Von ihm wird noch zu reden sein - als Marion Crane des NS-Propagandafilms.

Deutsche Heimaterde

Ich will hier nichts verharmlosen. Natürlich würde ich mir wünschen, dass Feinde, dieser Film mit dem polnischen Gesindel - auch und ganz besonders vor dem historischen Hintergrund des Jahres 1940 - nie gedreht worden wäre. Aber die Polen in Feinde sind nicht schlimmer als die Japaner, gegen die Errol Flynn in Objective Burma! oder Tyrone Power in American Guerrilla in the Philippines kämpfen. Die müsste man dann auch verbieten. Die Amerikaner weisen in solchen Fällen darauf hin, dass es damals rassistische Stereotype gab, die abzulehnen sind und gehen ansonsten davon aus, dass heutige Zuschauer klug genug sein sollten, um zu wissen, was eine Propagandafratze ist und was ein echter Mensch. Wir sind da autoritärer und lieben Verbote, nicht Brigitte Horney. Darum dürfen wir Feinde nur sehen, wenn ein Referent dabei ist, der uns sagt, was wir zu denken haben. Ich bin das Wagnis allein eingegangen, habe mir den Film ohne Aufpasser angeschaut und mag meine polnischen Freunde immer noch, obwohl ich jetzt weiß, dass ihre Landsleute damals, vor mehr als siebzig Jahren im Nazi-Propagandafilm, Willy Birgel ermorden wollten.

Die undankbaren Polen also überfallen die deutschen Wohltäter auf deren Gütern und massakrieren sie (nur im Dialog, weil Tourjansky sparen musste oder keine Lust auf ein Gemetzel hatte). Birgel alias Keith, vom Drehbuch als Führerfigur auserkoren, muss die zweihundert Überlebenden über die Grenze bringen. Anna ist ihm abhanden gekommen, seit sie im Sägewerk Bretter für ein kaputtes Scheunentor gekauft hat, und er kennt ihre Adresse nicht. Durch den Wald führt ein kaum bewachter Weg. Kurz vor der Grenze liegt ein Wirtshaus. Keith und der alte Andreas wollen dort die Lage sondieren. Andreas ist ein aus Sibirien nach Polen gekommener Russlanddeutscher. Ich nehme an, dass er ursprünglich eine bestimmte propagandistische Funktion hatte, von der nicht viel geblieben ist. Russland-Elemente waren heikel, weil Stalin mal Hitlers Feind und mal sein Verbündeter war. Ein Film konnte deshalb heute politisch korrekt und morgen schon verboten sein.

Im Wirtshaus

Wie es der Zufall will, gehört das Wirtshaus Annas Mutter. In der Gaststube sitzen Polen, die sich als Rekruten auf dem Weg in die Stadt ausgeben. Tatsächlich sind sie von der Regierung bewaffnete Marodeure und wollen die im Wald versteckten Volksdeutschen töten. Ihr Anführer, Jan, hat ein Auge auf die schöne Anna geworfen. Keith tut so, als ob er auch Pole wäre, hat die angeblichen Rekruten schnell durchschaut und weiß jetzt, dass dieser Weg zur Grenze versperrt ist. In einer Mischung aus Eifersucht und Misstrauen will ihn Jan nicht gehen lassen (eigentlich wäre das die Birgel-Rolle). Anna schützt Keith, so gut sie kann. In einem ruhigen Moment erzählt sie ihm, dass die polnische Wirtin nur ihre Stiefmutter, sie selbst hingegen eine Deutsche ist - und dass sie einen Weg durch den Sumpf kennt, der zur Grenze führt.

Jeder Film von Viktor Tourjansky, den ich kenne, enthält mindestens eine Szene, in der sich die Regie dem Reiz des Augenblicks überlässt und die Handlung stehenzubleiben scheint, wo Atmosphäre wichtiger wird als Dramaturgie. In Feinde ist es in der Schenke im Wald soweit. Anna zieht für Keith ihr Sonntagskleid an. Andreas zeigt Zauberkunststücke, die Polen trinken und tanzen ausgelassen. Sollte das ein Beweis für ihr Untermenschentum sein, ist die Botschaft bei mir nicht angekommen. In Friesennot gibt es das patriarchalische Volkstanz-Gestampfe, das ich persönlich ganz furchtbar finde, das der Film aber als die bessere Alternative zum Tanz der Russen präsentiert. In Feinde gibt es diese deutsche Alternative zur vermeintlichen Kulturlosigkeit der Fremden nicht. Vielmehr denkt sich Tourjansky einen Vorwand aus, damit er Brigitte Horney beim Tanz mit Jan zeigen kann. Mir hat das gut gefallen, auch wenn Jan ein fieser Pole ist.

Flucht durch den Sumpf

Für Keith wird die Lage äußerst ungemütlich, als sein Inkognito nicht mehr zu halten ist, weil Antech die Schenke betritt, der Aufwiegler aus dem Sägewerk. Die Polen versuchen nun, das Versteck der Volksdeutschen aus ihm herauszuprügeln. Anna kann Jan überzeugen, dass auch sie nur dieses Versteck aus dem Sägewerksinspektor herauslocken wollte und ihm darum Liebe vorgeheuchelt hat. Sie macht das so gut, dass sogar Keith ihr glaubt. Dann sprengt sie das Waffenlager der Marodeure in die Luft. Im daraus entstehenden Chaos kann Keith fliehen. Nach weiteren Verwicklungen führt Anna ihn und die zweihundert Volksdeutschen durch den nächtlichen Sumpf zur Grenze. Dort warten deutsche Soldaten mit Suchscheinwerfern und empfangen sie. "Wir sind daheim! Wir sind in Deutschland!" schreit Martin, vor Freude ganz außer sich, und nimmt deutsche Heimaterde in die Hand wie Kapitän Ahab das Sperma des Wals in Moby-Dick. Eine Frau sagt ihrem Säugling, dass ihn die Heimat schützen wird. Keith begrüßt den Leutnant von der Grenztruppe mit einem "Heil Hitler!" und bittet Anna um Verzeihung, weil er an ihr gezweifelt hat. Die Liebenden schließen sich in die Arme und der Film ist aus.

Wie Feinde in einer totalitären Gesellschaft ohne Informationsfreiheit wirkte, in einem Land, das durch den Einmarsch in Polen den Zweiten Weltkrieg begonnen hatte und dessen Führungsclique dauernd von einem Frieden faselte, den man kriegerisch gegen die Feinde verteidigen müsse, weiß ich nicht. Nicht einmal zu Jud Süß gibt es gesichertes Datenmaterial, das mehr als Spekulationen zulassen würde. Allerdings kann man Rückschlüsse auf die Zufriedenheit der Auftraggeber ziehen. Im Dritten Reich wurden Propagandafilme nach der ersten Kinoauswertung bei Indoktrinationsveranstaltungen eingesetzt und mitunter neu gestartet, wenn aktuelle Maßnahmen vorbereitet und gerechtfertigt werden sollten. Da ein Film auch Geld kostet, wurde in der Regel nicht noch einer zum selben Thema gedreht, wenn schon einer vorlag, mit dem das Propagandaministerium zufrieden war. Bei Feinde war das scheinbar nicht der Fall. Goebbels hätte sich sonst nicht persönlich darum gekümmert, dass gleich der nächste über das Leid der deutschen Minderheit in Polen gedreht wurde.

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