Engel der Volksdeutschen

"Ufa Ton-Woche" August - September 1939

Mit Bayern, Österreichern und einem Bierzelt im Land der Polen - Das Dritte Reich im Selbstversuch, Teil 12: "Feinde" und "Heimkehr"

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Am 1. September 1939 begann der Zweite Weltkrieg. An diesem Tag griff Nazi-Deutschland Polen an. Zur Rechtfertigung von Krieg, Umsiedelung, Vertreibung und "Endlösung" wurden zwei Propagandafilme gedreht, die 1940 und 1941 ins Kino kamen. Beide erzählen die gleiche Geschichte. Der eine, Feinde, ist ziemlich unangenehm, wirkt aber fast schon wieder sympathisch, wenn man ihn mit dem anderen vergleicht. In meiner persönlichen Rangliste der widerlichsten Filme des Dritten Reichs steht Heimkehr ganz weit oben, vielleicht sogar auf dem ersten Platz. Ein Nazi bin ich auch dadurch nicht geworden. Wem bei diesem Film nicht speiübel wird, der sollte sich dringend Hilfe suchen.

Das Dritte Reich im Selbstversuch, Teil 11: "Blick in den Abgrund"

Was hat das Münchner Oktoberfest mit den Hetzfilmen der Nazis zu tun? Antwort: Die Verantwortlichen lieferten ein Bierzelt nach Geiselgasteig, als die Bavaria Filmkunst dort Feinde produzierte (der Brand einer Scheune wurde in einem Prager Atelier gedreht). Ein wichtiger Schauplatz ist ein Wald- und Sumpfgebiet an der polnisch-deutschen Grenze. Weil der Regisseur, der 1891 in Kiew geborene und nach der Oktoberrevolution in den Westen geflüchtete Viktor Tourjansky, keine künstlichen Bäume wollte und weil die Bavaria-Studios am Rand eines großen Forstes liegen, ging man in den echten Wald. Dort wurde das Bierzelt über die Bäume gespannt. So erhielt man eine Art Naturatelier, und Tourjansky konnte Nachtaufnahmen machen, ohne gegen die Verdunkelungsvorschriften zu verstoßen. Beschirmt vom Bierzelt, führen Brigitte Horney und Willy Birgel zweihundert "Volksdeutsche" zurück in die Heimat.

Gegenangriff

Das Jahr 1938 wurde von den Nazis zum "volksdeutschen Jahr" erklärt. Als "Volksdeutsche" bezeichnete man die Angehörigen der in anderen Ländern lebenden deutschen Minderheiten. Ihnen widmeten sich dokumentarische oder pseudo-dokumentarische "Kulturfilme" wie die sehr populären Berichte über deutsche Expeditionen und die Aufbauleistungen deutscher Kolonisten in Afrika, die sich Südamerika zuwendenden Werke wie Deutsches Volk in Brasilien (1938) oder das im Auftrag des Volksbundes für das Deutschtum im Ausland hergestellte Epos Bruder steht zu Bruder (1939). Propagiert wurde die "völkische Erneuerung" der Auslandsdeutschen. Das alles war schon Teil der Kriegspropaganda. Im August 1939 wurde das Kinopublikum aus den im Vorprogramm gezeigten Wochenschauen (Fox, Tobis, Ufa) darauf eingestimmt, dass Hitler nun bald Polen überfallen würde.

Anfang des Monats berichtet die "Ufa Ton-Woche" über Pläne der hemmungslos aufrüstenden Polen, die Deutschen in Danzig plattzumachen und sich die Stadt einzuverleiben sowie über die SA und die Heimwehr der SS, die in Danzig den Grenzschutz übernommen haben, um das polnische Vorhaben zu vereiteln. Dann sieht man Bilder von Flüchtlingen, die der Sprecher so kommentiert:

Während die Bevölkerung Danzigs ruhig und vertrauensvoll die Heimkehr ins Reich erwartet, sind die Volksdeutschen innerhalb der polnischen Grenzen wildestem Terror ausgesetzt. Viele Tausende flüchteten vor den Gewalttätigkeiten der Polen in den Schutz des Reiches und fanden vorläufig in Sammellagern Aufnahme.

Frauen, Kinder und Männer erzählen von ihrem Martyrium in Polen und wie froh sie sind, jetzt in Deutschland zu sein. Eine junge Mutter berichtet, dass sie und ihr Mann ins Gefängnis gesteckt wurden, weil sie ihre Kinder auf eine deutsche Schule in der Grenzstadt Beuthen (das heutige Bytom) geschickt hatten. Einem alten Mann wurde der Sohn ermordet, und ein kleiner Junge ist traurig, weil seine Eltern und fünf Geschwister noch in Polen sind, wo sie verfolgt werden und nichts zu essen haben. Die Wochenschau endet mit Außenminister von Ribbentrop, der nach Moskau fliegt, um den deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakt fertig auszuhandeln. Das macht den Eindruck, als hätten sich Hitler und Stalin auf diesen Pakt geeinigt, weil ihren Ländern eine polnische Invasion durch Polen droht. Heute wirkt das lächerlich, weil man sich problemlos über die wahren Kräfteverhältnisse und Intentionen informieren kann. Damals war das nicht so einfach.

Die nächste Wochenschau setzt die Geschichte fort. Männer bauen einen Stacheldrahtzaun, und der Sprecher sagt dazu:

Das deutsche Danzig war durch das Diktat von Versailles zu einem Freistaat unter der Kontrolle des Völkerbundes gemacht worden. Abgeschnitten vom deutschen Mutterland, wurde es das Ziel der polnischen Eroberungsgelüste. Die Drohungen Polens wurden unter dem Schutz des englischen Garantieversprechens immer unerträglicher, sodass die wehrfähigen Männer Danzigs die Grenzen ihres Heimatlandes mit der Waffe in der Hand gegen einen polnischen Zugriff schützen mussten.

Dabei, so der Kommentar, wurden deutsche Familienväter von "polnischen Banden" ermordet. Nach Bildern von der Beisetzung eines von Heckenschützen getöteten SA-Mannes, von den Volksdeutschen, die vor den "polnischen Mordbanden" auf "reichsdeutsches Gebiet" geflohen sind und von "planmäßig" niedergebrannten Bauernhöfen vermeldet der Sprecher: "Die unerträglichen Provokationen gingen allmählich so weit, dass sogar deutsches Reichsgebiet nicht mehr verschont blieb." Mitten im Frieden, heißt es, haben die Polen deutsche Wohnhäuser in der offenen Stadt Beuthen mit Artillerie beschossen. Ein Mann mit Hitlerbart steht vor einem Loch in einer Wand und sagt, dass sein Anwesen von polnischen Flugzeugen bombardiert wurde. In Beuthen wurde übrigens in der Pogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 die Synagoge niedergebrannt. Später wurde die jüdische Gemeinde als eine der ersten vollständig ausgelöscht.

"Ufa Ton-Woche" August - September 1939

Weiter mit der Wochenschau: Kämpfe in Danzig. Unter dem Jubel der Bevölkerung fahren deutsche Truppen in die "befreite" Stadt. In London arbeiten nach der Weltherrschaft strebende Politiker daran, mit Hilfe von "Vasallen" wie den Polen einen Weltkrieg zu entfachen. Hitler droht den Polen, dass er zurückschießen wird. Er will verhandeln, die Polen aber nicht. Die Wehrmacht geht zum "Gegenangriff" über, marschiert in Polen ein und entfernt die Grenzbalken, die terrorisierte Deutsche vom Mutterland getrennt haben. Die deutschen Truppen dringen rasch vor. "Mit dankerfülltem Herzen heißen die befreiten Volksdeutschen sie überall willkommen", sagt der Sprecher zu Bildern von Leuten, die mit gestrecktem Arm am Straßenrand stehen und "Sieg Heil!" rufen. "Die Schreckenstage des polnischen Terrorregiments sind endgültig vorüber."

Polen werden gezeigt, die Gräueltaten an Volksdeutschen und Soldaten der Wehrmacht begangen haben und dann Juden mit langen Bärten, die "zum Vernichtungskrieg gegen das deutsche Volk" aufgehetzt haben. Diese Juden, so der Kommentar, haben ihre Verwandten in Länder wie Frankreich und England geschickt, um dort weiter gegen die Deutschen zu hetzten und ihre Vernichtung herbeizuführen. Von den vielen Propagandalügen, die von den Nazis in die Welt gesetzt wurde, ist das eine der schrecklichsten und folgenschwersten. Wir werden ihr wieder begegnen, wenn wir zu Heimkehr kommen.

Feldzug des Verbrechens

Nachdem die Wehrmacht in Polen einmarschiert war, um die deutschen Brüder und Schwestern vor der Vernichtung durch slawische Untermenschen zu retten, handelte Feinde das Thema auch im Spielfilmformat ab. Am Anfang muss man viel Text lesen. Geboten wird eine Zusammenfassung des deutsch-polnischen Verhältnisses aus Sicht der NS-Propaganda:

Ewig unvergessen stehen im Gedächtnis aller Menschen die namenlosen Leiden der Volksdeutschen in Polen. Die gesamte Nachkriegszeit war für sie ein einziger Opfergang. Politische Entrechtung, wirtschaftliche Knechtung, Terror und Enteignung hießen seine Meilensteine.

Das ist kein Zitat aus der Rede eines Vertriebenenfunktionärs nach 1945. Die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg ist gemeint. Und weiter:

Im Jahre 1939 entfachte das englische Garantieversprechen die polnische Mordfurie. Zehntausende unschuldiger Volksdeutscher wurden unter furchtbaren Martern verschleppt. 60.000 wurden viehisch ermordet, zu Tausenden gingen die deutschen Höfe in Flammen auf.

Dazu muss man wissen, dass Hitler versucht hatte, Polen durch Verhandlungen mit England zu isolieren. Das war gescheitert. Der polnische Außenminister Jósef Beck hatte am 6. April 1939 in London einen Beistandspakt mit Großbritannien unterzeichnet. Nach dem "Anschluss" Österreichs und dem Einmarsch im Sudetenland schlossen die anderen europäischen Staaten solche Verträge in der Hoffnung ab, den Expansionsdrang der Nazis eindämmen zu können. In der NS-Version dieser Vorgänge mussten die Volksdeutschen in Polen jetzt noch mehr leiden als zuvor, und die Briten waren schuld, weil sie die Polen - von Natur aus feige und hinterhältig - durch den Pakt zu den Übergriffen ermutigt hatten.

Nach dem einführenden Text gibt es die alten Wochenschaubilder von brennenden Häusern, massakrierten Menschen und Flüchtlingen. Der schriftliche Kommentar dazu: "Ein hemmungsloser Feldzug des Verbrechens gegen Arbeit und Leben friedlicher Volksdeutscher!" Mit weißen Siedlern und mordlustigen Indianern hätte daraus ein passabler Western werden können (ich musste öfter an John Fords Drums Along the Mohawk denken). Die Spielhandlung setzt im Spätsommer 1939 ein. Arnold Wegner, Witwer mit zwei Kindern, betreibt in Polen ein Sägewerk. Keith, der Sohn eines Gutsbesitzers aus Norddeutschland, ist dort als Inspektor tätig. Einer der Arbeiter, der Pole Antech, wiegelt seit geraumer Zeit die Belegschaft auf, provoziert und begeht Sabotageakte. Als er die neue Säge beschädigt, entlässt ihn Keith, obwohl ihm wieder nichts nachzuweisen ist und Wegner vor den Folgen warnt. Keith hat sich bei den Polen viele Feinde gemacht, weil er ein aufrechter Mensch ist und sich nichts gefallen lässt. Das ist brandgefährlich. Als Zuschauer weiß man inzwischen schon, dass die polnische Regierung Waffen an marodierende Banden verteilt und angeordnet hat, die Deutschen zu ermorden.

Nackt im Wald

Nach so viel Aufregung gibt es erst mal Kaffee und Kuchen. Dann kommt Martin (Carl Wery, Stammgast im Heimatfilm der Adenauerzeit) mit einigen anderen deutschen Siedlern und bringt eine schockierende Nachricht: In der vergangenen Nacht wurde das Gut von Herrn Schulz überfallen. Schulz, seine Frau und alle Knechte wurden umgebracht (und Frau Schulz zuvor bestimmt vergewaltigt - das kennt man von den India… - pardon, den Polen). Ein Abgeordneter der deutschen Minderheit ist in die Stadt gefahren, um zu protestieren. Den Deutschen ist klar, dass die Behörden wie üblich nichts unternehmen werden. Sie überlegen, was zu tun ist: das Land verlassen oder bleiben? Sägewerksbesitzer Wegner will bleiben, erweist sich als Vorkämpfer von Ökologie und Nachhaltigkeit und erklärt auch gleich noch, warum die Deutschen die Wohltäter der Polen sind:

War nicht unsere Arbeit ein Segen für die ganze Gegend? Wir haben sie gelehrt, wie sie von ihren Wäldern leben können, ohne Raubbau zu betreiben, ohne sinnlos den Bestand zu verwüsten. […] So und so viele Bauern, die früher ein Hungerdasein führten, die haben heute ein ordentliches Auskommen. Warum soll ich denn davonlaufen? Was meinen Sie, Keith? Es ist doch schließlich unser Lebenswerk hier, das Ihre wie das meine. Sowas gibt man nicht so leicht auf.

Das ist das alte Kolonistenargument und auch auf Afrika, Südamerika oder überhaupt den Rest der Welt anzuwenden. Das zivilisatorisch höherstehende Volk hat die Pflicht, das Land auf die richtige Weise zu kultivieren, weil die primitiven Einheimischen das nicht können. Und was meint nun also Keith dazu? Keith denkt an die Frauen und die Kinder. Diese und die Familienväter sollen sich über die nahe Grenze in Sicherheit bringen. Die Junggesellen sollen bleiben und das Lebenswerk gegen das "polnische Gesindel" verteidigen. Doch dann überschlagen sich die Ereignisse. Lessing kommt und meldet, dass alle deutschen Abgeordneten ins Gefängnis geworfen wurden.

"Feinde"

Ich darf hier mitteilen, dass es unter den Volksdeutschen in Polen offenbar ein starkes bayerisches Kontingent gab, mit entsprechendem Akzent. Entweder war das wirklich so, oder es ist doch der Tatsache geschuldet, dass Polen während der Dreharbeiten an der Isar lag. Als Lessing tritt Ludwig Schmid-Wildy auf. Durch Paraderollen im Komödienstadl wurde er später, in der BRD, zum Volksschauspieler wie sein Kollege Beppo Brem. Brem gibt Wegereit, den Vorarbeiter im Sägewerk, und muss die faulen Polen immer ermahnen, dass sie im Holzlager nicht rauchen sollen. Das nehmen die Polen übel. Wegereit und Wegner werden von Antech und seinen Spießgesellen erschossen. Eigentlich wollten die Mörder Keith verhaften, aber der entkommt den Häschern und will nun die zweihundert Deutschen, die sich im Wald versteckt haben, über die Grenze führen.

Im NS-Film ist die Führerfigur ganz wichtig. In Feinde fällt die Rolle Willy Birgel zu, für den ich bei dieser Gelegenheit eine Lanze brechen möchte. Birgel war einer der großen Publikumslieblinge im Dritten Reich und - nach kurzem Auftrittsverbot durch die Alliierten - auch in der Adenauerzeit. Er war in Filmen zu sehen, die nach 1945 als "harmlose Unterhaltung" durchgingen (und so harmlos gar nicht waren) und in einer Reihe von offensichtlichen Propagandafilmen. Ich gestehe, dass ich ihn trotzdem mag. Das liegt nicht an seinem Verhalten oder an seinen charakterlichen Eigenschaften, die ich nicht kenne, sondern an seinem Typ und an seiner Art der Schauspielerei. Birgel, der Grandseigneur, war - je nach Sichtweise - ein blasierter Fatzke oder mit einer ganz undeutschen, leicht spöttischen Eleganz gesegnet.

Willy Birgel

Als Volkstribun, der mit der Fahne in der Hand vorangeht, damit die Masse weiß, wo der Feind zu finden ist, war er völlig ungeeignet. In den Propagandafilmen spielt er meistens die zwielichtigen Charaktere: den Chef des ausländischen Spionagerings in Verräter, den General in Unternehmen Michael, der kurz an der Front vorbeischaut und Befehle gibt, während die anderen den Kopf hinhalten oder den polnischen Offizier in Ritt in die Freiheit, der die Frau mit der falschen Herkunft liebt und darüber seine vaterländische Pflicht vergisst. Als Keith in Feinde ist er für die anderen Deutschen die Führerfigur, und er wäre auch bereit, für die gute Sache sein Leben zu geben, aber eigentlich doch nur, weil es so im Drehbuch steht. Wie ein überzeugender Nazi-Held wirkt er auf mich nicht.

Schon immer sehr sympathisch war mir Brigitte Horney, die manchmal wie die Schwester von Marlene Dietrich wirkt (siehe ihre Hafendirne in Liebe, Tod und Teufel) und mit ihrer distanziert-intellektuellen Erotik so gar nicht dem Frauenideal der Nazis entsprach. Horney drehte im Dritten Reich ein gutes Dutzend Filme, ließ sich also zwangsläufig von den braunen Machthabern vereinnahmen, dies jedoch bedeutend weniger als viele ihrer Kollegen. 1941 sollten die jüdische Frau und der Sohn ihres Freundes und Filmpartners Joachim Gottschalk deportiert werden. Die Gottschalks brachten sich vorher um. Horney hatte versucht zu helfen und gehörte zum kleinen Häuflein der Prominenten, die zur Beerdigung gingen, obwohl Goebbels es verboten hatte. Eine Weile lang nahm sie den mit Schreibverbot belegten Erich Kästner bei sich auf. Das Widerständige strahlte sie selbst dann noch aus, wenn sie die treue, zur Entsagung bereite Gefährtin des Helden spielte und blöde Opferdialoge sprechen musste, wie Goebbels sie im Kino hören wollte.

Brigitte Horney

Nach dem Gesagten wird es nicht verwundern, dass ich nichts dagegen habe, wenn sich Willy Birgel gleich auf den ersten Blick in Brigitte Horney verliebt, und sie sich in ihn. In Feinde ist sie Anna, die Frau von der Bauernwirtschaft. Der Fährmann Kasimir (Paul Dahlke) hat ihr beim Überqueren des Flusses (die Isar) einen Streich gespielt, dabei ist sie ins Wasser gefallen, und weil sie nun ihre Kleider trocknen muss, kann Keith sie nackt im Wald treffen. Von da aus entwickelt sich eine zarte Liebesgeschichte, die dramaturgisch in die Handlung mit dem polnischen Gesindel eingebettet ist, aber trotzdem nicht so recht zum Rest des Films passen will. Als Zuschauer hat man zwei Möglichkeiten: Entweder, man sieht sich an, was für fiese Untermenschen diese Polen sind und ist empört. Das klappt aber nur dann, wenn man genug Vorurteile mitbringt, um zu glauben, dass unsere Nachbarn wirklich so sind, wie da gezeigt.

Die Polen, die ich kenne, sind ganz anders. Darum blieb für mich nur die zweite Möglichkeit. Ich habe mich dafür interessiert, wie die Liebenden zueinander kommen in einer Welt, wo die Schurken solche Schurken sind. Wenn man die Polen durch Indianer ersetzen würde, wäre das ein Western. Und wenn sie als Räuber durch den deutschen Wald streichen würden, könnte man den Film als Double Feature mit Das Wirtshaus im Spessart zeigen. Oder mit Verklungene Melodie (1938). Das ist eines der Melodramen, die Brigitte Horney mit Viktor Tourjansky machte und die eine Wiederentdeckung verdient hätten. Sie spielt eine Frau mit Wüstenerfahrung (!), die bei einer Notlandung den Industriellen Thomas (Willy Birgel) kennen und lieben lernt, ihn dann aber verlässt, weil er zu sehr an Pflicht und Arbeit denkt, um einen vor den Nazis nach New York geflohenen Musiker zu heiraten. Als Thomas’ Bruder mit von der Party ist der von Birgel für das Kino entdeckte Carl Raddatz. Von ihm wird noch zu reden sein - als Marion Crane des NS-Propagandafilms.

Deutsche Heimaterde

Ich will hier nichts verharmlosen. Natürlich würde ich mir wünschen, dass Feinde, dieser Film mit dem polnischen Gesindel - auch und ganz besonders vor dem historischen Hintergrund des Jahres 1940 - nie gedreht worden wäre. Aber die Polen in Feinde sind nicht schlimmer als die Japaner, gegen die Errol Flynn in Objective Burma! oder Tyrone Power in American Guerrilla in the Philippines kämpfen. Die müsste man dann auch verbieten. Die Amerikaner weisen in solchen Fällen darauf hin, dass es damals rassistische Stereotype gab, die abzulehnen sind und gehen ansonsten davon aus, dass heutige Zuschauer klug genug sein sollten, um zu wissen, was eine Propagandafratze ist und was ein echter Mensch. Wir sind da autoritärer und lieben Verbote, nicht Brigitte Horney. Darum dürfen wir Feinde nur sehen, wenn ein Referent dabei ist, der uns sagt, was wir zu denken haben. Ich bin das Wagnis allein eingegangen, habe mir den Film ohne Aufpasser angeschaut und mag meine polnischen Freunde immer noch, obwohl ich jetzt weiß, dass ihre Landsleute damals, vor mehr als siebzig Jahren im Nazi-Propagandafilm, Willy Birgel ermorden wollten.

Die undankbaren Polen also überfallen die deutschen Wohltäter auf deren Gütern und massakrieren sie (nur im Dialog, weil Tourjansky sparen musste oder keine Lust auf ein Gemetzel hatte). Birgel alias Keith, vom Drehbuch als Führerfigur auserkoren, muss die zweihundert Überlebenden über die Grenze bringen. Anna ist ihm abhanden gekommen, seit sie im Sägewerk Bretter für ein kaputtes Scheunentor gekauft hat, und er kennt ihre Adresse nicht. Durch den Wald führt ein kaum bewachter Weg. Kurz vor der Grenze liegt ein Wirtshaus. Keith und der alte Andreas wollen dort die Lage sondieren. Andreas ist ein aus Sibirien nach Polen gekommener Russlanddeutscher. Ich nehme an, dass er ursprünglich eine bestimmte propagandistische Funktion hatte, von der nicht viel geblieben ist. Russland-Elemente waren heikel, weil Stalin mal Hitlers Feind und mal sein Verbündeter war. Ein Film konnte deshalb heute politisch korrekt und morgen schon verboten sein.

Im Wirtshaus

Wie es der Zufall will, gehört das Wirtshaus Annas Mutter. In der Gaststube sitzen Polen, die sich als Rekruten auf dem Weg in die Stadt ausgeben. Tatsächlich sind sie von der Regierung bewaffnete Marodeure und wollen die im Wald versteckten Volksdeutschen töten. Ihr Anführer, Jan, hat ein Auge auf die schöne Anna geworfen. Keith tut so, als ob er auch Pole wäre, hat die angeblichen Rekruten schnell durchschaut und weiß jetzt, dass dieser Weg zur Grenze versperrt ist. In einer Mischung aus Eifersucht und Misstrauen will ihn Jan nicht gehen lassen (eigentlich wäre das die Birgel-Rolle). Anna schützt Keith, so gut sie kann. In einem ruhigen Moment erzählt sie ihm, dass die polnische Wirtin nur ihre Stiefmutter, sie selbst hingegen eine Deutsche ist - und dass sie einen Weg durch den Sumpf kennt, der zur Grenze führt.

Jeder Film von Viktor Tourjansky, den ich kenne, enthält mindestens eine Szene, in der sich die Regie dem Reiz des Augenblicks überlässt und die Handlung stehenzubleiben scheint, wo Atmosphäre wichtiger wird als Dramaturgie. In Feinde ist es in der Schenke im Wald soweit. Anna zieht für Keith ihr Sonntagskleid an. Andreas zeigt Zauberkunststücke, die Polen trinken und tanzen ausgelassen. Sollte das ein Beweis für ihr Untermenschentum sein, ist die Botschaft bei mir nicht angekommen. In Friesennot gibt es das patriarchalische Volkstanz-Gestampfe, das ich persönlich ganz furchtbar finde, das der Film aber als die bessere Alternative zum Tanz der Russen präsentiert. In Feinde gibt es diese deutsche Alternative zur vermeintlichen Kulturlosigkeit der Fremden nicht. Vielmehr denkt sich Tourjansky einen Vorwand aus, damit er Brigitte Horney beim Tanz mit Jan zeigen kann. Mir hat das gut gefallen, auch wenn Jan ein fieser Pole ist.

Flucht durch den Sumpf

Für Keith wird die Lage äußerst ungemütlich, als sein Inkognito nicht mehr zu halten ist, weil Antech die Schenke betritt, der Aufwiegler aus dem Sägewerk. Die Polen versuchen nun, das Versteck der Volksdeutschen aus ihm herauszuprügeln. Anna kann Jan überzeugen, dass auch sie nur dieses Versteck aus dem Sägewerksinspektor herauslocken wollte und ihm darum Liebe vorgeheuchelt hat. Sie macht das so gut, dass sogar Keith ihr glaubt. Dann sprengt sie das Waffenlager der Marodeure in die Luft. Im daraus entstehenden Chaos kann Keith fliehen. Nach weiteren Verwicklungen führt Anna ihn und die zweihundert Volksdeutschen durch den nächtlichen Sumpf zur Grenze. Dort warten deutsche Soldaten mit Suchscheinwerfern und empfangen sie. "Wir sind daheim! Wir sind in Deutschland!" schreit Martin, vor Freude ganz außer sich, und nimmt deutsche Heimaterde in die Hand wie Kapitän Ahab das Sperma des Wals in Moby-Dick. Eine Frau sagt ihrem Säugling, dass ihn die Heimat schützen wird. Keith begrüßt den Leutnant von der Grenztruppe mit einem "Heil Hitler!" und bittet Anna um Verzeihung, weil er an ihr gezweifelt hat. Die Liebenden schließen sich in die Arme und der Film ist aus.

Wie Feinde in einer totalitären Gesellschaft ohne Informationsfreiheit wirkte, in einem Land, das durch den Einmarsch in Polen den Zweiten Weltkrieg begonnen hatte und dessen Führungsclique dauernd von einem Frieden faselte, den man kriegerisch gegen die Feinde verteidigen müsse, weiß ich nicht. Nicht einmal zu Jud Süß gibt es gesichertes Datenmaterial, das mehr als Spekulationen zulassen würde. Allerdings kann man Rückschlüsse auf die Zufriedenheit der Auftraggeber ziehen. Im Dritten Reich wurden Propagandafilme nach der ersten Kinoauswertung bei Indoktrinationsveranstaltungen eingesetzt und mitunter neu gestartet, wenn aktuelle Maßnahmen vorbereitet und gerechtfertigt werden sollten. Da ein Film auch Geld kostet, wurde in der Regel nicht noch einer zum selben Thema gedreht, wenn schon einer vorlag, mit dem das Propagandaministerium zufrieden war. Bei Feinde war das scheinbar nicht der Fall. Goebbels hätte sich sonst nicht persönlich darum gekümmert, dass gleich der nächste über das Leid der deutschen Minderheit in Polen gedreht wurde.

Jugendwert

Die Unterhaltungsfilme des Dritten Reichs, besagt eine der großen Nachkriegslügen, waren harmlos. Noch harmloser waren die Produktionen der im Dezember 1938 gegründeten Wien-Film, die sich, fernab von Berlin und teutonischer Verbissenheit, in allgemeiner Walzerseligkeit ergingen und eine bessere Vergangenheit mit schönen Kostümen und Johann Strauß beschworen. So berichteten es die Altstars in ihren Memoiren oder in Gedenksendungen des österreichischen Fernsehens, in dessen Sendebereich ich aufgewachsen bin und das sein Nachmittagsprogramm genauso entschlossen mit Unterhaltungsfilmen der NS-Zeit füllte wie das Bayerische Fernsehen nebenan.

Da traf es sich gut, dass die am höchsten dekorierte Produktion der Firma, Heimkehr, nicht mehr gezeigt werden durfte und rasch in Vergessenheit geriet, weil man vergessen wollte. Wer an das Vergangene erinnerte, wurde beschimpft und verächtlich gemacht wie Elfriede Jelinek, in deren Stück Burgtheater Dialoge aus Heimkehr eingearbeitet sind und Figuren auftreten, von denen man fast glauben könnte, dass es sich um Paula Wessely sowie Attila und Paul Hörbiger handelt. Jelineks couragierte Attacke auf die "unantastbare Dreifaltigkeit im Herrgottswinkel heimischer Schauspielkunst", wie der Falter einmal schrieb, sorgte in Österreich für einen Skandal und für Wortmeldungen, die den Eindruck vermitteln, das Theaterstück sei viel schlimmer als alles, was in der NS-Zeit passierte. Sogar Claus Peymann, der sonst nichts ausließ, um die Österreicher zu ärgern, weigerte sich (aus "künstlerischen Gründen"), Jelineks "Posse mit Gesang" am Burgtheater aufzuführen, wo jahrzehntelang ein Kult um den Wessely-Hörbiger-Clan betrieben wurde. Geraunt wurde damals, dass er Angst davor hatte, die betagte und allseits verehrte Paula Wessely könne während seiner Amtszeit als Intendant des Burgtheaters sterben, und dass man ihn dafür verantwortlich machen würde.

Im Mittelpunkt von Heimkehr stehen die Wolhyniendeutschen, deutsche Kolonisten im polnisch-ukrainischen Grenzland. Eine erste Gruppe von Zuwanderern folgte 1763 einem Aufruf von Zarin Katharina II. (das ist die, die in Josef von Sternbergs The Scarlet Empress von Marlene Dietrich und in Münchhausen von Brigitte Horney verkörpert wird), die größte Zahl von Deutschen siedelte sich im 19. Jahrhundert in dem vom Fluss Bug bis kurz vor Kiew reichenden Gebiet an. Ab 1860 galten die Wolhyniendeutschen als eigene Volksgruppe. Nach dem Ersten Weltkrieg verpflichtete sich Polen in einem Vertrag mit den Siegermächten zur Wahrung der Minderheitenrechte. Danach wurde oft nicht eingehalten, was versprochen worden war. Zwischen den Polen und den Deutschen gab es historisch bedingte Spannungen (viele nach Polen ausgewanderte Deutsche wurden angefeindet, weil sie sich 1830/31 nicht am Novemberaufstand gegen den Zaren beteiligt hatten und zogen damals nach Wolhynien weiter). Diese Spannungen verschärften sich nach der Annexion von Österreich und dem Münchner Abkommen.

Katharina II. in "The Scarlet Empress" und in "Münchhausen"

Daran änderte auch das zwischen der deutschen und der polnischen Regierung geschlossene "Übereinkommen über die Behandlung der Minderheiten" vom 5. November 1937 nicht viel. Organisationen wie der Volksbund für das Deutschtum im Ausland trugen zur Radikalisierung bei, und die polnische Seite, die deutsche Gebietsansprüche fürchtete, verhielt sich nicht sonderlich geschickt, schürte Ressentiments, statt sie abzubauen. Bestimmt gab es Übergriffe gegen die deutsche Minderheit in Polen, die aber keinen Einmarsch rechtfertigten. Einer solchen Rechtfertigung diente ein wildes Sammelsurium aus Tatsachen, Übertreibungen und Propagandalügen, das 1940 vom Auswärtigen Amt herausgegeben wurde: Dokumente polnischer Grausamkeit. Alt- und Neonazis dient das Werk bis heute als Ausgangspunkt für ihren Revanchismus. Heimkehr ist die Bebilderung dazu.

Trotzdem, finde ich, sollte man den Film weiter zeigen. Obwohl die Polen die Massaker begehen, ist er aus heutiger Sicht ein Dokument deutscher Grausamkeit. Wir, die Nachgeboren, sollten wissen, was unsere Vorfahren im Kino sahen - ganz regulär und mit Empfehlung von höchster Stelle. Heimkehr erhielt die Prädikate "Staatspolitisch und künstlerisch besonders wertvoll", "Volksbildend", "Jugendwert" und "Film der Nation". Mehr ging nicht. Das Prädikat "Jugendwert" wurde am 21. November 1938 auf Anregung von Mathias Wieman eingeführt, der die Idee dazu 1937 beim ersten Filmkongress der Hitlerjugend in Hamburg gehabt hatte. Wieman starb den Heldentod in Unternehmen Michael, bekehrte sich in Ich klage an zur Euthanasie, gehörte 1937 zum ersten Jahrgang der "Staatsschauspieler", war Mitglied im 1942 von Goebbels eingerichteten "Ehrenrat für den deutschen Film", las im Radio deutsche Klassiker und gestaltete eine sonntägliche Märchensendung für Jung und Alt, weshalb er als Kinderversteher galt.

1950 setzte Wieman seine Filmlaufbahn fort, seine Theaterkarriere schon einige Jahre früher. 1958 verlieh ihm seine Heimatstadt Osnabrück ihre höchste Auszeichnung, die Möser-Medaille, mit der Persönlichkeiten geehrt werden, die sich in besonderer Weise um das öffentliche Wohl verdient gemacht haben. Der Eintrag zu Wieman auf der Website von Osnabrück ist mit "Vertreter des geistigen Deutschlands" überschrieben und tut so, als habe er im Dritten Reich immer nur Gedichte von Goethe und Hölderlin vorgelesen. "Als Schauspieler war er ein Mann der Stille", steht da, "in seinem Spiel offenbarte er einen tiefen, philosophischen Ernst." Weil er das Kulturelle vor sich hertrug wie eine Monstranz, Herr Bürgermeister, war dieser Sohn Ihrer Stadt so wertvoll für die Propaganda.

In den 1960ern war Wieman auch ein gefragter Werbesprecher (u. a. in der Asbach-Uralt-Reklame). 1965 bekam er einen Bambi - für seine Rezitationskünste, glaube ich, nicht zum zwanzigjährigen Jubiläum des Verbots von vier NS-Propagandafilmen, in denen er die Hauptrolle gespielt und die man dank des Verbots vergessen hatte. Zwei Jahre vorher hatte sich Paula Wessely einen Bambi abgeholt, die Hauptdarstellerin von Heimkehr. Verjähren solche Preisverleihungen irgendwann? Oder wird der "Courage-Bambi" für Tom "Stauffenberg" Cruise noch etwas peinlicher, wenn man das weiß?

Ein als "Jugendwert" eingestufter Film zählte zu denen, die nach Meinung der Nazis "die ewig gültigen Werte unseres Volkes in sich tragen und ausstrahlen, Filme, die, gerade und klar, ohne greifbare Tendenz, die Jugend suchen und sie erziehen" (Film-Kurier, 24.11.1938). Das Prädikat war von entscheidender Bedeutung dafür, was in der Schule, bei den "Jugendfilmstunden" der HJ und bei anderen Jugendveranstaltungen gezeigt wurde. Bei diesen Veranstaltungen gab es eine Einführung durch einen dafür geschulten Referenten und eine gelenkte Diskussion. Schwierige Themen wurden zum Beispiel bei den "Heimabenden" der Hitlerjugend nachbearbeitet und vertieft. 1941/42 wurden 12.560 Jugendfilmstunden durchgeführt (mit 4.800.000 Teilnehmern), 1942/43 waren es schon 45.300 (11.215.000 Teilnehmer). 1943 landete Heimkehr bei einer Umfrage unter Jugendlichen nach dem beliebtesten Film auf dem fünften Platz. Die Wahrscheinlichkeit ist sehr groß, dass die heute über Achtzigjährigen Heimkehr gesehen - und das Erfahrene an ihre Kinder und Enkel weitergegeben - haben. Genauso gruselig ist der Gedanke, dass damals wirklich jemand geglaubt haben könnte, dieser Hetzfilm habe keine "greifbare Tendenz".

Verschwundene Juden

Die erhaltenen Dokumente lassen darauf schließen, dass Goebbels den "Wolhynienfilm" im Dezember 1939 persönlich anordnete (was nicht heißt, dass er das Projekt nicht gestoppt hätte, wenn er mit Tourjanskys Feinde rundum zufrieden gewesen wäre). Den Auftrag gab er an die Wien-Film, weil er glaubte, dass man in der "heim ins Reich" geholten "Ostmark" für den Stoff besonders sensibilisiert sei. Es lag nahe, das bewährte Duo Gustav Ucicky und Gerhard Menzel mit der Realisierung zu betrauen. Ucicky hatte Kassenschlager wie Der zerbrochene Krug (1937) und Der Postmeister (1939/40) inszeniert und gehörte mit einer Gage von 80.000 Reichsmark pro Film zur ersten Liga der Regisseure, zusammen mit Veit Harlan und Wolfgang Liebeneiner. Gerhard Menzel, Schriftsteller und Träger des Kleist-Preises, war einer der Top-Drehbuchautoren und wurde in der Presse als "Filmdichter" gepriesen. Ucicky und Menzel hatten 1932 mit Morgenrot einen von den Nazis sehr goutierten Film über den U-Boot-Krieg gemacht und 1933 mit Flüchtlinge den Prototyp aller NS-Propagandastreifen über von Barbaren drangsalierte und von einer Führerfigur nach Hause geleitete Auslandsdeutsche folgen lassen (in Flüchtlinge bringt Hans Albers die von Russen und Chinesen terrorisierten Wolgadeutschen heim).

Goebbels wirkte offenbar an der Entwicklung mit oder achtete zumindest darauf, dass sich Ucicky und Menzel an die von ihm vorgegebenen Richtlinien hielten (siehe seine Tagebucheintragungen vom 4.2., 16.2. und 2.3.1940). Offiziell angekündigt wurde der "Großfilm" im September 1940. Um keinen Zweifel daran zu lassen, dass Heimkehr ein Prestigeprojekt mit kulturellem Anspruch war, wurden gefeierte Bühnenstars wie das Ehepaar Paula Wessely und Attila Hörbiger engagiert, beide Ensemblemitglieder am Theater in der Josefstadt (später am Burgtheater) und durch ihre Filmarbeit auch dem deutschsprachigen Kinopublikum bekannt. Die erste Klappe fiel am 2. Januar 1941 (zwei Monate nach der Uraufführung von Feinde am 7. November 1940). Gedreht wurde in Wien, im ostpreußischen Ortelsburg und in Chorzele, einem Städtchen im besetzten Polen (nördlich von Warschau). Im März 1941 luden die Wien-Film und die Ufa (Verleih) Pressevertreter zu einem Besuch der Außenaufnahmen ein. Das war Teil der Propaganda. Die so entstehenden Berichte sollten das Publikum auf den Film einstimmen und dazu beitragen, dass die gewünschte Wirkung erzielt wurde. Ein Journalist der Filmwelt (7.3.1941) tat so, als sei das, was er gesehen hatte, eine typisch polnische Stadt. Eigentlich müsste ihm aufgefallen sein, dass die Ausstattungsabteilung ganze Arbeit geleistet hatte:

Chorzele ist eine "Stadt". Die Polen nannten das Nest jedenfalls so, weil hier ein Bürgermeister residierte und weil die Bauern der Umgebung auf dem morastigen Marktplatz ihre Produkte absetzten. Wer hiervon den Profit hatte, das tun die Ladenschilder rings um den Marktplatz kund: auf etwa neun unverkennbar jüdische Namen kommt der Name eines polnischen Händlers. Wen wird es da wundern, daß von den 3000 Seelen Chorzeles rund 2000 zum mosaischen Gott für ein gutes Gelingen ihrer Geschäfte beteten. Im übrigen präsentierte sich uns die "Stadt" in unglaublich verfallenen und schmutzverkommenen Holzhütten, es gab weder Wasserleitung noch ein anderes Zeugnis einer halbwegs modernen Zivilisation […].

Auffallend ist, dass mit jeder neuen Drehbuchfassung das russisch-ukrainische Element ein Stück mehr verschwand. Im fertigen Film ist nur übrig geblieben, dass polnisches Militär zur Grenze unterwegs ist und die Gegend früher zum russischen Hoheitsgebiet gehörte (bis 1921). Alles konzentriert sich auf den Antagonismus zwischen Deutschen und Polen, und es gibt eine von Version zu Version deutlicher werdende antisemitische Tendenz. Über den Antisemitismus wundert man sich, wenn man vorher versucht hat, sich aus den üblichen, leicht zugänglichen Quellen zu informieren. "Heimkehr ist ein deutscher anti-polnischer Propagandafilm von Gustav Ucicky aus dem Jahr 1941", steht aktuell bei Wikipedia. "Die Schilderung angeblicher polnischer Übergriffe auf ‚Volksdeutsche’ in Polen sollte nachträglich den deutschen Überfall auf Polen am 1. September 1939 rechtfertigen", kommentiert das Filmportal, und bei film.at geht es auch nur um die deutsche Minderheit und um die Polen. Was, bitte, ist aus den Juden geworden?

Meine Vermutung: Mit Heimkehr verhält es sich so wie mit den meisten anderen "Vorbehaltsfilmen" auch. Weil sie nicht öffentlich gezeigt werden dürfen, hat sie kaum jemand gesehen, und wer trotzdem über sie schreibt, konsultiert gern mal die alten Filmprogramme. Das ist höchst problematisch, weil diese Programmhefte in einer gleichgeschalteten Presselandschaft Teil der Propaganda waren. Offenbar gab es eine Arbeitsteilung. In Vorberichten und Kritiken zu Heimkehr wurde auf die Juden hingewiesen. In der Inhaltsangabe des Illustrierten Film-Kuriers, dem Programmheft zum Sammeln, werden sie mit keinem Wort erwähnt. Warum? Ich würde sagen: Weil das die beabsichtigte Wirkung intensivierte. Ein Zuschauer, der für sich selber "entdeckt" (mit etwas Lenkung durch Drehbuch, Kamera, Montage und Regie, andere Veröffentlichungen und die Referenten bei den vielen Sondervorführungen), dass die Juden die Wurzel allen Übels sind, wird es überzeugender finden und besser behalten als einer, dem man es zu deutlich vor die Nase hält. Das ist elementare Wirkungspsychologie.

Das Verbot von derzeit etwa vierzig Filmen des NS-Kinos wird, wenn überhaupt, damit begründet, dass sie "gefährlich" sind. Theoretisch ist es wie mit der Büchse der Pandora. Wenn man sie öffnet, kommt in diesem Fall die Nazikrankheit heraus und man wird infiziert. In der Praxis ist es so, dass man sich Heimkehr aus dem Ausland schicken lassen kann. Der Preis liegt zwischen 5 britischen Pfund + Porto (dafür gibt es einen zweiten Vorbehaltsfilm mit dazu) und 40 Euro. Wenn man ein Alt- oder Neonazi ist und andere Alt- oder Neonazis kennt, kriegt man ihn bestimmt auch mal umsonst. Und wenn man keiner ist, kann man Heimkehr bei archive.org herunterladen. Eine gut kommentierte DVD würde ich in dieser Situation vorziehen. Statt sich auf unbewiesene Pandora-Theorien zu verlassen, sollte man wissen, was die Neonazis (und solche, die es werden könnten) ohnehin sehen können, wenn sie es wollen, weil sich nur so eine vernünftige Gegenstrategie entwickeln lässt. Die Deutschen mussten länger in autoritären Gesellschaftssystemen leben als viele ihrer westlichen Nachbarn. So leicht wird man das nicht los. Die Problemlösung per Verbot ist uns lieb und teuer. Wenn aber der Antisemitismus durch das so geschaffene Wahrnehmungsmuster rutscht, sollte man die Verbieterei dringend überdenken.

Bücherverbrennung in Wolhynien

Gerald Trimmel hat ein gutes Buch über Heimkehr geschrieben (Kurzfassung bei Donau-Universität Krems) und interessantes statistisches Material gefunden. Laut einer Volkszählung von 1931 waren in Wolhynien auch die Polen mit einem Bevölkerungsanteil von 16,6 Prozent eine Minderheit. Die Ukrainer brachten es auf 68 Prozent, Juden auf knapp 10 Prozent, die Deutschen auf 2,3 Prozent. Mit den Wolhyniendeutschen, fürchte ich, war insgesamt nicht viel Staat zu machen. Sie waren weniger gebildet als die deutschen Volksgruppen in den anderen Woiwodschaften - nicht, weil sie besonders schlimm unterdrückt wurden, oder weil sie besonders dumm waren, sondern weil Wolhynien besonders rückständig war (den verfügbaren Zahlen nach waren in den frühen 1920ern fast 70 Prozent der über Zehnjährigen Analphabeten, und die Deutschen trugen nicht nennenswert zur Verbesserung des Durchschnitts bei). Mehr über die Wolhynier kann man vermutlich bei einem Besuch des "Umsiedlermuseums" im mecklenburgischen Dorf Linstow erfahren, dessen Internetauftritt noch ausbaufähig ist.

"Heimkehr"

Heimkehr beginnt in Emilienthal, einem Dorf in der Nähe der Stadt Luzk. Die Gegend ist mit Bedacht gewählt. Im echten Luzk gab es seit den 1920ern den "Volksrat der Deutschen in Wolhynien", 1938 umbenannt in "Deutsche Volksvertretung in Wolhynien". Im Gasthof von Emilienthal, dem "Deutschen Haus", muss Dr. Thomas dem Wirt Ludwig Launhardt (Attila Hörbiger) den Blinddarm entfernen. Man fragt sich, warum das nicht im Krankenhaus geschieht - und erfährt später, dass das Hospital keine Deutschen aufnimmt. Marie, die Tochter von Dr. Thomas, ist Lehrerin und die Verlobte von Dr. Fritz Mutius. Am Ende wird sich Launhardt nicht trauen, ihr einen Antrag zu machen, weil er nur ein einfacher Gastwirt ist und nicht studiert hat. So wird suggeriert, dass die höhere Bildung bei den Wolhyniendeutschen die Norm ist. Meinen Informationen nach gehörte das Lesen und das Schreiben eher nicht zu ihren Stärken. (Gern lasse ich mich eines Besseren belehren.)

Für deutsche Kinder gab es die kirchlichen "Kantonatsschulen". 1932 trat in Polen ein Gesetz für Privatschulen in Kraft. Dreißig von den achtzig noch existierenden Kantonatsschulen der deutschen Minderheit konnten so umgewandelt werden, dass sie den neuen Bestimmungen entsprachen und der Schließung entgingen. 1938 waren noch dreiundzwanzig davon in Betrieb. In Heimkehr ist von neuen Regelungen für Privatschulen nicht die Rede. Die Handlung setzt am 27. März 1939 ein. Die polnischen Behörden brauchen ein Gebäude für die Gendarmerie und requirieren das deutsche Schulhaus, als wollten sie bei dieser Gelegenheit den hohen, vom Film erfundenen Bildungsstandard der neidisch beäugten Minderheit rückgängig machen. Deutsche Schulkinder sehen entsetzt dabei zu, wie Tische, Stühle, Bücher, eine Schultafel und ein Globus von den Polen aus den Fenstern geschleudert, auf einen Haufen geworfen und von einem jüdischen Jungen angezündet werden. Ein paar alte Juden mit Kaftan und langem Bart stehen lachend dabei und freuen sich.

Marie Thomas, die Lehrerin, ist einstweilen beim polnischen Bürgermeister und fordert die Rechte ihrer Volksgruppe ein: "Auch in Polen gibt es Gesetze. Gesetze zum Schutz der Minderheiten, auch der deutschen Minderheiten." Das seien gefährliche, aus Deutschland importierte Ideen, erwidert der Bürgermeister, vor denen er nur warnen könne. Nazi-Deutschland als Hort der Minderheitenrechte: Wenn der Film nicht so widerlich wäre, könnte man fast lachen. "Wir dulden", fährt der Bürgermeister fort, "keine staatsgefährlichen Doktrinen von sogenanntem Volkstum." Die Wolhyniendeutschen seien Polen. Und: "Wir wissen genau, woran wir sind … nach den Vorgängen in der Tschechoslowakei." Gemeint ist der Einmarsch im Sudetenland im März 1939, den Hitler mit angeblichen Gräueltaten gegen die deutsche Minderheit begründete (wie den Überfall auf Polen im September 1939).

Plötzlich dringen junge Männer zum Amtszimmer des Bürgermeisters vor, um ihrer Empörung darüber Luft zu machen, dass man ihnen das Schulhaus weggenommen hat. Der Bürgermeister hält für solche Fälle ein Gewehr bereit und wirkt enttäuscht, als es Marie gelingt, die Männer zum Gehen zu bewegen. "Druck erzeugt Gegendruck", sagt er höhnisch. Die Botschaft des Films: Die Polen provozieren in der Hoffnung, dass ihnen die zurecht empörten Deutschen einen Vorwand für weitere Repressalien liefern. Ucicky und Menzel ist auch der Hinweis auf das Sudetenland sehr wichtig. Deshalb wird das einige Minuten später noch einmal aufgenommen. "Die Sache mit der Tschechoslowakei hat die Leute ein bisschen wild gemacht", sagt Dr. Thomas. "Wie alle Menschen, die ein schlechtes Gewissen haben." Soll heißen: Die Deutschen in der Tschechoslowakei wurden terrorisiert, bis Hitler eingriff und dem ein Ende machte. Jetzt fürchten die Polen, dass auch sie für die an den Deutschen begangenen Gräueltaten zur Rechenschaft gezogen werden. Der Rest des Films wird demonstrieren, was das für Gräueltaten sind, warum die Wehrmacht einmarschieren muss und wer da zu ermorden ist.

"Wir kaufen nicht bei Juden!"

Ein Blick auf die Landkarte zeigt, dass es hier nicht um eine nachträgliche Rechtfertigung des Überfalls auf Polen im September 1939 geht, auch wenn das immer alle schreiben. Im deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakt teilten Hitler und Stalin Polen unter sich auf. Der Westen sollte an Deutschland fallen, der Osten an die UdSSR. Luzk, damals die Hauptstadt der Woiwodschaft Wolhynien, lag im Osten und wurde zunächst von der Roten Armee erobert. Knapp die Hälfte der etwa 40.000 Einwohner waren Juden, die Polen zählten einige tausend Köpfe weniger, die Ukrainer lebten mehrheitlich im Umland. Viele der Bewohner, in erster Linie die Polen, wurden deportiert oder Opfer eines Massakers. Am 22. Juni 1941, als Ucicky und seine Filmcrew von den Außenaufnahmen in Chorzele und in Ortelsburg nach Wien zurückgekehrt waren, um im Atelier bis Mitte Juli die fehlenden Einstellungen zu drehen, begann das "Unternehmen Barbarossa", der unter diesem Decknamen vorbereitete Feldzug gegen die Sowjetunion.

Vom 23. bis zum 29. Juni fand in der Nähe von Luzk eine der größten Panzerschlachten des Zweiten Weltkriegs statt. Das ist auch deshalb erwähnenswert, weil die Schlacht von der NS-Propaganda zum großen Sieg über die Rote Armee hochgejubelt wurde. Menzel und Ucicky konnten deshalb auf Kinogeher hoffen, denen der Name der Stadt etwas sagen würde (andernfalls ließ sich daran erinnern). Ende Juni stand die Wehrmacht in Luzk und fand die Spuren des von den Russen begangenen Massakers. In der Folge kam es zu einem Pogrom ukrainischer Nationalisten gegen die jüdische Bevölkerung, das von den Deutschen wenn nicht angestiftet, so doch billigend in Kauf genommen wurde.

Im Gegensatz zu den glorreichen Siegen der Wehrmacht wurde über das, was in ihrem Schatten passierte, in der Wochenschau nicht berichtet. Ich will hier auch nicht behaupten, dass Ucicky und Menzel wussten, was genau sich im polnisch-ukrainischen Grenzgebiet abspielte, wo sie - in Abstimmung mit Dr. Goebbels, der über bessere Informationsmöglichkeiten verfügte - die Handlung ihres Films angesiedelt hatten. Aber bestimmt war ihnen klar, dass die Wehrmacht im September 1939 nicht nach Luzk vorrücken konnte wie in Heimkehr, weil Wolhynien zu Stalins Beuteanteil gehörte und erst von den Deutschen eingenommen wurde, als Ucicky in Wien die letzten Einstellungen des Films drehte. Auch von der Judenverfolgung müssten sie etwas mitbekommen haben.

"Heimkehr"

In der "Deutschen Wochenschau" wiederholte sich das vom September 1939 bekannte Muster: Die Wehrmacht rückt siegreich vor. Die Opfer der bolschewistischen Unterdrückung, zum Beispiel Litauer und Ukrainer, jubeln den Befreiern zu. Die Schuldigen an den vor dem deutschen Einmarsch begangenen Gräueltaten werden identifiziert. Das sind die Juden. Ich war 1941 noch nicht auf der Welt, kann mir aber nicht vorstellen, dass Ucicky, Menzel und die anderen, die zum Gelingen von Heimkehr beitrugen, keine Ahnung davon hatten, was das bedeutete. In Luzk erschoss das von SS-Standartenführer Paul Blobel befehligte Sonderkommando 4a der Einsatzgruppe C der "Sicherheitspolizei" am 2. Juli 1941 1160 jüdische Männer und Knaben zwischen 16 und 60 Jahren. Der Teil der jüdischen Bevölkerung, der noch am Leben war, wurde in ein Ghetto verschleppt. In den Tagen vom 19. bis zum 23. August 1942 wurden etwa 15.000 dieser Menschen in die Polanka-Hügel vor der Stadt getrieben und ebenfalls ermordet. Danach soll es noch ungefähr 500 Juden in Luzk gegeben haben. Die meisten von ihnen wurden später auch getötet.

Damit zurück in das Film-Dorf bei Luzk, wo die Volksdeutschen ihr Martyrium erleiden. Bevor es richtig losgeht, muss noch ein böser Jude her. Marie und die Frau von Manz dem Kutscher kommen auf dem Marktplatz an seinem Stand vorbei, und der Mann bietet ihnen weiße Spitze aus Paris zum Kauf an. Marie lehnt ab: "Nee, Salomonsohn, Sie wissen ja, wir kaufen nicht bei Juden!" Antwort des jiddelnden Händlers im Kaftan:

Wie kennen Se reden so harte Wörter, Fräulein Doktor, wo gerade ich gerne mach e Geschäft mit de Deitschen. Und warum? Weil se sin ehrlich. Das deitsche Volk e großes Volk, e stolzes Volk, na und der Fihrer, der Herr Hitler, ein genialer Mann, ein großer Mann. Nur schade, dass er nix will wissen von uns arme Jiden!

Als die Frauen weitergehen, knurrt ihnen der heimtückische Jude hinterher: "Die Erde soll sich auftun und sie vertilgen wie Korah und seine Rotte!" (Korah: siehe 4. Mose 16). Das ist die einzige Szene des Films, in der ein individualisierter Jude auftritt. Sonst sind es immer "die Juden" als stereotype Gruppe, die im Hintergrund zu sehen sind, wenn die von ihnen angestachelten Polen die Deutschen terrorisieren. Für eine Personifizierung der "jüdischen Weltverschwörung" hatte Goebbels bereits Die Rothschilds und Jud Süß in seinem Hassfilm-Arsenal. Viele Szenen in Heimkehr funktionieren wie ein Suchbild. Wo sind die Juden, wenn die Deutschen drangsaliert werden? Heute, im Jahr 2012, wird sie mancher Zuschauer leicht übersehen, weil wir zum Glück nicht mehr täglich mit rassistischen Karikaturen konfrontiert sind. Im Dritten Reich war das ganz anders.

"Heimkehr"

Es muss sehr wirkungsvoll gewesen sein, wenn der Referent den Kindern in der Jugendfilmstunde die Juden zeigte, die beim Verbrennen des Schulmobiliars dabeistehen, wenn er über das jüdische Weib sprach, das angesichts der polnischen Soldateska kreischend lacht, über den jüdischen Mann, der wie der Anstifter in der Menge steht, als der Mob einen Deutschen tottritt und so weiter. An die Erwachsenen war auch gedacht. Es gab für bestimmte Berufsgruppen angesetzte Sondervorführungen (mit Referent) und dann auch noch die Filmkritiker, die in ihren Besprechungen geflissentlich auf die Juden hinwiesen. Das Kalkül des Films ist offensichtlich. In der ersten Hälfte gibt es die von den Juden aufgehetzten Polen, die Juden als Gruppe, und einen von ihnen, den Händler Salomonsohn, der aus didaktischen Gründen als Individuum präsentiert wird. Nachdem das Muster ausreichend etabliert ist, muss Ucicky die Juden im zweiten Teil nicht mehr zeigen. Da konzentriert er sich auf die Polen, die Gräueltaten und den Heldenmut der Deutschen. Heimkehr wartet dabei mit einem Schockeffekt auf, als dessen Erfinder eigentlich Alfred Hitchcock gilt.

Tod eines Filmstars

Noch ein Geständnis: Ich mag nicht nur Brigitte Horney und Willy Birgel, sondern auch Carl Raddatz, der am 13. März hundert Jahre alt werden würde, wenn er so lange durchgehalten hätte wie Jopie Heesters (sehenswertes Tourjansky-Melo mit Heesters und einer unverschämt selbstbewussten Brigitte Horney: Illusion von 1941). Raddatz hat in schlimmen Filmen mitgewirkt (zu einigen davon werde ich im Verlauf dieser Artikelreihe noch kommen), aber auch in einem der morbidesten und faszinierendsten Melos, das es im deutschen Kino je gab (Opfergang) und dessen kritischer Würdigung der Name des Regisseurs Veit Harlan im Weg steht. Ganz besonders jedoch war er einer von den beiden Havelschiffern, die sich in Helmut Käutners Unter den Brücken in Hannelore Schroth verlieben. Über diesen Film, der 1944 gedreht wurde und der nach dem Zusammenbruch des Dritten Reichs aus den Trümmern auftauchte wie ein kleines Wunderwerk, schrieb die schwedische Zeitung Aftonbladet nach der Stockholm-Premiere im November 1945, er könne "als ein Gruß aus einem anderen Deutschland betrachtet werden". Raddatz trug durch seine Mitwirkung in Heimkehr ganz wesentlich zu einem der widerlichsten Filme des Dritten Reichs bei, und zu einem der schönsten ebenfalls. Die Welt ist komplizierter, als man manchmal denkt.

"Unter den Brücken"

Spätestens seit seiner Hauptrolle in Wunschkonzert, dem Kassenschlager der Saison 1940/41 (26,5 Millionen verkaufte Eintrittskarten), war Carl Raddatz einer der großen Stars des NS-Kinos. Das muss man wissen, um den Schockeffekt zu verstehen. In Heimkehr spielt er Dr. Fritz Mutius, den Verlobten von Marie Thomas. Bei den Deutschen im Ort hat Fritz eine Führungsposition inne. Die gesetzwidrige Enteignung des Schulhauses erzürnt ihn. Der polnische Außenminister Beck ist nach London gereist, um sich die britische Garantieerklärung abzuholen, und danach, meint Fritz (ganz im Einklang mit der Nazi-Lesart, siehe den Vorspann zu Feinde), würde alles noch viel schlimmer. "England hat Polen ‚garantiert’", vermeldet atemlos die Inhaltsangabe (auch ohne Juden) in Das Programm von Heute. "Ganz Polen versinkt in einem fanatischen Rausch." Dagegen, sagt Dr. Mutius, müsse man sich möglichst bald zur Wehr setzen: "Gewalt kann man nur mit Gewalt brechen." Marie ist erschrocken:

Du bist wohl nicht recht gescheit, Fritz. Du zu allerletzt darfst dich vorwagen. Denk daran bitte in jedem Augenblick. Du zu allerletzt, weil du doch die Verantwortung für all die anderen hast, die du hinter dir herziehst. […] Wir müssen uns beherrschen, wenn’s uns auch schwerfällt. Wir dürfen nicht allein handeln nach Gutdünken, nur weil uns der Zorn hochkommt. So zwingen wir ja die anderen, mitzumachen - unvorbereitet und zu unrechter Zeit vielleicht. Alles nimmt dann ein schlimmes Ende. Fritz, lass mich dein guter Engel sein.

Dieser Dialog erfüllt mehrere Funktionen. Das Publikum erfährt, dass ein Führer nicht immer tun darf, was er tun möchte, weil er das große Ganze im Auge haben muss. Eines der Themen des Films wird vorbereitet: Hitler hat die Volksdeutschen nicht vergessen, und nur er weiß, wann die rechte Zeit zum Losschlagen gekommen ist. Es wird demonstriert, dass Volks- wie Reichsdeutsche rechtschaffene und friedliebende Menschen sind, für die Gewalt das letzte aller Mittel ist. Wenn man einen Krieg rechtfertigen will, ist es außerdem geschickt, eine Figur wie Marie zu haben, den guten Engel, der zu geduldigem Verhandeln mahnt und erkennen muss, dass auch ein Engel manchmal das Schwert braucht, weil man mit der Gegenseite nicht verhandeln kann.

Fritz, Marie und ihr Vater fahren mit dem Kutscher Balthasar Manz nach Luzk, um ihr Recht zu fordern. Balthasars Vater spielt Otto Wernicke. Ihn da zu sehen ist besonders traurig, weil er in seiner besten Rolle, als Kommissar Lohmann in M und Das Testament des Dr. Mabuse, einer faschistoiden Unterwelt entgegengetreten war. Goebbels hatte es gern, wenn Leute wie er (oder Heinrich George) in Propagandafilmen mitmachten, weil sie durch ihre bloße Präsenz ein starkes Signal aussandten. Sie war eine Art Beglaubigung des Nazi-Projekts, und eine Demütigung der Antifaschisten, die in der Weimarer Republik auf der anderen Seite gestanden hatten.

In Luzk marschieren Soldaten durch die Stadt. Die Polen machen mobil und haben vier Jahrgänge wehrfähiger Männer eingezogen. Fritz, Marie und Dr. Thomas wollen ihr Anliegen dem Woiwoden vortragen und werden von dessen Sekretär tagelang nur hingehalten. Während Dr. Thomas zu seinen Patienten in Emilienthal zurückkehrt, bleiben Fritz und Marie mit Manz in der Stadt, um Klage einzureichen. Aber vorher wollen sie noch ins Kino. Unterwegs treffen sie Karl Michalek, der vom Feld weg eingezogen und in eine polnische Uniform gesteckt wurde. Michalek schließt sich ihnen an. Im Kino sind sie von Deutschenhassern umgeben. Einer sagt, dass man die deutschen Schweine ausrotten sollte. "Fox’ Tönende Wochenschau" zeigt Bilder von einem Schönheitswettbewerb und dann von einer Militärparade. Alle stehen auf und singen die polnische Nationalhymne, nur die drei Volksdeutschen nicht. Das fanatisierte Publikum zwingt sie, sich auf ihre Sitze zu stellen. Als die Deutschen noch immer nicht bereit sind, die Hymne zu singen, prügeln die Polen auf sie ein.

"Heimkehr"

Die Vorstellung wird unterbrochen, der Kinodirektor ruft die Polizei. Ein Polizist ergreift die Partei des Pöbels, droht den Deutschen mit Verhaftung und ist auch nicht bereit, die Sanitäter zu alarmieren, obwohl Fritz nach einem Tritt in den Bauch schwer verletzt ist. Marie und Michalek schleppen Fritz in das Foyer. Der mitleidlose Direktor verlangt, dass sie ihn sofort aus seinem Kino schaffen, damit ohne weitere Störungen der Hauptfilm starten kann. Auf dem Spielplan steht eine Operette mit Jeanette MacDonald und Nelson Eddy. Weil auch John Barrymore dabei ist, dürfte es Maytime (1937) sein. Wenn ich ein Nazi-Propagandist wäre, würde ich bei einer Indoktrinationsveranstaltung darauf hinweisen, dass das die nach New York verlegte Version von Walter Kollos Wie einst im Mai ist und dann süffisante Bemerkungen über die Amerikaner machen, deren Unterhaltungsindustrie verloren wäre, wenn sie nicht von einer Kulturnation wie der deutschen klauen könnte.

Wichtiger ist allerdings die Produktionsfirma Metro-Goldwyn-Mayer. Die M-G-M, die 1939 noch versucht hatte, sich bei den Nazis einzuschmeicheln, um nicht Teile des europäischen Marktes zu verlieren, schwenkte Anfang 1940 um. Im Juni 1940 hatte der Anti-Nazi-Film The Mortal Storm US-Premiere, So Ends Our Night (nach einem Buch von Erich Maria Remarque) war angekündigt. Die Reaktion ließ nicht lange auf sich warten. Am 14. August 1940 wurde die M-G-M angewiesen, ihre deutschen Büros zu schließen. Der herzlose Kinodirektor steht neben dem gut sichtbaren Logo des Hollywoodstudios. So wird die M-G-M per Assoziation mitschuldig an dem, was die Polen und die Juden den Deutschen antun. Filme, sagt der Hetzfilm, können gegen Minderheiten aufhetzen. Aber das machen nur die anderen. Die Deutschen sind die Opfer.

Michalek hat inzwischen Manz mit seiner Kutsche geholt. Gemeinsam gelingt es ihnen, sich einen Weg durch die Menge zu bahnen, in der wieder einige Klischee-Juden zu erkennen sind. Kommentar im Völkischen Beobachter (9.6.1941): "Die Kaftanträger dieses typischen Judenviertels bestärken die Polen in ihren Anschlägen gegen alles Deutsche." Endlich im Krankenhaus angekommen, muss Marie erfahren, dass die Polen Fritz nicht behandeln wollen, weil er ein Deutscher ist. Rettung verspricht sie sich, als der Sekretär des Woiwoden erscheint. Marie appelliert an ihn als Beamten, der auf die Gesetze vereidigt sei. Der Wille des polnischen Volkes sei das Gesetz, erwidert der Sekretär. Dieses Volk tobt draußen vor dem Krankenhaus und will den Tod der Deutschen. Dem Sekretär scheint die Situation Vergnügen zu bereiten: "Die Deutschen pflegen sich sonst immer recht auffällig als Deutsche aufzuspielen, als hoch über uns stehend. Wie kommen wir zu der Ehre, Sie als Bittende vor uns zu sehen?" Dann weist er das Krankenhauspersonal an, Deutsche nicht mehr aufzunehmen - und demonstriert damit, dass die Polen tatsächlich unter den Deutschen stehen, rein menschlich, denn diese würden das umgekehrt nie tun. Oder höchstens, wenn ein Pole kommt, der es nicht besser verdient hat. Oder ein Jude …

Und jetzt der Schock: Während Marie noch um Hilfe fleht, erliegt Fritz seinen inneren Verletzungen. Fast zwanzig Jahre, bevor Hitchcock Janet Leigh in Norman Bates’ Dusche schickte (Psycho), lässt Ucicky in der Mitte des Films den Star sterben. Im Unterhaltungskino, dessen Regeln auch im Dritten Reich befolgt wurden, ist das ein unerhörter Vorgang. Stars sind die Identifikationsfiguren des Publikums, dem man alle Sicherheiten raubt, wenn man sie plötzlich umbringt. Ucicky nützt diese Verunsicherung sehr geschickt aus. Beginnend mit dem Tod von Fritz Mutius, entwickelt Heimkehr einen beachtlichen emotionalen Sog, der damals - vermute ich - noch viel stärker war als heute. Damit das klappte, brauchte Ucicky einen Star wie Carl Raddatz, der sich für diesen Film hergab und bereit war, in der Mitte der Handlung sein fiktionales Leben auszuhauchen wie sonst nur die Nebendarsteller.

Wie es von da aus weitergeht, dazu zweiten Teil: "Schwierige Heimkehr: Wohin soll er führen, der ewige Germanenzug?"

Im Filmmuseum München findet vom 16. bis zum 18. März 2012 in Zusammenarbeit mit der Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung und dem Bundesarchiv das Link auf ./36484_1.pdf "Vom Umgang mit NS-Filmen" statt. Bei der Diskussion am Samstagabend spricht auch Hans Schmid.

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