Entscheidende Stunden in Kataloniens Bruch mit Spanien
Das Gesetz zum Referendum am 1. Oktober und das Gesetz für den Übergang sollen beschlossen werden, um die Unabhängigkeit sofort einzuleiten, wenn das Ja im Referendum gewinnen sollte
Schon bevor die entscheidenden Stunden in der katalanischen Metropole Barcelona am heutigen Dienstag angebrochen sind, hatte eine rechte spanische Zeitung gestern für Aufregung gesorgt. Der "El Español" veröffentlichte eine Umfrage, wonach die Unabhängigkeitsbefürworter das am 1. Oktober geplante Referendum klar mit 72% gewinnen würden. Und das soll bei einer Teilnahme von über 50% der Wahlberechtigten geschehen. Die Zeitung verweist auch darauf, damit würden andere Umfragen bestätigt. Die hatten bisher eine Beteiligung zwischen 54% und 68% und stets ein klares Ja mit mindestens 62% ermittelt.
Das Ja würde damit am 1. Oktober zwar deutlich unter den 81% liegen, mit dem sich 2014 bei der unverbindlichen Volksbefragung 2014 für die Unabhängigkeit von Spanien ausgesprochen hatten, aber es bliebe ein klares Ja mit einer Beteiligung die deutlich höher läge, obwohl Spanien die Abstimmung erneut verbieten und nun mit allen Mitteln verhindern will.
Das Gesetz zur Durchführung des Referendums wird aller Voraussicht nach heute im katalanischen Parlament beschlossen. Die Unabhängigkeitskoalition verschiedener Parteien, die sich in der Einheitsliste "Junts pel Si (Gemeinsam für das Ja/JxSi) zusammengeschlossen haben, und die linksradikale CUP haben am Morgen beim Parlamentspräsidium die Behandlung des Gesetzes heute beantragt. Den Anträgen wurde in der Sitzung am frühen Dienstag mit einer klaren Mehrheit von 5 gegen 2 Stimmen zugestimmt.
Im Plenum haben Sprecher von JxSi und CUP die Änderung der Tagesordnung beantragt, um das Gesetz per Eilverfahren debattieren und beschließen zu können. Die Änderung wurde inzwischen mit 72 gegen 60 Stimmen und drei Enthaltungen angenommen. Es soll "die Ausübung des Selbstbestimmungsrecht Katalonien in Übereinstimmung mit dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte" ermöglichen. Der Pakt wurde auch von Spanien ratifiziert und das Selbstbestimmungsrecht der Völker ist dort als Menschenrecht verankert, wurde erneut mit dem Völkerrecht argumentiert.
Eilverfahren für wichtige Beschlüsse sind auch in Spanien, Deutschland und anderswo üblich, obwohl sich die Katalanen etwas anderes gewünscht hätten. Das Referendumsgesetz soll nur nach einer Lesung beschlossen werden. Das begründete Marta Rovira für JxSi mit der "Verfolgung durch die spanische Regierung". Um den übrigen Fraktionen aber Möglichkeiten für Veränderungen daran zu geben, beantragte sie "zwei Stunden" für Eingaben.
Präsidentin des katalanischen Parlaments: Verfassungsgericht hat "jede Legitimität verloren"
Gegen das Eilverfahren haben sich die Gegner der Unabhängigkeit gewandt. Damit würden die "Rechte der Fraktionen und Katalanen verletzt", die andere Parteien als die Unabhängigkeitsbefürworter gewählt haben, erklärte Carlos Carrizosa von den rechtsliberalen "Ciudadanos" (Bürger). Ganz ähnlich kritisiert auch die Sektion der spanischen Sozialisten in Katalonien (PSC) das Vorgehen und auch die postfaschistische Volkspartei (PP). Allerdings regiert die PP in Spanien gern mit Eilverfahren und Dekreten. So wurde sogar "ad hoc" im Alleingang der Zuständigkeitsbereich des Verfassungsgerichts ausgeweitet, um katalanische Politiker auch mit Haftstrafen belegen zu können.
Im Laufe des Tages wird es noch einigen Hickhack geben, so wurde die Debatte auf Antrag schon mehrfach unterbrochen, immer wieder musste das Präsidium zusammentreten. Letztlich wird das Gesetz aber mit den Stimmen der CUP und JxSi verabschiedet werden, die im Parlament eine Mehrheit haben. Erwartet wird, dass es dann sofort im Gesetzesblatt veröffentlicht und das Dekret von der katalanischen Regierung für das Referendum erlassen wird.
Da man das in Madrid verhindern will, sitzt nicht nur die Regierung, sondern heute auch das Verfassungsgericht Gewehr bei Fuß, um sofort handeln zu können. Schon deshalb hat die Präsidentin des katalanischen Parlaments einen Befangenheitsantrag gegen alle 12 Verfassungsrichter gestellt. Carme Forcadell, der schon eine Haftstrafe droht, weil sie Debatten im Parlament über die Unabhängigkeit zugelassen hat, lehnt sie wegen ihrer "fehlenden Unparteilichkeit" ab. Das Gericht habe sich in eine "Verlängerung der Regierung" verwandelt und "jede Legitimität verloren", begründet sie ihren Antrag.
Tatsächlich hat das Verfassungsgericht ja sogar die unverbindliche demokratische Volksbefragung 2014 in einem bis dahin ungekannten Eilgang praktisch verboten.
Da aber das Gericht selbst über den Antrag von Forcadell entscheidet, wird damit bestenfalls etwas Zeit gewonnen. An der schnellen vorläufigen "Aussetzung" des Gesetzes und Referendums zweifelt aber eigentlich niemand, was erneut ein praktisches Verbot einer demokratischen Abstimmung wäre. Der Entwurf des Gesetzes, der im Gesetzesblatt "in Behandlung" veröffentlicht worden ist, wurde von allen Parlamentariern von JxSi und CUP unterschrieben. Damit müsste das Verfassungsgericht, wenn es dann wegen Nichtbeachtung der Aussetzung auch Amtsverbote aussprechen will, die Mehrheit der gesamten Parlamentarier und die gesamte katalanische Regierung von ihren Ämtern entbinden. Das würde man in Katalonien als "Putsch" werten, wenngleich die spanische Regierung bis zu ihrem Chef Mariano Rajoy den Katalanen immer wieder vorwirft, einen Putsch vorzuhaben.
Spaniens Regierung schickt den Rechnungshof gegen Befürworter des Referendums
Das Bedrohungsszenario wurde weiter verschärft. Der spanische Rechnungshof verlangt nun von den katalanischen Politikern, die für die Volksbefragung 2014 verantwortlich gemacht und mit Amtsverbot belegt wurden, bis zum 25. September eine Kaution in Höhe von 5,2 Millionen Euro für die angeblichen Kosten zu hinterlegen. Beschränkt wurde das aber nicht nur auf die verurteilten Politiker, sondern auch auf einige hohe Beamte.
Damit sollen alle mit dem Verlust ihrer Existenz bedroht werden, die sich an der Durchführung des Referendums beteiligen. Das ist ein völlig unübliches Vorgehen für Verfahren zu Korruption und Veruntreuung von Steuergeldern. Zudem wurden der ehemalige katalanische Regierungschef Artur Mas und drei seiner Minister nie wegen Veruntreuung angeklagt.
Es ist nur ein weiteres Beispiel, wie in Spanien staatliche Institutionen für politische Ziele der Regierung eingespannt werden. Das kritisieren auch die Korruptionsbekämpfer von Transparency International immer wieder. Auch im Rechnungshof herrscht massive Vetternwirtschaft. Berater sind dort zum Beispiel Manuel Aznar, der Bruder des ehemaligen rechten Ministerpräsidenten, oder Margarita Mariscal de Gante, die seine Justizministerin war. Ein guter Teil der Beschäftigten hat familiäre Beziehungen zu Führungspersonen und untereinander.
Beeindrucken lässt man sich in Katalonien von den repressiven Maßnahmen aber ohnehin nicht mehr. Mit der Verabschiedung des Gesetzes wird eindeutig der Weg des Ungehorsams gewählt. Der katalanische Regierungschef hatte schon angekündigt, dass man eine Amtsenthebung durch das spanische Verfassungsgericht nicht respektieren werde. Ein Referendum sei weder ein "Betrug" noch ein "Putsch", wies Carles Puigdemont die Vorwürfe aus Madrid zurück. "Mit Wahlurnen führt man niemals einen Staatsstreich aus, sondern es wäre ein Staatsstreich, ein Referendum zu verbieten", erklärte er mit Blick auf Großbritannien oder Kanada, wo Schottland und Quebec Referenden über die Unabhängigkeit mit Blick auf das "demokratische Prinzip", auf dem die Verfassung steht, erlaubt wurde.
Die CUP-Sprecherin Anna Gabriel sieht in repressiven Maßnahmen aus Spanien sowie in der erwarteten Aussetzung des Referendumsgesetzes durch das Verfassungsgericht nur noch einen "Motor" für den "Ungehorsam", hat sie auf einer Pressekonferenz vor der Parlamentssitzung erklärt. Es gehe aber jetzt darum "Mauern und Schranken zu überwinden". Das sei unmöglich, wenn man nicht gegen "ungerechte Gesetze" verstoße, habe die Geschichte gezeigt. Spanien habe "keinerlei Bereitschaft zum Dialog" gezeigt, stattdessen würden Katalonien alle Rechte abgenommen, sagte sie für die CUP im Parlament.
Noch nicht geklärt ist, ob heute auch noch das Übergangsgesetz zur Loslösung von Spanien beschlossen wird, dass sofort zur Anwendung kommen soll, wenn am 1. Oktober das Ja gewinnt, wie es die Umfragen zeigen. Die CUP-Sprecherin hat das zwar angekündigt, weshalb man sich auf einen "langen Tag" einstellen müsse. Einige Beobachter meinen allerdings, dieses Gesetz werde erst auf einer außerordentlichen Parlamentssitzung am Freitag beschlossen.
Das ist der letzte Werktag vor dem Nationalfeiertag am kommenden Montag. Es wird schon jetzt erwartet, dass die Demonstrationen an diesem Tag alles bisher Gesehene in den Schatten stellen werden. Im vergangenen Jahr demonstrierten erneut eine Million Menschen für ein Katalonien als unabhängigen Staat in Europa.