Unabhängigkeitsbewegung gewinnt Wahlen in Katalonien
Die linksradikale CUP hat nun wie erhofft den Schlüssel in der Hand, um den Weg in die Unabhängigkeit zu bestimmen
Auch wenn die großen spanischen Parteien den Wahlen in Katalonien stets das Attribut "plebiszitär" abgesprochen haben, machte schon die Rekordbeteiligung am Sonntag klar, dass die Bevölkerung in der Region im Nordosten die Bedeutung verstanden hat. Mit 77% Prozent war sie so hoch wie nie zuvor, schließlich wollten die Unabhängigkeitsbefürworter sie zu der Abstimmung über die Unabhängigkeit machen, die in Spanien genauso verboten worden war wie eine unverbindliche Volksbefragung.
Die Unabhängigkeitskoalition verschiedener Parteien, die sich in der Einheitsliste "Junts pel Si" (Gemeinsam für das Ja) zusammengeschlossen haben, hat ihr Ziel erreicht. Die Liste hat die Wahlen mit 40% und 62 Parlamentariern klar gewonnen. Das erklärte der bisherige katalanische Präsident Artur Mas, der den Weg Kataloniens in die Unabhängigkeit fortsetzen will. "Das Ja hat gewonnen, die Demokratie hat gewonnen", erklärte er. Die Einheitsliste habe damit eine "enorme Legitimität voranzugehen".
Doch Mas und die Einheitsliste hängen nun vollständig von den linksradikalen Unabhängigkeitsbefürwortern ab. Genau das Ergebnis hatte die CUP im Gespräch mit Telepolis erhofft ("Schlüssel zur katalanischen Unabhängigkeit"). Sie hätte sich zwar gefreut, wenn beide Formationen gemeinsam auf mehr als 50% gekommen wären, doch ihr war ohnehin klar, dass die Basis der Unabhängigkeitsbewegung verbreitert werden muss. Die "Kandidatur der Vereinten Bevölkerung" (CUP) konnte ihre Sitze von drei auf zehn mehr als verdreifachen. Die Antikapitalisten, die sowohl aus der EU und dem Euro aussteigen wollen, kamen nun auf gut 8%.
Die CUP hat damit praktisch alle Ziele erreicht. Denn sie will auch verhindern, dass der Christdemokrat Mas weiter am Steuer sitzt und dem Kurs in die Unabhängigkeit einen konservativen Stempel aufdrückt. Mas kann praktisch nicht erneut gewählt werden. Die CUP verweigert ihm die Stimmen. "Es ist klar, dass Mas und seine Partei der Steuerhebel entrissen werden muss. Er kann nicht wieder Präsident werden", hatte der CUP-Sprecher Quim Arrufat im Telepolis-Gespräch erklärt.
Die CUP setzt nun auf die Verbreiterung der sozialen Basis auf dem Weg in die Unabhängigkeit Kataloniens. Nun stehe die Rettung der einfachen Leute mit einem "Aktionsplan" auf dem Programm, damit alle wieder genug zum Essen haben. Es dürfe keine Zwangsräumungen, Kürzungen im Sozial-, Gesundheits- oder Bildungssystem geben. Gesetzt wird unter anderem auf zivilen Ungehorsam. Die Ergebnisse hätten die "Souveränität" des Landes deutlich gemacht, fügte der CUP-Chef Antonio Baños am Sonntag vor begeisterten Anhängern in Barcelona an.
Ab morgen sollen "ungerechte Gesetze" aus Madrid "missachtet" werden. "Wieder einmal haben die Katalanen eine Revolution eingeleitet." Niemand werde mehr über sie bestimmen, denn die "Autonomie hat die Sterbeurkunde erhalten" und die "katalanische Republik" werde geboren. Die CUP versteht sich als Beschleuniger des Unabhängigkeitsprozesses mit sozialem Gehalt.
Möglich wäre, dass der Chef der Republikanischen Linken (ERC) Oriol Junqueras als Konsenskandidat zwischen der Einheitsliste und CUP zum Präsident gewählt wird. Denn die ERC ist das zweite Schwergewicht in Junts pel Si und steht der CUP inhaltlich deutlich näher als Mas und seine CDC. Bei den Europaparlamentswahlen 2014 überflügelte die ERC erstmals die Christdemokraten, denen seither mit der Unio sogar noch ein Flügel abhandengekommen ist. Diese Formation versuchte es im Alleingang und wurde dafür mit 2,5% aus dem Parlament geworfen. Sie tritt zwar für das Selbstbestimmungsrecht ein, tut sich aber mit der Unabhängigkeit schwer.
Podemos verliert, Ciudadanos entwickeln sich auch in Katalonien zur Protestpartei
Fatal muss man auch die Ergebnisse für Podemos bezeichnen. Weil die Formation sich in der Frage der Unabhängigkeit nicht wirklich festgelegt hat, obgleich sie für das Selbstbestimmungsrecht eintritt, wurde auch sie abgestraft. Anders kann man das sehr schwache Ergebnis der Koalition "Katalonien kann es" nicht bezeichnen, in der Podemos kandidiert hat. Dort trat sie gemeinsam mit der linksgrünen "Initiative für Katalonien" (ICV) und anderen Parteien an. Doch die ICV kam allein 2012 auf knapp 10% und 13 Sitze. Gemeinsam mit Podemos waren es nur noch 9% und 11 Sitze. Mit der Unabhängigkeitsanhängerin Ada Colau stürmte die Koalition allerdings noch im Mai mit 25% das Rathaus von Barcelona.
Colau hielt sich wie andere komplett aus diesem Wahlkampf heraus. Das Kalkül, für das Selbstbestimmungsrecht zu werben und sogar einen klaren Unabhängigkeitsbefürworter zum Spitzenkandidat der Koalition zu machen, hat nicht gezogen. Mit der Verteidigung des Syriza-Kurss in Griechenland ist auch deutlich der Lack bei Podemos ab (Tsipras oder Meimarakis?). Viele Katalanen glauben jedenfalls nicht mehr daran, dass mit Podemos wirklich ein Wandel zu erwarten ist und haben auf die klar argumentierenden CUP oder ERC in der Einheitsliste gesetzt.
Angesichts der unklaren Haltung zur Unabhängigkeit bei ICV, Podemos und Unio ist auch die einfache Rechnung absurd, die nun in Madrid aufgemacht wird. Dort rechnen die Sozialdemokraten (PSOE) und die rechte Volkspartei (PP) einfach die 13 Prozent und die Stimmen anderer kleinerer Parteien zu einem "Nein". Dabei haben diesen Wahlen stets den plebiszitären Charakter abgesprochen. Die "Mehrheit der Katalanen" habe gegen die Unabhängigkeit gestimmt, meinte der PP-Sprecher Pablo Casado. Er kündigte an, weiter "die Einheit Spaniens" zu verteidigen. Das wird schwerer, denn die PP stürzte von 13% weiter auf 8,5% und 11 Sitze ab. Sie verlor acht Sitze, wurde knapp vor der CUP fünftstärkste Kraft. Das ist ein weiteres Alarmzeichen für die PP vor den Parlamentswahlen im Dezember. Denn sie hat schon im Mai bei den Regionalwahlen fast alle Regionen verloren.
Man fragt sich auch bei den Sozialdemokraten, wie sie zu ihren Interpretationen kommen und warum sie nicht einfach ein demokratisches Referendum zulassen, wie es sogar die britischen Konservativen in Schottland erlaubt haben. Denn auch die PSOE hatte beim Verfassungsgericht sogar das Verbot der Volksbefragung beantragt. Trotz allem macht auch der Parteichef Pedro Sánchez auf Sieg, obwohl seine Sektion in Katalonien wegen der Politik weiter abgestürzt ist.
Die Partei, die einst die Region regieren konnte, kam nun nur noch auf knapp 13% und 16 Sitze. 2012 waren es schon miese Ergebnisse mit 14,5% und 20 Sitzen gewwesen. "Diejenigen, die nach Sitzen gewonnen haben, haben nicht nach Stimmen gewonnen, also haben sie das Plebiszit verloren", sagte Sánchez, der sich zuvor stets geweigert hatte, von einem Plebiszit zu sprechen. Man wird es Sánchez nicht glauben, dass er den Staat reformieren will, um den Regionen ein Mitspracherecht zu geben. Das hatte schon Zapatero vor den Wahlen 2004 versprochen. Doch auf die geplante Umwandlung des Senats in eine Art Länderkammer nach deutschem Vorbild wartet man noch heute.
Die Stimmen der PP und der PSOE wanderten zu den spanischen Nationalisten der Ciudadanos (Bürger) ab. Die können sich ebenfalls als Sieger fühlen. Sie konnten ihren Stimmenanteil von knapp 8% auf knapp 18% mehr als verdoppeln. Sie sind nun nach Junts pel Si mit 25 Sitzen sogar zweitstärkste Kraft. Allerdings ist der Abstand zu deren 62 Sitzen enorm. Damit haben die rechten spanischen Nationalisten, die sich vor allem aus PP-Abgängern speisen und auch Neofaschisten und Rassisten auf ihren Listen haben (Zweiparteiensystem in Spanien wird beerdigt), aber ihr Ziel verfehlt. Denn sie wollten mit PP und PSOE verhindern, dass die Unabhängigkeitsbefürworter regieren und den Prozess fortsetzen können.
Bei vielen Wählern ist offenbar noch nicht angekommen, dass die "Bürger", die auch "PP 2.0" genannt werden, die Korruption nicht wirklich bekämpfen und kaum eine Erneuerung darstellen. Es ist eher eine neoliberale junge PP mit neuem Anstrich. Die Ciudadanos haben die von Korruption zerfressenen PP nach den Regionalwahlen im Mai wieder an die Macht gebracht (Schwierige Regierungsbildungen in Spanien).
Doch vor allem für die PP werden die "Bürger" zum großen Problem. Sie schälen sich unter ihrem ehemaligen PP-Mitglied Albert Riveras zur Alternative vor den Parlamentswahlen heraus. Auch die Sozialdemokraten und besonders Podemos beobachten den Aufstieg der PP 2.0 mit großer Sorge, da die beiden Rechtsparteien eventuell gemeinsam nach den Wahlen den Kurs fortsetzen könnten, der seit Jahren die Kosten der Krise auf die einfache Bevölkerung abwälzt. Denn anders als es Podemos wollte, entwickeln sich auf nationaler Ebene immer stärker die Ciudadanos als Protestpartei.