Entschulden und Aufrüsten

Das Beispiel Afrika zeigt: Die Entwicklungspolitik der G8-Länder steht noch immer vor neuen Herausforderungen und alten Problemen

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Kofi Annan hat dieser Tage bewiesen, dass komplexe Sachverhalte auf einen simplen, allgemein verständlichen Nenner gebracht werden könnten, wenn der politische Wille wenigstens gelegentlich zu verbindlichen Aussagen bereit wäre. „Wir brauchen keine neuen Versprechungen, es reicht, wenn die alten gehalten werden“, erklärte der Generalsekretär der Vereinten Nationen mit Blick auf die berühmten Millenniums-Ziele, mit deren Hilfe die Weltgemeinschaft unter vielem anderem eine Halbierung der Armut bis 2015 erreichen wollte.

In der Realität zeigt sich allerdings, dass zumeist weder die alten noch die neuen Versprechungen gehalten werden. Nach einer aktuellen Berechnung des Kinderhilfswerks UNICEF sterben alljährlich allein in den Ländern südlich der Sahara 4,7 Millionen Kider unter fünf Jahren an Krankheiten, die eigentlich heilbar wären, Unterernährung oder AIDS. In Botswana, Kamerun, der Elfenbeinküste, Kenia, Südafrika, Swasiland und Simbabwe ist die Kindersterblichkeit in den letzten Jahren sogar gestiegen, in zehn weiteren Ländern befindet sie sich auf dem Stand von 1990.

Bild: Unicef

Die führenden Industrienationen wollten ihre Entwicklungshilfe seit geraumer Zeit auf 0,7 % des Bruttoinlandsprodukts erhöhen, verfehlen dieses Ziel aber bei weitem (Die "Phantomgelder" der Entwicklungshilfe). Aktuell zahlt Deutschland 0,28%, während es die USA bei 0,16% und Italien bei 0,15% bewenden lassen. Bislang liegen nur Dänemark, Norwegen, Schweden, Luxemburg und die Niederlande über der vereinbarten Grenze. Das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) hat überdies festgestellt, dass die Auslandshilfe der früheren G7-Staaten von 1990 bis 2003 von 81 auf 74 Dollar pro Person gefallen ist, während sich das Pro-Kopf-Einkommen in den Geberländern im gleichen Zeitraum um 7.835 Dollar erhöht hat. Die Militärausgaben seien pro Einwohner sogar um 168 Dollar gestiegen.

Beim G8-Treffen im schottischen Luxushotel Gleneagles soll nun eine von vielen Kehrtwenden eingeleitet werden. Der britische Premierminister Tony Blair will sich nicht nur als überzeugter Europäer, sondern offenbar auch als begeisterter Weltbürger präsentieren und verlangt einen regelrechten „Marshall-Plan für Afrika“. Dieser sieht vor, dass die Industriestaaten ihre Hilfsgelder für Afrika bis 2010 auf 50 Milliarden Dollar jährlich erhöhen und bis 2015 auf 75 Milliarden Dollar ansteigen lassen. Darüber hinaus sollen die Agrarsubventionen der EU drastisch gesenkt werden, um den Markt zu liberalisieren und so auch afrikanischen Produzenten größere Handlungsspielräume zu geben.

Schon im Vorfeld der Gipfelkonferenz einigten sich die Finanzminister darauf, 14 Ländern insgesamt 40 Milliarden Dollar Schulden zu erlassen (Der Süden weiter im Minus), und die mit viel Aufwand in Szene gesetzten Live-8-Konzerte - „Make Poverty History“ - lieferten dazu die passende Begleitmusik. Die Staats- und Regierungschefs der Afrikanischen Union verkündeten am Dienstag dieser Woche dann ihrerseits ein Ende der Bescheidenheit und verlangten zum Abschluss eines Treffens im libyschen Sirte einen vollständigen Schuldenerlass in Höhe von 350 Milliarden Dollar und obendrein zwei ständige und fünf nicht-ständige Sitze im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen.

Bei so viel prinzipieller Übereinstimmung mochte nicht einmal der Papst abseits stehen. „Die Völker der reichen Länder müssen dazu bereit sein, die Bürde des Schuldenerlasses der armen Länder auf sich zu nehmen“, erklärte Benedikt XVI. in einer Stellungnahme, die vom schottischen Kardinal Keith OŽBrian in Edinburgh verlesen wurde.

Gleichwohl bezweifeln viele Beobachter, dass die Probleme der Entwicklungsländer, zu denen übrigens nicht nur die afrikanischen zählen, allein durch finanzielle Unterstützung zu lösen sind. In einer Rede im Londoner International Institute for Strategic Studies kritisierte Nicky Oppenheimer, der Chef des südafrikanischen Diamantenkonzerns De Beers, die Entwicklungspolitik der Industrieländer in ungewohnter Schärfe. Die „eurocentric whites“ gebärdeten sich ebenso selbstherrlich wie die früheren Kolonialherren und nähmen nicht zur Kenntnis, dass Afrika trotz einer Billion Dollar Entwicklungshilfe in den vergangenen 50 Jahren heute schlechter gestellt sei als je zuvor. Der Kontinent benötige stattdessen gezielte Investitionen in Bildungs- und Gesundheitsprogramme und eine Absenkung der Zölle und Subventionen in Europa und den Vereinigten Staaten.

Weil ich Afrikaner bin, nehme ich mir das Recht zu sagen: Afrika existiert nicht einfach nur, um Menschen in Großbritannien oder irgendwo anders in der entwickelten Welt, ein gutes Gewissen zu verschaffen.

Nicky Oppenheimer

Wenigstens in diesem Bereich scheint ein Konsens nicht mehr ausgeschlossen zu sein. Tony Blairs Forderung nach einem deutlichen Subventionsabbau beinhaltet schließlich auch die Erkenntnis, dass Entwicklungshilfe nicht mehr allein mit Kreditzahlungen gestaltet werden kann. Eine Neuorientierung, die nicht nach dem Gießkannen-Prinzip arbeitet, ist umso wichtiger, als in vielen afrikanischen Ländern die rechtlichen und organisatorischen Strukturen fehlen, um die Gelder optimal einzusetzen, wenn sie nicht ohnehin in den dunklen Kanälen der Bürokratie und Korruption verschwinden und die dortigen Empfänger ermutigen, auf eigene Reformbestrebungen zu verzichten. Darüber hinaus können sie die lokalen Märkte negativ beeinflussen, wenn diese von Produkten aus den reichen Industrieländern überschwemmt werden. Eine neue Mischung von Krediten und Zuschüssen wäre deshalb wohl ebenso sinnvoll, wie die generelle Zweckgebundenheit, damit das Prinzip „Hilfe zur Selbsthilfe“ endlich greifen kann.

Bild: amnesty international

Mit Waffen überschwemmt

Doch ist das überhaupt die Absicht der G8-Staaten? Ende Juni veröffentlichten amnesty international, Oxfam und das Internationale Aktionsnetznetzwerk zu Kleinwaffen IANSA einen Bericht, der das Versprechen, die Entwicklungsländer dauerhaft bei einer positiven Entwicklung zu unterstützen, ad absurdum führt. Demnach stammen 84 % aller weltweit gehandelten Waffen, Munitionsvorräte und militärischen Ausrüstungen aus genau den Staaten, die der Welt als Vorbild dienen wollen.

Hunderttausende von Menschen werden jedes Jahr durch den Missbrauch von Waffen, die aus G8-Staaten stammen, getötet, gefoltert, vergewaltigt und vertrieben. Was ist das wohlfeile Bekenntnis der G8-Regierungen zur Bekämpfung von Armut und Ungerechtigkeit wert, wenn sie selbst Waffenverkäufe an Unrechtsstaaten, in Kriegsgebiete oder an Länder genehmigen, die kaum ihre Bevölkerung ernähren können?

Paul Bendix, Geschäftsführer von Oxfam Deutschland

Auch Deutschland hat als einer der fünf größten Waffenexporteure der Welt unter einer rot-grünen Bundesregierung Lieferungen in Länder genehmigt, in denen schwere Menschenrechtsverletzungen begangen wurden, so zum Beispiel nach Ägypten, Kuwait, Sudan, Malaysia, Mexiko, Saudi-Arabien, Thailand oder in die Vereinigten Arabischen Emirate.

Welche verheerenden Auswirkungen eine solche Politik auf lange Sicht haben kann, zeigt eine der gefährlichsten Krisenregionen Afrikas. amnesty weist in einem weiteren aktuellen Bericht nach, dass die Region der sogenannten „Großen Seen“ von illegalen Waffen aus Osteuropa, dem Balkan, Südafrika, Großbritannien und den USA geradezu überschwemmt wird. Trotz eines UN-Embargos erreichen sie die afrikanischen Interessenten und werden bei den Konflikten in der Demokratischen Republik Kongo (DRK), Ruanda oder Uganda eingesetzt. Auch hier könnte – durch scharfe Kontrollen und glaubwürdige Strafandrohungen – Entwicklungshilfe geleistet werden, doch über diese Möglichkeit wird in Gleneagles gar nicht diskutiert.

Millionen von Menschen haben in sieben Jahren Krieg in der DRK bereits ihr Leben verloren. Dennoch geht der Verkauf von Munition und Waffen an die kämpfenden Regierungen und Milizen weiter – und damit die Tötungen, Vergewaltigungen und Vertreibungen der Zivilbevölkerung. Wenn die internationale Staatengemeinschaft, die UN und die Nachbarstaaten die Rüstungstransfers nicht unterbinden, wird der 2002 ausgehandelte, ohnehin wackelige Friedensprozess zusammenbrechen, mit katastrophalen Folgen für die Menschenrechte.

Mathias John, Rüstungsexperte von amnesty international