Er lebe hoch, der tote Lumpenprolet!

Seite 3: Warum Arno Dübel ein besseres Leben verdient hätte

Der dialektische Materialismus sollte nicht hinter dieser Erkenntnis zurückfallen, nur weil es einige Marx'sche Sansculottisten immer wieder in den Fingern juckt, ihren mit Neid behafteten Fremdstolz auf irgendwelche von der Hartz-Life-Propaganda geförderte Verelendete zu richten.

Man sollte um Arno Dübel trauern, weil er ein besseres, gehaltvolleres, aktiveres, schöneres Leben hätte haben können als das des schon mittags betrunkenen Sozialwohnungsinsassen vor dem Trash-TV-Programm.

Ein Leben, das etwa der Sozialismus herstellen könnte, dessen selbsternannte Vertreter sich aber heute über die Opfer des Kapitalismus lustig machen, indem sie dessen Symptome zum Widerstand gegen ihn schönlügen.

Marxisten taten immer gut daran, im Sinne der Klassentheorie das Lumpenproletariat auch als solches zu bezeichnen. Aber jene kulturkritischen Sansculottisten, die sich für die besseren Marxisten halten, sind längst identitätspolitisch und zudem tonangebend geworden: Für sie gelten die bildzeitungskonform zusammengeschusterten Stereotyp-Arbeitslosen – zumindest, solange sie sich nicht in ihrer Nachbarschaft, sondern in den Medien aufhalten – als Helden einer längst entmarxten Arbeitswertlehre.

Und schwerkranke sowie obdachlose Alkoholiker, früher "Penner" genannt, geraten ihnen im besten Sozialpädagogenjargon nun zu "Wohnungslosen", damit ihr Elend besser verharmlost werden kann. In ihrer Sprache pennt der aufs Pennen reduzierte Mensch nicht mehr, er wohnungslost.

Zwar sind der entscheidende Ton und die Manier, womit man sich das Ansehen eines marxistischen Geistes zu geben denkt, in dem Kreise dieser linken Kritik nichts weniger als neu; aber auch die Rückfälle einzelner Menschen in ein roheres Zeitalter, in welchem der schnöde Mammon nichts und die Gutwilligkeit des Typs alles galt, sind zu bemerken.

Arno Dübel hat die würdigend gemeinten Nachrufe modernster Arbeitsmarkt-Maschinenstürmer nicht verdient. Diese entwürdigen ihn vielmehr, indem sie ihn nur als Maskottchen für die Darstellung ihrer wertkritisch camouflierten Arbeitsverachtung ernst nehmen. Und indem sie gerade jene Eigenschaften an ihm, die fremdbestimmt und entfremdet waren, als seine ureigensten Charaktermerkmale darstellen.

Das Ideal solcher Linken scheint zunehmend der staatlicherseits in wahlweise Homeoffice oder Quarantäne untergebrachte Stubenhocker zu sein, der sein Schicksal still erträgt, aber laut im Social-Media-Raum aufbrüllt, wenn am anderen Ende der Welt ein alter, weißer Sack Reis umfällt.

Solche Existenzen gefährden weder die Produktionsverhältnisse noch das Selbstverständnis der herrschenden Klassen sogenannter westlicher Sozialstaaten als Mildtätige.

Selbstverständlich muss die Würde eines Menschen wie Arno Dübel gegen reaktionäre Ressentiments verteidigt werden. Aber ebenso gegen die lebensreformerischen Romantiker der Totalverweigerung, welche sich dann irgendwann eben auch die eigene Würde verweigert.

Zumindest für Linke, die noch ein paar Zentimeter über den Tellerrand des Gegebenen zu blicken gewillt sind, kann sich die Auseinandersetzung mit Wohlstand und Armut, mit Arbeit und Ausbeutung, mit Verweigerung und Teilhabe nicht in der bloßen Verteidigung der seinerseits aus bürgerlich-liberalen Vorstellungen zurechtgeschusterten Projektionen eines – angeblich – glücklich-arbeitslosen Lebens erschöpfen.

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