Erdogans Kriege und die Naivität der Bundesregierung
Peshmerga setzen bei rechtswidrigen Einsätzen deutsche Waffen gegen Eziden im Shengal ein
Die Türkei hat eine der größten Militäroperationen der vergangenen Jahre im Südosten der Türkei gestartet. Die Nachrichtenagentur afp meldete unter Berufung auf Sicherheitskreise, es ginge um die "Neutralisierung" von PKK-Kämpfern und ihrer Komplizen. Im Nordirak rücken türkische Truppen im Verbund mit den KDP-Peschmerga Richtung Shengal-Gebirge vor. Zur Ausrüstung gehören deutsche Waffen.
Mit Hubschraubern und Panzerfahrzeugen gegen die Dorfbevölkerung
Mehr als 7.000 Soldaten, Spezialeinheiten und Polizisten sollen in Lice, in der Provinz Diyarbakir, zum Einsatz gekommen sein. Für mehr als 18 Dörfer gilt seit Sonntagabend der Ausnahmezustand und eine strenge Ausgangssperre. Dies meldete der Gouverneur der Provinz Diyarbakir. Die Militärs rückten mit Dutzenden Hubschraubern und Panzerfahrzeugen vor. Dabei soll es um die "Neutralisierung" von PKK-Mitgliedern und ihren Komplizen gehen, die sich in den Wäldern und Bergen versteckt halten sollen. Tatsächlich sind aber die kurdischen Bewohner und Bewohnerinnen der Dörfer betroffen, denn diese befinden sich in der waldreichen und bergigen Region.
Militäroperationen werden auch in der Provinz Elazig gemeldet. Diese Großoffensive meinte Regierungschef Yildirim wohl, als er am Sonntag sagte: "Man kann das Licht am Ende des Tunnels sehen. Der Terror hat einen großen Schlag erhalten. Ich verspreche euch, dass die Organisation (die PKK) nach dem 16. April enden wird ... "
Die demokratische Regionalpartei DBP und die HDP baten um internationale Unterstützung, da sie ähnliche Massaker befürchten, wie sie vor kurzem in den Dörfern Xerabê, Bava und Talatê in der Provinz Nusaybin geschahen. Bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt gibt es keine Nachricht aus den Dörfern. Die HDP/DBP riefen NGOs, internationale Institutionen und Organisationen dazu auf, zu intervenieren, bevor es zu spät ist.
Mit deutschen Waffen gegen Eziden im Shengal-Gebiet
Nicht nur in ihrem eigenen Land geht die Türkei gegen vermeintliche PKK-Mitglieder "und ihre Komplizen" vor - und meint damit jene Kurden und Kurdinnen, die sich für Demokratie einsetzen. Im Nordirak sollen dort stationierte türkische Truppen im Verbund mit Barzanis Rojava-Peschmerga (Roj-Pesch) vom Norden aus Richtung Shengal vorrücken. Auf Twitter werden Fotos gepostet, die zeigen, wie die Roj-Pesch mit dem "Graue Wölfe-Gruß", dem Zeichen der faschistischen Grauen Wölfe der Türkei, vor der Kamera posieren.
Telepolis berichtete am Sonntag, dass 80 Roj-Pesch sich geweigert haben, an dem Bruderkrieg gegen die Eziden (Jesiden) teilzunehmen und dass sie von Barzanis Geheimdienst an einen unbekannten Ort gebracht worden seien. Gestern berichtete ANHA, dass sie dem türkischen Geheimdienst MIT übergeben wurden. Lokalen Quellen zufolge wurden sie über den Khabur-Grenzübergang den Türken übergeben. Mehrere Krankenwagen begleiteten die Übergabe. Die lokalen Berichterstatter sind besorgt über den Gesundheitszustand der jungen Männer.
Zudem sollen 8.000 KDP-Peschmergas, ausgerüstet mit deutschen Waffen, im Shengal einmarschiert sein. Mindestens fünf ezidische Zivilisten wurden durch deutsche Waffen getötet, Dutzende verletzt. Wieder flüchten die Eziden ins Shengal-Gebirge, diesmal nicht vor dem IS, sondern vor den kurdischen Rojava-Peschmergas von Barzani, die sich aus syrischen Kurden muslimischen Glaubens zusammensetzen und politische Gegner der "Demokratischen Föderation Nordsyrien" wie auch der PKK sind.
Sie wurden - unterstützt vom türkischen Geheimdienst - in die Stadt Khansor (Xenêsorê), im Norden des Shengals, beordert. Das ist eine Kleinstadt, die von den ezidischen Einheiten YBŞ- und PKK-Kämpfern vom IS befreit und seitdem von ihnen verwaltet wurde. Dort kam es zu schweren Gefechten zwischen den Roj-Pesch und den ezidischen Einheiten.
Die KDP-nahe Nachrichtenagentur Rudaw veröffentlichte Bilder, die belegen, dass die Peschmerga deutsche Waffen gegen Eziden einsetzen. Deutschlands Verteidigungsministerin von der Leyen begründete die Waffenlieferungen und Ausbildung der Barzani-Peschmergas unter anderem mit dem Schutz der Eziden.
Ursula von der Leyen im falschen Bild
Im deutschen Fernsehen bestand die Verteidigungsministerin damals darauf, entgegen zahlreicher Video- und Fotodokumentationen und Augenzeugenberichte, die Peschmerga, nicht die PKK oder die syrischen YPG/YPJ, hätten den Fluchtkorridor für die Eziden freigekämpft.
Noch im Januar diesen Jahres Januar rechtfertigte Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) im Bundestag ihre Entscheidung, die Ausbildung der Peschmerga durch rund 150 deutsche Soldaten weiterzuführen.
"Es war richtig, die Kurden, das heißt die Peschmerga, auszurüsten und dies mit Ausbildung, ganz eng begleitet, zu kombinieren", sagte die Ministerin im Parlament. "Die Peschmerga haben viel Mut bewiesen. Sie haben als Erste den IS gestoppt, sie haben ihn empfindlich zurückgeschlagen, und sie haben Territorium zurückgewonnen."
Wie peinlich. Denn nun bewahrheiten sich die Befürchtungen der Kritiker dieser Politik, wie zum Beispiel des Abgeordneten der Linken, Jan van Aken. Ezidipress dokumentierte die deutschen Waffen, die bei den Roj-Pesch zum Einsatz kommen.
Sie verfügen demnach über gepanzerte Fahrzeuge des Typs Dingo 1. Ein Video zeigt, wie zwei PKK-Kämpfer versuchen, den Dingo beim Einmarsch nach Khansor aufzuhalten - sie wurden beide erschossen. Deutsche G36-Gewehre gehören zu ihrer Ausrüstung und kamen in Khansor gegen ezidische Einheiten zum Einsatz, wie ein Video von Rudaw zeigt. Auch deutsche Maschinengewehre wurden bei dem Angriff gegen die Stadt eingesetzt. Die Peschmerga verfügen über mindestens 50 MG 3 aus Deutschland.
Bundesregierung alarmiert und hilfos
Die Roj-Pesch sind - im Gegensatz zu den ezidischen Einheiten YBŞ - keine vom irakischen Zentralstaat anerkannte Miliz. Die Stadt Khansor ist zudem offiziell Teil des irakischen Staates. Das bedeutet, die Peschmerga-Einheit befindet sich rechtswidrig auf irakischem Staatsterritorium. Der Spiegel berichtet ebenfalls von Filmaufnahmen der kurdischen Nachrichtenagentur ANF sowie dem Fernsehsender Rudaw aus der Stadt Khansor.
Aufgebrachte Ezidinnen versuchen den Aufnahmen zufolge, zu verhindern, dass die Peschmerga in der Stadt Gräben ausheben. Die Bundesregierung scheint alarmiert. Am Montag wurden die im Nordirak stationierten Bundeswehrsoldaten angewiesen, unverzüglich Aufklärung über die Vorgänge einzufordern. Denn Barzani hatte sich per Endverbleibserklärung verpflichtet, die gelieferten Waffen nur gegen den IS einzusetzen.
Eine hilflose Maßnahme. Kein Mensch kann in dieser Region, die von Machtklüngel und Korruption gekennzeichnet ist, ernsthaft Aufklärung einfordern, wo die von Deutschland gelieferten Waffen eingesetzt werden. Angesichts der ökonomischen Krise der kurdischen Autonomieregion, die am Tropf der Türkei hängt und ihre Peschmergas nicht bezahlen kann, ist es nicht verwunderlich, dass die deutschen Waffen letztendlich auf dem Bazar von Erbil landen.