Erdoğans langer Arm

Über Humor-Allergie, die seltsame Krankheit Hymnosomnie und Merkels Hilfsbereitschaft für einen Despoten

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Natürlich ist er ein Führer, aber dieses Land liebt Führer, das war schon immer so. (…) Und islamistisch, ich bitte dich, wo soll der denn religiös sein, das ist nur Augenwischerei für die armen Leute. Erdoğans Welt dreht sich um Geld.

S. Özdogan, aus dem Schelmenroman: "Wieso Heimat, ich wohne zur Miete"

Der Kölner Autor Selim Özdogan (Jg. 1971) nähert sich dem Humor-Allergiker Erdogan höchst launig. Und quasi nebenbei: Der Protagonist seines Schelmenstücks, ein Deutsch-Türke namens Krishna Mustafa, zieht von Freiburg nach Istanbul, auf der Suche nach dem Vater und der eigenen Identität. Kurios, während er nach Moscheen und dem Islam Ausschau hält, geht die Weihnachtsbeleuchtung der Istanbuler City an.

Auf einem Erdoğan-Abend geht dem Sinn-Sucher ein weiteres Licht auf, er lernt unter anderen Merkwürdigkeiten die seltsame Krankheit Hymnosomnie kennen. Deren Symptomatik ist eindeutig: "Man schläft ein, wenn eine Nationalhmyne erklingt."

Breitschultrige Gestalten

Unterdes wird die Real-Satire immer offensichtlicher. In der Domstadt gerät ein Burger-Imbiss in die politische Zwickmühle, und das kommt so: Nachdem der Besitzer einer Urban Burgery eine schicke Kreation mit Ziegenkäse nach dem türkischen Ministerpräsidenten benannt und auf Facebook für seinen Einfall geworben hat, regnet es nicht nur verbale Hasstiraden, sondern es tauchen auch "breitschultrige Gestalten" (so der besorgte Ladenchef) vor seinem Shop auf und starren "bedrohlich ins Fenster".

Und es kommt noch besser. Alle drei türkischstämmigen Servicekräfte kündigen, sie knicken ein aus Angst vor, gelinde gesagt, unangenehmen Folgen: Eine Mitarbeiterin befürchtet für die Zukunft ein Rückreiseverbot für sich und ihre Familie, ein anderer wird zu Hause von Freunden gestresst. Das bleibt alles nicht ohne weitere Konsequenzen. Kurzfristig macht der Laden dicht, erst mal wird eine Videoüberwachung installiert. Ein Böhmermann-Cookie soll den riskanten Burger dann kommende Woche ersetzen.

Springer-Chef Döpfner im Visier

Derweil geht der türkische Staatspräsident Tayyip Erdoğan mit einer einstweiligen Verfügung gegen Springer-Chef Mathias Döpfner vor. Es geht dabei um dessen Schützenhilfe für das Schmähpamphlet von Jan Böhmermann, so Erdogans Medienanwalt Ralf Höcker. Die Pressekammer des Landgerichts Köln wies den Antrag allerdings am heutigen Dienstag zurück und begründet die Entscheidung mit dem im Grundgesetz gewährleisteten Recht auf freie Meinungsäußerung. Für diesen Fall, so Höcker, habe er seinem Klienten geraten, in die nächste Instanz zu gehen.

Das alles ist natürlich Teil der (großen) Satire. Erdoğans Weg in eine islamische Türkei wird, wie es aussieht, kaum aufzuhalten sein (Erdogans Weg in eine islamische Türkei...). Was uns - egal ob Burgerfreunde oder Cookiefans - allerdings bewegen sollte, ist Königin Angelas Haltung in der Angelegenheit. Ging es nicht irgendwie beim Türkei-Deal um Europa? Hat Merkel lange Zeit den Mann am Bosporus mit okzidentaler Herablassung behandelt, so macht sie plötzlich kehrt und scheint mehr als bereit, den autoriären Umgang der türkischen Machthaber mit dem Thema Presse- und Meinungsfreiheit widerstandslos hinzunehmen. Merkel wird devot.

Der Besitzer des "Urban Burgery" wollte mit seinem kölschen Burger zugleich auf die missliche Lage der Pressefreiheit in der Türkei aufmerksam machen, so jedenfalls seine Absichtserklärung gegenüber einem Kölner Blatt. Es sollte nicht so weit kommen müssen. Das Thema Pressefreiheit ist zu schade, es darf nicht in der Fritteuse landen.