Bundesregierung knickt wegen Böhmermann vor Erdogan ein

Die türkische Regierung erwartet strafrechtliche Verfolgung, die Bundesregierung weist das Ansinnen nicht zurück, sondern will es prüfen

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Mit seinem Schmähgedicht auf Erdogan hat Jan Böhmermann erreicht, dass Satire wieder einmal politisch wirksam wird. Obgleich der Satiriker mit dem Schmähgedicht weniger Erdogan auf die Schippe nehmen wollte, sondern angeblich den Unterschied zwischen in Deutschland erlaubter Satire und verbotener Schmähkritik thematisieren wollte, blieb der schon auf das harmlose satirische Liedchen von Extra 3 beleidigt reagierende türkische Präsident im Visier.

Die Konsequenzen fürchtend, hat das öffentlich-rechtliche ZDF schnell die Schmähkritik auch aus der Mediathek entfernt und sich davon distanziert. Die Bundesregierung, die am 31. März noch das hohe Lied von der nichtverhandelbaren Presse- und Meinungsfreiheit gesungen hatte, nachdem der deutsche Botschafter von der türkischen Regierung einbestellt worden war (ZDF entfernt Böhmermanns "Schmähgedicht" aus Mediathek), knickte ebenfalls schnell ein. Regierungssprecher Seibert versicherte, dass für die Bundeskanzlerin die Pressefreiheit nicht schrankenlos sei, Böhmermann habe einen "bewusst verletzenden" Text geschrieben (Erdogan droht Beendigung des Flüchtlingsabkommens an).

Dann kam die Meldung, dass die Staatsanwaltschaft strafrechtliche Ermittlungen gegen Böhmermann aufgrund von Anzeigen eingeleitet habe, offenbar sind auch Anzeigen gegen Verantwortliche des ZDF eingegangen. Es gibt dazu noch den § 103 StGB, nach dem auch die Beleidigung von Organen und Vertretern ausländischer Staaten mit einer "Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe, im Falle der verleumderischen Beleidigung mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft" werden kann. Allerdings muss hier die türkische Regierung ein Strafverfahren wünschen und die Bundesregierung muss einwilligen ("Sackdoof, feige und verklemmt ..."). Mittlerweile sind nach der tagesschau auch Anzeigen gegen Verantwortliche des ZDF bei der Staatsanwalt eingegangen.

Die Bundesregierung hatte sicherlich darauf gehofft, dass die Distanzierung und die Einleitung der Ermittlungen den türkischen Präsidenten davon abhalten, selbst gegen Böhmermann vorgehen zu wollen. Aber offenbar ist Erdogan entschlossen, seinem Bild im Ausland treu zu bleiben, vor allem aber die deutsche Regierung unter Entscheidungsdruck zu setzen. Nachdem die Bundeskanzlerin bereits erkennbar von der Verteidigung der Meinungs- und Freiheit im Hinblick auf Böhmermann abgerückt, konnte er nun seinen Finger in die Wunde stecken, schließlich weiß er, dass vor allem Berlin zu vielem bereits sein wird, um den Flüchtlingsdeal mit der Türkei aufrechtzuerhalten. Erdogan hat schon mal damit gedroht, ihn platzen zu lassen, wenn die EU nicht alle Bedingungen einhält.

Wie der Tagesspiegel berichtet, hat der türkische Botschafter in Berlin in einer "Verbalnote" an das Auswärtige Amt deutlich gemacht, dass die türkische Regierung ein strafrechtliches Vorgehen gegen Böhmermann erwarte. Offenbar wurde das Ansinnen mit Verweis auf die Presse- und Meinungsfreiheit nicht abgelehnt. Die Bundesregierung, so der Tagesspiegel, werde ihren Inhalt "sorgfältig und so zügig wie möglich prüfen" und am Montag entscheiden, wie vorgegangen werden soll.

Und das auf höchster Ebene. Bundeskanzlerin Angela Merkel, Außenminister Frank-Walter Steinmeier und Justizminister Heiko Maas sollen in die Klärung eingeschaltet sein. Damit ist man bereits weiter eingeknickt, was erkennen lässt, welche Panik wahrscheinlich entstehen würde, wenn über diesen Vorfall Erdogan den Flüchtlingsdeal ins Wackeln bringen sollte. Die Warnungen, dass sich die deutsche Regierung mit dem Flüchtlingsdeal in Abhängigkeit von Erdogan und seiner politischen Interessen stellt, haben sich bewahrheitet.

Inzwischen hat Mathias Döpfner in der Welt sich mit Jan Böhmermann solidarisch erklärt - auch was die juristischen Folgen betrifft. Er finde das Gedicht gut: "Sie wollten nach dem ziemlich lendenlahmen Erdoğan-Veräppelungs-Song in der ARD die illiberale Reaktion des türkischen Staatspräsidenten ironisieren und durch Maximalprovokation die Leute verstören, um sie darüber nachdenken zu lassen, wie eine Gesellschaft mit Satire und - noch viel wichtiger - mit der Satire-Intoleranz von Nichtdemokraten umgeht. Ein Kunstwerk. Wie jede große Satire. Und als solches: frei." Bushido hingegen ist beleidigt: "Ist man ein #Boehmermann ist es Kunst, ist man Rapper landet es auf dem Index. Fickt Euch Ihr Feuilleton Lutscher!!!"