"Es ist Sache der Syrer selbst"
Die syrischen Machthaber gehen mit Panzern gegen Proteste vor; die US-Botschaft spricht von einem "Krieg" gegen die Bevölkerung. Eine Intervention von außen steht in der internationalen Gemeinschaft nicht zur Debatte
Der Beweiskraft von Videos ist mit Vorsicht zu begegnen, das gilt auch für Filme aus Syrien, die in den vergangenen Wochen einem beträchtlichen Teil der Berichterstattung der Vorgänge ausmachten. Ausländische Journalisten dürfen offiziell nicht berichten. Bei aller Vorsicht dürfte ein Phänomen, das sich dem Blick geradezu aufdrängte, aber doch eine Wirklichkeit abbilden: Dass die Bilder von Demonstrationen immer noch größere Mengen zeigten.
Zahlen, die in Nachrichten kursieren, bestärken die Beobachtung. So wird gemeldet, dass sich über eine halbe Million den Protesten angeschlossen haben. Selbst wenn diese Zahlen Schätzwerte sind und Übertreibung im Spiel sein mag, das Phänomen bleibt erstaunlich. Vor fünf Monaten hätte niemand damit gerechnet, dass es in Syrien überhaupt zu solchen Protesten kommen kann. Dass sie trotz des äußerst brutalen Vorgehens der Sicherheitskräfte unter der Führung des Bruders von Präsident Assad, noch weiter anwuchsen, dass sich die Opponenten des Regimes selbst von solchen Mitteln nicht haben einschüchtern lassen, macht deutlich, dass hier ein Prozess in Gang gekommen ist, der sich definitiv nicht mehr zurückdrehen läßt.
Nichts desto weniger scheint sich Baschar al-Assad genau an eine solche Hoffnung zu klammern. Bislang sind die großen, entscheidenden Städte wie Damaskus oder Aleppo noch weitgehend ruhig (siehe Momentaufnahmen aus Damaskus), die Anhänger Assads bestimmen dort noch (?) das Bild. Der Protest zeigt seine Empörung gegen die Gewaltherrschaft meist an bestimmten "Hot-Spots" außerhalb dieser Zentren.
Ein Exempel zum Jahrestag der Armee-Gründung
Weswegen die Regierung glaubt, dass man mit dem Aufstand aufräumen kann. In Hama, wo der Vater des Präsidenten, Hafez al-Assad, 1982 ein Massaker anrichten ließ, um die Opposition der Muslimbrüder zu vernichten, ließ Baschar gestern Panzer auffahren. Dass auch der Sohn ein "Exempel" versucht hat, liegt auf der Hand. Wenngleich nicht in den Dimensionen vom Februar 1982, wo mehrere Zehntausend getötet wurden.
Doch zeigen die weit über hundert Opfer in der Folge der militärischen Einsätze gegen Demonstranten in Hama und Deir Ezzor, die am Wochenende begannen und auch heute weitergeführt werden, dass Baschar seinem Vater ähnlich auf Vernichtung setzt. Allen Ankündigungen zum nationalen Dialog zum Trotz.
Assad rechtfertigt dies, wie üblich, damit, dass man es mit Verschwörern zu tun habe. Staatsmedien berichten von "terroristischen Gruppen", die auf Zivilisten und Sicherheitskräfte gleichermaßen schießen. Der Präsident nutzte die Gelegenhiet, um der syrischen Armee zum 66. Jahrestag der Gründung zu gratulieren und ihre Loyalität zu preisen:
Die "Bemühungen und Opfer" der Soldaten würden künftig "bewundert" werden, sagte Assad. Dank dieser Opfer habe die Armee das Ziel erreicht, "die Feinde des Landes auszumerzen, den Aufruhr zu beenden und Syrien zu bewahren".
"a full-on warfare"
Für den Sprecher der US-Botschaft in Damaskus ist der Lagebefund eindeutig, Baschar al-Assads Regime führt einen Krieg gegen das eigene Volk, "a full-on warfare". Dass heute der Fastenmonat Ramadan begonnen hat, dürften die Machthaber bedacht haben. Kommentatoren vermuten, dass das Regime Ramadan zum Anlass genommen habe, um mit einem harten Schlag zu demonstrieren, dass man die Situation im Land kontrolliert, dass jeder Proteste unerbittlich niedergeschlagen wird.
It seems the authorities have decided to try to finish everything at the start of Ramadan. They have seen cities out of their control and they are moving to crush it.
Andere halten dagegen, dass gerade in dieser Zeit die Gelegenheit dafür günstig ist, dass neue Demonstrationen von Moscheen ausgehen.
Zurückhaltung der internationalen Gemeinschaft
So erstaunlich der Durchhaltewillen und Mut der Opponenten gegen das brutal vorgehende Regime sind, das sich anscheinend vollkommen auf seine Armee und die Sicherheitskräfte verlassen kann, so bemerkenswert ist die Zurückhaltung der internationalen Gemeinschaft. US-Präsident Obama, ohnehin in Nöte zuhause verstrickt, verurteilt zwar das Vorgehen der syrischen Regierung, Rücktrittsforderungen wie im Fall Gaddafi stellt er nicht. Eine militärische Intervention hat anders als in Libyen keine Befürworter unter den westlichen Verbündeten: "It is up to the Syrians themselves", fasst der BBC-Nahost-Experte Jim Muir die Stimmung der internationalen Gemeinschaft zusammen.
Die Intervention in Libyen, die mittlerweile weit hergeholte Begründungen für Bombardierungen nötig hat (siehe Semantischer Eroberungsfeldzug), ist nicht gerade ein Erfolgsmodell, das eine andere Haltung nahelegt. Davon abgesehen, wie fragwürdig solche Interventionen grundlegend sind und dass die Verhältnisse in Syrien sehr komplex sind und das internationale Spannungsfeld mit Nachbarn wie Israel, dem Libanon, Jordanien, Irak und der Türkei ungleich anders geladen als in Libyen. Interessant in diesem Zusammenhang sind u.a. Berichte in arabischen Medien, die von einer Unterstützung Syriens durch die von den USA gestützten irakischen Regierung wissen wollen.
Innerhalb der EU-Länder erwägt man eine Verschärfung der Sanktionen, um den Druck auf die syrische Regierung zu erhöhen; die deutsche Regierung will den UN-Sicherheitsrat einschalten. Doch laut Reuters trifft eine Resolution, welche das Vorgehen gegen die Demonstranten verurteilt, auf Widerstände, nicht nur seitens China und Russlands, sondern auch unter den nicht-ständigen Mitgliedern Brasilien, Südafrika, Libanon und Indien.