"Es wehte homerische Luft"

Seite 3: Eroberer im fremden Züglein

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Der Insel-Verlag, die neue Heimat des Autors Erhart Kästner, ersetzte das Hakenkreuz durch einen Stern (keinen roten, sondern einen guten). Im Klappentext zur Erstausgabe von Ölberge, Weinberge heißt es:

Ein guter Stern hat den Verfasser […] während des Krieges nach Griechenland geführt. Damals erschien sein jugendlich-helles Buch über das vielbesungene Land […]. Aber mit den skizzenhaften Eindrücken von damals hat Kästner sich nicht begnügt; im Abstand eines Jahrzehnts hat er das Buch noch einmal ganz von neuem geschrieben. Er mag gefühlt haben, daß er ein Thema anschlug, von dem keiner mehr loskommt, den es einmal ergriff: Griechenland, eines der ewigen Themen, das immer neuer Variationen bedarf.

Fürwahr. Die Variation von 1953 verzichtet auf die Rassereinheit der Spartaner, ist subtiler und arbeitet mehr mit Suggestionen. Einige Beispiele: Im Kapitel "Auf den ersten Blick" fährt Kästner im Frühjahr 1941 im "Züglein […] eine köstliche Weile am Meere entlang", vorbei an den "blauen Massen des Olympos": "Da die griechischen Bahnen eine Leidenschaft für Aufenthalte besitzen, entstand eine Rast." In der Fassung von 1942 ist das spöttisch gemeint. Der Zug ist dreckig und schlecht gewartet, die Griechen können keinen vernünftigen Fahrplan erstellen und die Bemerkung, dass die Strecke nur eingleisig ist, wird durch den Hinweis, dass es sich um die wichtigste Verbindung von Nordgriechenland nach Athen handelt, zum Vorwurf. In der Version von 1953 sind "Züglein" und eingleisige Strecke das Sinnbild für den griechischen Lebensstil, für eine vom Reisenden genossene Gemütlichkeit. Inzwischen sind wir wieder bei Variation 1 angelangt, bei den faulen und unfähigen Griechen mit ihrer vernachlässigten Infrastruktur.

Die Deutsche Wochenschau

Nach wie vor tummeln sich die "Fallschirmspringer von Kreta […] in junger Nacktheit […] am Fuß des Olympos", aber die Soldaten, die es "verschmähten, […] die Badehose zu tragen", sind nicht mehr "die ‚blonden Achaier’ Homers, die Helden der Ilias". Allerdings weht weiterhin "homerische Luft". Bei "Homer" denkt der Bildungsbürger natürlich an Troja. Schon sind sie wieder mit drin, die Helden der Antike, in Kästners "Erinnerungsbild" von den heroischen Kämpfern von Kreta, seien diese nun "Eroberer am fremden Meer" (1942) oder eine "landfremde Schar" (1953). Das Haupthindernis bei seinen hellenischen Wanderungen ist auch in der Fassung von 1953 der mangelnde Ausbau der Verkehrswege. Keine Autobahn in Hellas:

Es war damals kein reines Vergnügen, in Griechenland auf Reisen zu sein. Das Land sah sich in technischer Hinsicht in den Stand der Unschuld versetzt; es hatte ihn ohnehin nie recht verlassen. Nun komme aber einer ohne Motore im feindlich verschlossenen, bergigen, hungernden, mißtrauischen Lande zurecht!

Feindlich verschlossen und misstrauisch: Wie das? Da wohnen doch die zutraulichen Hirten, dachte ich, in uralter Bewunderung zu den deutschen Freunden entbrannt? Mit dem Krieg hat es nichts zu tun. Den muss es gegeben haben, aber nicht, wenn Erhart Kästner auf Reisen ist. Höchstens, dass er mal wo hinkommt, wo früher etwas Schicksalsmäßiges stattgefunden hat, das man jetzt nur noch bedauern kann. Irgendwie sind er und Helmut Kaulbach, sein später in Russland gefallener Illustrator, den aktuellen Geschehnissen auf wunderbare Weise enthoben: "So waren wir denn dem Untier Militarismus auf Haupt und Schultern geflogen und genossen die Aussicht von Herzen." Wer ein solches Geschwurbel braucht, hat meistens etwas zu verbergen.

Arn Strohmeyer hat recherchiert, dass sich Kästner im September 1939, einige Tage nach Kriegsbeginn, freiwillig zur Wehrmacht meldete. Im Dezember 1939 trat er in die NSDAP ein. Im Juni 1941 wurde er als Unteroffizier der Luftwaffe nach Thessaloniki geschickt und weiter nach Athen. Dort schrieb er Artikel für deutsche Frontzeitungen, und irgendwie gelang es ihm und Helmut Kaulbach, den Auftrag für ein Griechenland-Buch an Land zu ziehen, das sich an den einfachen Soldaten wenden sollte. Dafür wurden sie im Januar 1942 freigestellt. Finanziert und unterstützt von der Wehrmacht, reisten sie durchs Land. Da wird sich auch der eine oder andere von diesen Panzerwagen gefunden haben, die in der Wochenschau durch die Gegend brettern, obwohl die Straßen in einem miserablen Zustand sind.

Nun wird keiner von einem durch die Wehrmacht finanzierten NS-Propagandabuch erwarten können, dass da die Massaker an der Zivilbevölkerung beschrieben werden. Wer zur immer noch beachtlichen Lesergemeinde des 1974 verstorbenen Erhart Kästner gehört und ihn unbedingt für sich retten will, kann es mit Stellen wie dieser aus dem Griechenland-Buch von 1942 versuchen:

Das Ausgrabungsfeld von Alt-Korinth gibt wenig Griechisches her; dies allein aber suchen wir. Wenn die Römer es zuerst für notwendig hielten, die alte herrliche Stadt so zu vernichten, wie eben nur Römer ihre Feinde vernichteten: indem sie sie nämlich nicht nur besiegten, sondern sie ausrotteten, Städte und Menschen ehrfurchtslos auslöschten, Männer und Frauen als Sklaven auf den Markt stellten […] so bleibt ein bitterer Geschmack daran haften […].

Ist das ein versteckter, durch die Zensur geschmuggelter Hinweis auf die "Sühnemaßnahmen" mit Ausrottung ganzer Dörfer und die Sklavenarbeiter in den KZs? Oder ist es das übliche Verfahren der NS-Propaganda, die eigenen Verbrechen den anderen anzulasten, den Juden und den Bolschewisten und zur Abwechslung auch mal den alten Römern? Ich persönlich würde sagen, es ist einer von Kästners Seitenhieben gegen die italienischen Verbündeten, die er nicht besonders leiden konnte. Wer sich trotzdem für die erste Möglichkeit entscheidet, für den versteckten Hinweis, muss dann auch diese Passage erklären:

Jannina, das einzige größere Städtchen in Epiros, liegt reizend an einem Bergsee. Wenn es nicht so schmutzig wäre, könnte man es mit irgend etwas am Vierwaldstätter See vergleichen. So aber wird der fremdartige Eindruck verstärkt. […] Eine Moschee ist immer noch elegant in ihrem Schmutz. In der Altstadt gibt es ein richtiges Ghetto. Was an Christen hier allenfalls wohnt, hat ein weißes Ölfarbenkreuz an der Haustür.

Die Ghettojuden stigmatisieren also die christliche Minderheit. Oder wie sonst soll das ein Soldat der deutschen Wehrmacht verstehen, wenn er dieses Buch liest? Saloniki, wo Kästners Griechenland-Reise 1941 beginnt, hatte beim Einmarsch der Deutschen eine große jüdische Gemeinde mit etwa 50.000 Menschen. Im Sommer 1942 mussten sich alle arbeitsfähigen Juden zwischen 18 und 45 Jahren zum Arbeitsdienst melden. Am 29. September 1942 schrieb das Oberkommando der Wehrmacht, das Kästners Buch "herrlich" fand, einen Brief an Joseph Goebbels: "Eine baldige Veröffentlichung ist erwünscht!" Am 6. Oktober 1942 beantragte Kästner die Aufnahme in die Reichsschrifttumskammer, der Standesvertretung der Schriftsteller. Wer da nicht Mitglied war, konnte kein Buch veröffentlichen (Aufnahme nur mit Ariernachweis).

Griechenland: Ein Buch aus dem Kriege erschien zu Weihnachten 1942 in einer Auflage von 5000 Exemplaren. Da hatte man gerade den 500 Jahre alten jüdischen Friedhof von Saloniki eingeebnet. Am 6. Februar 1943 wurden in Griechenland die Rassengesetze des Dritten Reichs in Kraft gesetzt. Ab dem 8. Februar mussten Juden den gelben Stern tragen, jüdische Viertel wurden gekennzeichnet. Am 15. März 1943 wurden die ersten der in Saloniki lebenden Juden nach Polen deportiert; insgesamt waren es mehr als 46.000. Etwa 2000 der Juden von Saloniki überlebten. Ioannina lag im italienisch besetzten Teil Griechenlands, als Kästner die Stadt am See zum ersten Mal besuchte. Im September 1943 rückte dort die Wehrmacht ein. Am 25. April 1944 umstellten deutsche Truppen das jüdische Viertel. 1700 Menschen wurden nach Auschwitz gebracht und ermordet. Von Erhart Kästner, dem Freund der Griechen, erfuhr man darüber kein Wort, als er nach dem Krieg "das Buch noch einmal ganz von neuem" schrieb.

Widerwärtige Geistesverfassung

Ein letztes Beispiel für seine Vorgehensweise in Ölberge, Weinberge. Im Kapitel "Auf den ersten Blick" erläutert er, mit welchen Argumenten er im Krieg der Wehrmacht ein Buch über Griechenland schmackhaft machte:

[…] daß es nicht unwichtig sei, dem einfachen Manne ein Bild von diesem Lande zu geben und ihm begreiflich zu machen, daß man es lieben und wertschätzen solle: in der Tat war es widerwärtig, anhören zu müssen, wie sich, einer damals oder immer herrschenden Geistesverfassung gemäß, jeder dieser hergelaufenen Tüchtigen überhob und sich in Beschimpfungen des faulenzenden und betrügenden Südvolks erging, ohne zu ahnen, daß jeder einzelne Grieche so viel uralte Erfahrung im Blute besitzt, daß es sich sehr wohl empfahl, etwas davon zur Kenntnis zu nehmen.

Anders formuliert: Der einfache deutsche Soldat respektierte die Griechen nicht und beschimpfte sie als Faulenzer. Er, Kästner, fand das widerwärtig und schrieb ein Buch, das den "einfachen Mann" dazu bringen sollte, den Griechen den ihnen gebührenden Respekt zu erweisen. Dabei lässt er weg, dass er in seinem Werk die "uralte Erfahrung im Blute" höchstens noch den ihn bewundernden Hirten attestierte, allen anderen Griechen aber nicht. Deren "wahre Nationalleidenschaft" ist in der Version von 1942 das faule Herumsitzen im Café. 1953 distanziert er sich von sich selbst, indem er das, was er 1942 geschrieben hat, auf die mit ihm in Griechenland stationierten Soldaten projiziert, deren Vorurteile er widerwärtig findet. Auf die Schliche kommt man ihm, wenn man beide Fassungen vergleicht. Dann stellt man auch schnell fest, dass die von 1953 den "Neugriechen" gegenüber nicht viel freundlicher geworden ist.

Das mit der widerwärtigen Geistesverfassung der anderen Deutschen in Griechenland steht in der Erstausgabe von Ölberge, Weinberge auf Seite 20. Auf Seite 17 erwähnt Kästner en passant die Hungersnot von 1941/42. Da ist er soeben in Athen angekommen:

Ein kurzer Krieg war zu Ende gegangen, die Straßen voll Jugend, die nicht in Uniform war. Die Hungerkatastrophe des kommenden Winters, die schreckliche Zukunft des ganzen Erdteils war noch keinem bewusst; in südlicher Sorglosigkeit aß man die Vorräte auf.

Der Krieg war nur aus Sicht von Wehrmacht und SS vorbei, die nun gegen die Angehörigen der griechischen Widerstandsbewegungen, die Zivilbevölkerung und "rassisch Minderwertige" wie die Juden kämpften und sich nicht an das Kriegsrecht gebunden fühlten, weil die Gegner (oder die Menschen, die bei den "Sühnemaßnahmen" stellvertretend ermordet wurden) keine anerkannte Uniform trugen. Die Hungersnot war das Resultat des deutschen Überfalls auf Griechenland und der systematischen Ausplünderung. Bei Kästner verhungern die Griechen, weil sie nicht haushalten können und in "südlicher Sorglosigkeit" die Vorräte aufessen. Hätte ihm einer Griechenfeindlichkeit vorgeworfen, hätte er immer auf Seite 20 verweisen können, wo er Liebe und Wertschätzung einfordert. Von seiner Besatzungsidylle wollte er sich auch nicht trennen, als der Krieg wirklich zu Ende war. Die Mönche in Arkadien, die ihn in der Version von 1942 sehr gastfreundlich bei sich aufnehmen, wurden einige Monate nach seinem Besuch von der Wehrmacht liquidiert. In der Fassung von 1953 gibt es wieder die Wanzen im Gästebett. Was aus den Gastgebern wurde, erfährt man nicht.

"Über Dunkles muss man schweigen"

Kästners Schreibstil ist Geschmackssache. Ich finde ihn abgehoben und preziös. Andere lesen ihn gern und loben die geschliffene Sprache, die kunstvolle Komposition der Sätze und so weiter. Wenn jemand versucht, der Nazi-Barbarei eine bildungsbürgerliche Sprache entgegenzusetzen, kann ich das nachvollziehen. Dann würde ich mir aber auch, zumindest nach 1945, die Genauigkeit erwarten, die etwa Joachim Fest auszeichnet, einen Bildungsbürger ganz anderer Art. Kästners Sprache hilft ihm dabei, im Vagen zu bleiben, vom Konkreten ins Allgemeine und Schicksalhafte abzuheben:

Das Tal endet am Wegkreuz, wohin man die mörderische Begegnung des Oidipus mit dem Vater verlegt. Hier war ich auf die große Straße gelangt und wollte sie eine Zeitlang verfolgen […]. Wenn ich so ging, konnte ich das Dorf Distomo meiden, das vor acht Jahren, im Krieg, der Schauplatz eines ungeheuerlichen Blutbades war: der Pappas des Dorfes, mit oder ohne Willen, hatte zwei Lastwagen voller Soldaten in den Hinterhalt der Partisanen bei Steiri geschickt, darauf folgte eine planvolle Rache, sinnloses Morden an Frauen und Bauern, wie es ein Land noch nach hundert Jahren im Gedächtnis behält.

Wer waren diese Soldaten? Aus welchem Land kamen, zu welcher Einheit gehörten sie? Wie reagierte die Besatzungsbehörde auf das ungeheuerliche Blutbad? Wurden die Soldaten zur Rechenschaft gezogen? Bei Kästner, der das Massaker als Einzelfall behandelt, erfährt man darüber gar nichts. Distomo liegt in der Nähe von Delphi. Am 9. Juni 1944 kamen Partisanen durch den Ort und zogen nach Stiri weiter. Am Vormittag des 10. Juni erreichte eine deutsche Einheit Distomo und verhörte den Popen und den Bürgermeister. Eine motorisierte Kolonne brach nach Stiri auf, wurde angegriffen und musste sich zurückziehen. Drei Soldaten starben. Am Abend des 10. Juni, gegen 17:30 Uhr, rückte ein Regiment der 4. SS-Polizei-Panzer-Grenadier-Division in Distomo ein. Bei der Wehrmacht galt eine "Sühnequote" von 1:10 (zehn tote Griechen für einen toten Deutschen), bei der SS von 1:50.

In Distomo wütete die SS noch schlimmer und richtete eines der grausamsten und schockierendsten Massaker eines an solchen Vorkommnissen nicht eben armen Krieges an. Ermordet wurden 218 Menschen, darunter 34 Kinder bis zu zehn Jahren und vier Säuglinge. Mit Ödipus hatte das nichts zu tun. Für das Blutbad, fürchte ich, hätte man sich in Deutschland kaum interessiert, wenn die Hinterbliebenen der Opfer nicht eine Entschädigungsklage gegen die BRD eingereicht hätten. Anfang Februar 2012 scheiterten die Kläger in letzter Instanz vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag. Die Bundesrepublik Deutschland errang damit einen juristischen und finanziellen Sieg, keinen moralischen.

Im Nachhinein das Verhalten von Leuten während der NS-Zeit zu beurteilen, ist immer schwierig. Aber Erhart Kästner war mit Unterstützung der Wehrmacht als deutscher Unteroffizier in Griechenland unterwegs, als dort die Verbrechen begangen wurden, und er müsste etwas davon mitbekommen haben. Das gilt auch für die Nachkriegszeit, als er wieder dorthin reiste, um die neue Version seines "Buches aus dem Kriege" vorzubereiten. Bei Ölberge, Weinberge gab es keinen Zensor mehr, der ihn daran hätte hindern können, über diese Verbrechen zu schreiben. Er blieb bei seiner Besatzungsidylle, flüchtete sich ins Nebulöse und in die Verdrängung ("Über Dunkles muss man schweigen."). Es gibt keine Entschuldigung, keine Scham, kein Reflektieren seiner Rolle als Autor eines NS-Propagandawerks.

Liebe zu Griechenland

Die 5000 Exemplare von Griechenland fanden schnell Abnehmer, im April 1943 orderte die Wehrmacht weitere 10.000 Stück, und da hatte die Reichsschrifttumskammer bereits darum gebeten, eine Ausgabe des populären Buches für Nicht-Wehrmachtsangehörige zu veröffentlichen. Der Bitte wurde entsprochen. Jetzt konnten es auch die Zivilisten lesen. "Während des Krieges", schreibt Kästner in Ölberge, Weinberge, habe er "das Unwahrscheinliche durchgesetzt, auf eigene Faust meine eigenen Wege zu gehen". Im August 1943 führten ihn die eigenen Wege nach Kreta, weil er als nächstes ein Buch über die griechischen Inseln schreiben sollte. Auf Kreta wurde er vom Kommandanten empfangen. Ritterkreuzträger General der Flieger Bruno Bräuer, 1947 als Kriegsverbrecher hingerichtet (unter anderem wegen der Deportation von 8000 jüdischen Griechen), ließ eine Bescheinigung für ihn ausstellen, in der angeordnet wurde, ihn "in jeder Weise zu unterstützen", ihn zu verpflegen und "ihm durch Mitnahme in Pkws, Lkws, durch Gestellung von Maultieren und ev. nötiger Begleitung zu ermöglichen, seine Marschziele zu erreichen".

Weil doch irgendwie Krieg war, konnte das fertige Buch nicht mehr wie geplant erscheinen. Es kam erst 1946 in einer bereits entnazifizierten Version auf den Markt. Der Krieg findet auch dort nur irgendwo am Rande statt, wenn überhaupt. Beim Lesen hat man den Eindruck, dass es böse Partisanen gibt (Kästner nennt sie "rote Banden" wie in der NS-Propaganda üblich), die korrekten deutschen Besatzer und die Griechen, die zu den Soldaten ein gutes Verhältnis haben, weil diese dabei helfen, ihr rückständiges Land voranzubringen (darum wurde die Ausplünderung auch unter "Aufbaukosten" verbucht). Mich erinnert das fatal an die Deutsche Wochenschau. Da wird gegen Briten, Australier und Neuseeländer gekämpft, und manchmal sogar gegen die griechische Armee, aber nicht gegen die Griechen. Die stehen am Straßenrand und freuen sich, wenn der Panzerwagen kommt.

Erhart Kästner leistete einen nicht unerheblichen Beitrag zum Entlastungsmythos von der idyllischen Besatzungszeit in Hellas, indem er eine Art Fortsetzung zur Kriegsberichterstattung der Deutschen Wochenschau verfasste, keine Gegendarstellung. Als sich die Deutschen von Eroberern in Touristen verwandelt hatten, reisten viele von ihnen mit seinen Büchern im Gepäck nach Griechenland. Andere vertieften sich auf dem Sofa in Ölberge, Weinberge und in Kreta: Aufzeichnungen aus dem Jahre 1943 und machten sich so ein Bild vom Lande der Hellenen. "Meine Liebe zu Griechenland stammt aus dem Krieg", schreibt Kästner in Ölberge, Weinberge:

Ich hatte mich als griechischer Dolmetscher gemeldet, ohne ein einziges neugriechisches Wort zu verstehen. Mich wundert noch jetzt, wie man so viel Glück auf eine so dreiste Lüge aufbauen kann.

Mich wundert das gar nicht. Wer mit der Maschinenpistole kommt, braucht keinen Dolmetscher. In der Adenauerzeit gelang Kästner ein zweites Kunststück. Er etablierte sich als "Humanist" und "Philhellene". Zu seiner Verteidigung muss man sagen, dass seine Landsleute die "dreiste Lüge" nur zu gern lesen wollten. Während man doch hin und wieder etwas davon hören musste, wie deutsche Truppen (nicht nur die SS) im Osten gewütet hatten, war aus dem Einmarsch in Griechenland nach kurzem Krieg eine Urlaubsreise in Uniform geworden, nur gestört durch kommunistische Partisanenbanden und ein paar unangenehme Einzelfälle; ein Aufenthalt in einem gastfreundlichen Land mit viel antiker Kultur, zu der der Deutsche ein besonders inniges Verhältnis hat (ein viel innigeres als der Grieche).

Am frühen Morgen des 16. August 1943 umstellte eine Kompanie der 1. Gebirgsdivision das Dorf Kommeno. Zwei Tage vorher hatten Widerstandskämpfer Lebensmittel aus dem Dorf geholt. Das sollte jetzt "gesühnt" werden. Die Gebirgsjäger waren mit Granatwerfern, Maschinengewehren und Maschinenpistolen ausgerüstet. 317 Männer, Frauen und Kinder wurden ermordet, 38 der Opfer verbrannten in ihren Häusern. Einige der Beteiligten standen kurz vor einer Meuterei, weil sie das Töten nicht mehr ertragen konnten. Offenbar kam es zu sadistischen Gewaltexzessen und zu einem ähnlichen Blutrausch wie in Distomo (und an anderen Orten in Griechenland).

Hier jetzt die "Was wäre gewesen wenn"-Frage: Was wäre gewesen, wenn Erhart Kästner einen wahrheitsgemäßen Bericht über den Krieg in Griechenland abgeliefert, wenn er sich und seine Leser mit der Realität konfrontiert hätte, statt über "das Dunkle" zu schweigen? Wäre es den "Kameraden unter’m Edelweiß" dann etwas schwerer gefallen, sich 1953, als Ölberge, Weinberge erschien, an der Feldherrnhalle zu versammeln, um in nostalgischen Kriegserinnerungen zu schwelgen und sich auf die Wiederbewaffnung einzustimmen? Hätten die Hinterbliebenen der Opfer dann bessere Chancen gehabt, die "Entschädigung" zu erhalten, auf die sie bis heute warten, oder wenigstens eine Entschuldigung, die in solchen Fällen oft wichtiger ist? Oder wäre Kästner dann nie als Humanist, Philhellene und Griechenlandkenner in die deutsche Literaturgeschichte eingegangen, weil man ihn schlicht nicht hätte lesen wollen? Jedenfalls hat er gar nicht erst versucht, es herauszufinden.

Ich weiß nicht, wer wie viel Schuld am griechischen Staatsdefizit trägt, ob es schlimmer für die Griechen ist, wenn man sie gleich in die Insolvenz entlässt oder erst nach Merkels Wiederwahl, und wer das alles bezahlen wird. Aber ich weiß, dass wir den Griechen etwas schuldig sind: den von Kästner nur behaupteten Respekt zum Beispiel. Der kostet nicht mal was, kein Geld zumindest. Allerdings müsste man sich dann ernsthaft fragen, warum die Griechen unsere Kanzlerin in eine Uniform stecken und ihr einen Hitlerbart anmalen, statt verständnislos den Kopf zu schütteln.

Zum Schluss noch eine Leseempfehlung und ein berühmter Satz. Wer wissen will, worin der Unterschied zwischen mit Kulturschwulst übertünchter Arroganz und echtem Interesse an anderen Menschen und ihrer Kultur besteht, der vergleiche Kästners Griechenland-Bücher mit denen von Patrick Leigh Fermor, Mani und Rumeli vor allem. Der berühmte Satz ist von Alexander Mitscherlich: "Geschichte, die nicht erinnert wird, holt uns ein." Das erleben wir gerade wieder mal.

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