Eskalation in Mitrovica?

Der Gazivodesee in Zubin Potok. Foto: Public Domain

Kosovo-albanische Spezialeinheiten sind in den serbischen Teil eingedrungen und haben unter anderem einen russischen UNMIK-Mitarbeiter festgenommen

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Gestern überschritt eine schwer bewaffnete kosovo-albanische Spezialeinheit die Grenze zum serbisch besiedelten Mitrovica-Zipfel, wo sie nach Angaben des öffentlich-rechtlichen serbischen Senders RTS mindestens 23 serbische Polizisten und andere Personen festnahm. Unter ihnen befindet sich auch der Russe Michail Krasnoschtschjokow, dessen Freilassung Moskau fordert. Alexander Tschepurin, der russische Botschafter in Belgrad, sprach in diesem Zusammenhang von einer "Provokation" Pristinas und verlangte die Ermittlung und Nennung der dafür persönlich Verantwortlichen.

In einigen Meldungen heißt es außerdem, der UN-Mitarbeiter sei so schwer verletzt, dass er in einem Krankenhaus behandelt werden muss. Drei weitere Nichtalbaner sollen ebenfalls verletzt worden sein, darunter auch ein zweiter UN-Mitarbeiter. Kosovo-albanische Stellen bestätigten das nicht und sprachen stattdessen von drei verletzten kosovo-albanischen Angehörigen der Spezialeinheit. Krasnoschtschjokow benutzte seine Position bei UNMIK ihren Angaben nach als "Tarnung".

Hintergrund Hundert-Prozent-Zoll

Die Festnahmen des Polizeichefs der am Ibar gelegenen Grenzgemeinde Zubin Potok und anderer Personen von dort und aus sechs anderen Gemeinden erfolgten wegen des Verdachts auf "Schmuggel", "Amtsmissbrauch", "Bestechung" und "organisierte Kriminalität". Hintergrund dieser Vorwürfe sind freihandelsabkommenswidrige Einhundert-Prozent Zölle auf Waren aus Serbien und Bosnien, die die Regierung des Kosovo im November einführte. Wegen der daraus resultierenden schlechteren Versorgungslage in Mitrovica vermutete der serbische Staatspräsident Aleksandar Vučić, dass man damit die Serben in Mitrovica zum Auswandern bewegen will (vgl. Serbien wirft Kosovo ethnische Säuberung durch Hundert-Prozent-Zoll vor).

Nun appellierte Vučić an die Regierungen der westlichen Länder, ihren Einfluss auf Pristina geltend zu machen. Er habe "Vertretern der EU schon am 17. Mai Informationen darüber geliefert, dass albanische Kräfte unter dem Vorwand des Kampfes gegen organisierte Kriminalität und Korruption Verhaftungen von Dutzenden Menschen vorbereiten". Außerdem berief Belgrad den serbischen Sicherheitsrat ein, versetzte seine Streitkräfte in volle Gefechtsbereitschaft und verlegte Einheiten der Polizei und des Militärs in Richtung der Grenze zum Kosovo. Für den Fall, dass die kosovo-albanischen Spezialeinheiten in Mitrovica bleiben, wurden "Gegenmaßnahmen" angekündigt.

Vučić empfahl Abgeordneten, sich nicht länger selbst zu belügen und sich einzugestehen, dass Serbien den Kosovo nicht länger kontrolliert

Am Tag davor hatte der serbische Staatspräsident den Abgeordneten im Belgrader Parlament empfohlen, sich nicht länger selbst zu belügen und sich einzugestehen, dass Serbien den Kosovo nicht länger kontrolliert. Außerdem konstatierte er, dass alle Versuche eines Dialogs mit Pristina "erfolglos" verlaufen seien. Eine Vertreibung der verbliebenen Serben aus Mitrovica werde man aber "mit allen Mitteln und Wegen verhindern".

Im Herbst waren Pläne, den Konflikt zwischen Serbien und dem Kosovo durch einen Gebietstausch zu entschärfen, am Widerstand der kosovarischen Staatsführung gescheitert (vgl. Kosovo: Großalbanienbemühungen und Gerüchte über einen Deal zwischen Trump und Putin). Diese hat zwar Interesse an mehrheitlich albanisch besiedelten südserbischen Ortschaften Presevo, Bujanovac und Medvedja, will dafür aber nicht auf das serbisch besiedelte Mitrovica verzichten.

Merkel gegen Gebietstausch

Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel bestärkte den kosovarischen Staatspräsidenten Hashim Thaçi bei ihrer Berliner Westbalkankonferent am 29. April in dieser Haltung mit dem Argument, ein Gebietstausch sei "nicht zeitgemäß" - wofür sich der ehemalige UÇK-Kommandeur mit den Worten bedankte, er schätze "die Initiative und das persönliche Engagement" der CDU-Politikerin.

Außerdem möchte Thaçi sein von der NATO 2008 in die Unabhängigkeit entlassenes Land mit Albanien vereinigen, was er am Samstag bei einem Besuch dort gegenüber der Zeitung Koha Ditore erneut bekräftigte. Dazu sollen "in naher Zukunft" die Parlamente in Pristina und Tirana "auf Grundlage des Volkswillens in beiden Staaten Deklarationen über das Leben in einem gemeinsamen Staat ohne Grenzen verabschieden" (vgl. Albanischer Ministerpräsident offenbart Vereinigungspläne mit Kosovo).