Ester Brinkmann: Totes Rennen
Ich will eine Maschine sein
Nach McLuhan schleppen neue Medien ihre toten Vorgänger auf die eine oder andere Weise immer mit sich herum. Auf Ester alias Thomas Brinkmanns CD "Totes Rennen" sind das die Kratzgeräusche von Vinylplatten. Endlos rotierend folgen sie den Einkerbungen, die Brinkmann dem Vinyl vorher beigebracht hat. Nach jahrelangem Experimentieren mit dieser Maschine gewordenen Scratchtechnik wurde Brinkmann durch seine Remix-Arbeit mit den Studio 1 Variationen auf dem Kölner Profan Label bekannt. Aber erst für "Totes Rennen" griff Brinkmann selbst an die Drehregler von Sequenzer und Sampler und kombinierte die Kratzloops mit elektronischen Klängen.
Der Einsatz des Samplers ist dann auch für die wohl spektakulärere Transferleistung verantwortlich: Brinkmann transportiert kurze Statements diverser Dichter und Denker als Vertreter eines noch älteren, wenn auch lebendigeren Mediums in die Welt von Techno-Beats und Bass-Sequenzen. Wie die Vinyl Scratches funktionieren die Sprachloops zuerst einmal als rhythmische Elemente; das Cover der CD verschweigt konsequent die Herkunft dieser Sounds, die - wie man hört - in den berufenen Mündern von Männern wie Foucault und Heidegger moduliert worden sind.
Dass "Totes Rennen" diverse gesamplete Stimmen als Musik anderer Ordnung benutzt, ist für die elektronischen Musiken des Dancefloors, die House und Techno von Anfang an gewesen sind, nichts besonderes. Die Vokal-Sounds des Dancefloors waren zuerst einmal tautologische Verweise auf die Musik selbst - "This beat is technotronic"- oder die Praxis des Tanzens und der körperlichen Erfahrung: "Can you feel it?" Brinkmanns Samples scheinen nun aber schon deswegen mehr sein zu wollen, weil wir es mit veritablen Denkern und Poeten zu tun haben, die hier sprechen. Tatsächlich funktionieren die Einwürfe, die Brinkmann versammelt hat, aber ziemlich ähnlich: "Ich will eine Maschine sein. Arme zu greifen, Beine zu gehen. Kein Schmerz, kein Gedanke." Das ist dann wohl die teutonische Variante von "Can you feel it?", formuliert von Blixa Bargeld. Wer mal einen ganzen Tag mit einer Flex an einem Garagentor gearbeitet hat, um spätestens nach einer Stunde in einen offenbar unvermeidlichen Mensch-Maschine-Rhythmus hineinzufallen, versteht wahrscheinlich am besten, worums hier geht: die Unterwerfung unter den Beat der grossen tautologischen Maschine, die Disziplin von Disco.
Die Idee des Samples als tautologischer Rhythmusmaschine, also mittels der Delete-Taste der narrativen Funktion von Sprache zu Leibe zu rücken, funktioniert allerdings nicht auf allen Tracks gleichermaßen brilliant. Wenn wie im Fall Foucaults Französisch gesprochen wird, verwandelt sich das gesprochene Wort um einiges schneller in Klang als woanders - auf deutsch würde die gleiche Passage womöglich die Geburtsstunde eines bemitleidenswerten neuen Genres markieren: Seminartechno. Trotzdem stellt sich erfreulicherweise kaum das Gefühl ein, es könnte sich beim "Toten Rennen" weniger um Musik als um ein postmodernes Hörspiel handeln. Tatsächlich nehmen die Wortsamples nicht den dominierenden Rang ein, den dieser Text vermuten lassen könnte. Auf "Unterwegs" etwa spricht der alte Heidegger nur einen Satz, und den auch nur einmal, eingerahmt durch ein Anrufbeantworterpiepsen, das seinerseits eine Verbindung herstellt zu populären Housetracks wie Junior Vasquez' "If Madonna calls: I'm not here". Unterwegs ist darüber hinaus nicht nur das Denken, sondern auch sofort eine Assoziation zu Kraftwerk ("Autobahn") und alle anderen Hommagen an die Reise per Drum Machine und Sequenzer wie etwa Carl Craigs "Landcruising"-LP.
Brinkmann generiert durch die Verschiebung verschiedener rhythmischer Patterns auf einigen Tracks diese gewisse Funkiness, die man gerne auf Detroiter Minimal Techno-Veröffentlichungen hört. Und wenn stolpernde Beats mit einem nie enden wollenden Mantra Heinz von Foersters kombiniert werden, kann man das durchaus grossartig finden, zumal von Foerster das Prinzip Techno in charmantem österreichischen Akzent auf den Punkt bringt: "Ich bitte nie zu sagen: Das ist langweilig, das kenn ich schon. Immer wieder sagen: Ich hab keine Ahnung. Ich möcht das nochamal erleben." Interessant ist halt immer das, was zwischen den Beats, in den Muskeln und Synapsen passiert - ob das ein Oswald Wiener Sample ist, ein Endorphin-Rausch oder die dreidimensionale Halluzination eines Klangs, wo eigentlich keiner ist.