Europa und die Bootflüchtlinge
Drei Tage lang wurden aufgrund des Zuständigkeitsstreits zwischen Malta und Libyen illegale Einwanderer aus Afrika im Boot und dann festgeklammert an ein Netz herumgeschleppt, ohne sie an Bord zu lassen und sie mit Essen und Trinken zu versorgen
Ein besonders dramatischer Vorfall beleuchtet den Umgang mit Menschen aus Afrika, die über das Mittelmeer in die Festung Europa gelangen wollen. An deren südlichen Meeresgrenzen mehren sich die Katastrophen und die Toten. Das Fischerboot Budafel aus Malta "rettete" am Mittwoch 27 afrikanische Schiffsbrüchige und zog die an die Käfige des Thunfischnetzes geklammerten Flüchtlinge drei Tage mit, ohne sie jedoch an Bord zu nehmen oder mit Wasser zu versorgen. Malta und Libyen, von wo die Flüchtlinge aus Ghana, Nigeria und Kamerun gestartet sind, weigerten sich, ihnen zu Hilfe zu kommen, und stritten um die Zuständigkeit. Nach drei Tagen wurden die Männer schließlich 60 Meilen vor der libyschen Küste von der italienischen Marine aufgenommen und in ein Auffanglager auf die Insel Lampedusa verbracht.
Eigentlich wäre Libyen für die Rettung zuständig gewesen. Der Kapitän der Budafel rief die maltesischen Behörden an, nachdem er die Flüchtlinge "gerettet" hat. Malta wandte sich an Libyen, da das Land für die Rettung zuständig gewesen wäre. Libyen sagte zu, einen Hubschrauber zu schicken und den Flüchtlingen ein Rettungsboot abzuwerfen. Die maltesische Regierung lehnte dies aber ab und verlangte, dass Libyen die Flüchtlinge aufnehmen müsse. Irgendwann kam dann ein Fax, das eine Rettungsaktion ankündigte, woraufhin aber nichts geschah.
Glücklicherweise war die Orione der italienischen Marine gerade in libyschen Gewässern, um nach eritreischen Flüchtlingen zu suchen, die vermutlich Schiffbruch erlitten hatten. Ein maltesisches Flugzeug hatte ein völlig überladenes Boot mit 53 Flüchtlingen am Freitag fotografiert, die schon verzweifelt versucht hatten, ihre Verwandten wegen Hilfe anzurufen. UNHCR, das Flüchtlingskomissariat der UN, hatte Malta und die Regierungen der Region daraufhin aufgefordert, den Menschen zur Hilfe zu kommen. Das Boot ist mitsamt den Menschen verschwunden. Die Orione konnte so schließlich den im Thunfischnetz hängenden Flüchtlingen zur Hilfe.
Diese berichteten, dass ihr Boot nach dem Ablegen von Al Guwarah an der libyschen Küste einige Tage fahruntüchtig auf dem Meer getrieben habe. Zwei Fischerboote hätten vergeblich versucht, sie zu retten, am Mittwoch habe sie dann der maltesische Schlepper zuerst an einem Seil mitgezogen, bis in ihr Boot Wasser eingedrungen ist. Die Flüchtlinge haben sich auf den schmalen Laufgang um das Netz gerettet, wo sie sich dann an die Käfige klammerten, in denen die Thunfische gezüchtet werden. An Bord ließ der Kapitän sie jedoch nicht. Er habe die Flüchtlinge nicht an Land bringen können, sagte er nach ihrer Rettung durch die italienische Marine am Samstagabend, weil er eine Thunfischfracht im Wert von einer Million Dollar mit sich führte. Die Fahrt nach Malta hätte für seinen Schlepper 12 Tage benötigt und dort wäre er in einen politischen Konflikt zwischen den maltesischen und libyschen Behörden geraten: "Ich konnte es nicht riskieren, die Fracht zu verlieren." Die vierköpfige Besatzung erklärte auch, man habe helfen wollen, aber auch Angst gehabt, 27 Männer an Bord zu nehmen. Diese hätten möglicherweise versuchen können, die Kontrolle über das Schiff zu erlangen.
Gerade schwelt schon die nächste Flüchtlingskrise. Ein spanisches Fischerboot hat am Samstag wieder vor der libyschen Küste und über 80 Meilen südlich von Malta 26 schiffsbrüchige Flüchtlinge gerettet. Die maltesische Regierung hat bereits dem Kapitän mitgeteilt, dass Malta die Flüchtlinge nicht aufnehmen und dass das maltesische Militär das spanische Boot weiter beobachten wird. Das Verwirrspiel war hier noch komplizierter. Zunächst hieß es, dass ein italienisches Boot die Flüchtlinge aufnehmen werde. Dann meldeten sich die spanischen Behörden und kündigten an, dass das Fischerboot die Flüchtlinge nach Malta bringen werde, nachdem das italienische Boot nicht aufgetaucht war.
An diesem Wochenende hatte die maltesische Marine bereits 29 Flüchtlinge aus Somalia in einem Boot kurz vor der Küste aufgegriffen und in ein Auffanglager gebracht. Kurz davor waren 25 illegale afrikanische Einwanderer von der Polizei nach Malta gebracht worden. Malta, das verpflichtet ist, Einwanderer aufzunehmen, die Asylanträge stellen, ist nach eigenen Angaben nicht in der Lage, mehr Flüchtlinge aufzunehmen. Malta, so die Regierung, habe im Unterschied etwa zu Spanien kein Hinterland, um die Einwanderer aufzunehmen und wirft den anderen EU-Ländern vor, die Belastung nicht gerecht aufzuteilen. Gefordert wird eine bessere Überwachung seitens der EU und der schnelle Einsatz der europäischen Grenzschutzbehörde Frontex (Frontex als Schrittmacher der EU-Innenpolitik)
Allein in den letzten Tagen sollen vier Boote in der Nähe Maltas verschwunden sein. Man vermutet, dass sie mit 120 Flüchtlingen untergegangen sein werden. Immer mehr Menschen versuchen auch von Westafrika auf die Kanarischen Inseln zu flüchten (Flüchtlingselend als Tourismusattraktion?). Man geht davon auch, dass bei der Fahrt von Westafrika bereits Tausende ertrunken sind (6000 Flüchtlinge starben vor den Kanarischen Inseln). Letztes Jahr erreichten über 30.000 Menschen die Kanarischen Inseln, während in Italien über 3.000 illegale Einwanderer angekommen sind
Die UNHCR bezeichnet den Süden der EU, so der britische Independent, bereits als "Wilden Westen, wo menschliches Leben keinen Wert mehr hat und die Menschen ihrem Schicksal überlassen werden". Laura Boldrini von UNHCR fordert, den Fischern müsse erlaubt werden, Menschen zu retten: "Jetzt müssen sie fürchten, dass sie tage- und wochenlang hängen bleiben, wenn sie helfen. Nach dem internationalen Meerrecht haben die Regierung die Pflicht, Menschen schnell an Land gegen zu lassen, die auf dem Meer gerettet wurden. Wir sagen, dass wir Menschenleben zuerst retten müssen."