Flüchtlingselend als Tourismusattraktion?
Die Ankunft von Flüchtlingsbooten auf den Kanarischen Inseln lässt Touristen drängeln, die sich das Schauspiel nicht entgehen lassen wollen
Auch in diesem Frühling steigt die Zahl der Flüchtlinge wieder an, die in Booten die Überfahrt von Afrika auf die Kanarischen Inseln schaffen. Zahlreiche Touristen finden sich ein, wenn die Boote in einen Hafen geschleppt werden. Bilder von elenden Gestalten werden geschossen, die lange Tage auf dem Meer verbrachten. So verschaffen sich Touristen eine schaurige Abwechslung im Urlaubsalltag. Die Überwachung der Küste vor Westafrika hat dazu geführt, dass alte und kurze Routen aus Marokko wieder belebt und neue Routen gefunden werden. Inzwischen kommen auch Boote auf Mallorca an. Das Thema wird im Wahlkampf zu den Regional- und Kommunalwahlen am kommenden Sonntag benutzt, weshalb die sozialistische Regierung mit Massenabschiebungen Tatkraft beweist.
Immer wieder hatten vor allem Lokal- und Regionalpolitiker der Kanarischen Inseln gewarnt: Die große Zahl der Flüchtlinge, denen die lange Überfahrt von den afrikanischen Küsten auf die Kanarischen Inseln gelinge, werde sich negativ auf das Tourismusgeschäft auswirken. Doch obwohl es im vergangenen Jahr einen neuen Rekord bei der Ankunft von Flüchtlingen auf den Urlaubsinseln gab, ist von einer Abschreckung der Touristen dort bisher nichts zu spüren (6000 Flüchtlinge starben vor den Kanarischen Inseln).
Ganz im Gegenteil. Es zeigt sich wieder einmal, dass sich dem Sensationsbedürfnis gelangweilter Urlauber praktisch nichts entzieht. Zu Sonne, Strand und Ballermann gesellt sich der wohlige Schauder der Gesättigten beim Blick auf die Hungerleider, die ihr Leben auf Spiel gesetzt haben, um dem Traum von einem besseren Leben näher zu kommen. Die Nachrichten darüber, dass in den vergangenen Jahren Tausende auf den langen Wegen das Leben in den Weiten des Atlantik verloren haben, stachelt viele Touristen offenbar noch an, sich nun das Einlaufen der überfüllten Booten anzuschauen.
Dicht gedrängt stehen sie auf der Hafenmole, aus den umliegenden Kneipen herbeigeströmt, wenn die Guardia Civil eines der vor den Inseln aufgebrachten Boote in den Hafen schleppt. Zunächst werden die schwachen Gestalten abgelichtet, wie sie taumelnd von Helfern des Roten Kreuzes aus den Booten geholt werden, in denen sie zum Teil zwei Wochen bei der 1000 Kilometer langen Fahrt aus dem Senegal verbracht haben. Sie sind oft unterkühlt, meist durstig und hungrig und manchmal befinden sich auch Leichen in den Booten. Ist das Spektakel vorbei, die Menschen in Lager verfrachtet, lassen sich die Touristen vor den bunt bemalten "Cayucos" ablichten, als hätte man selbst darin eine abenteuerliche Reise unternommen.
"Das erscheint manchmal wie ein Zirkus", berichtet ein Beamter der Guardia Civil über das Spektakel. Er deutet an, dass immer mehr Menschen herbeiströmen. Besonders, so berichten diverse Zeitungen, seien es Deutsche und Engländer, die sich das Schauspiel nicht entgehen ließen. Obwohl die Touristen wie zur Entschuldigung erklärten, nicht extra auf die Inseln gekommen zu sein, um sich das Elend der Flüchtlinge wie einen "Themenpark" anzuschauen.
Touristen werden angelockt, Migranten abgewehrt
Auf den Inseln treffen zum gleichen Zeitpunkt zwei Phänomene aufeinander. Sonnenhungrige aus Nordeuropa flüchten vor der Kälte im Frühjahr auf die Urlaubsinseln vor der afrikanischen Küste. Dann wird dort das Wetter besser und der Seegang im Atlantik bietet wieder die Chance, die Überfahrt lebend zu schaffen. Knapp 4.000 Menschen haben seit Jahresbeginn erneut die Kanarischen Inseln erreicht, gut ein Drittel davon allein in den vergangenen Wochen. An einem Wochenende kamen über 1.000 Menschen an, was dem Rekord aus dem letzten Jahr nahe kam (Völkerwanderung per Boot). Während man in Spanien aber alles tut, um die Touristen anzulocken, macht man auch alles, um die "Boat People" abzuwehren.
Letztes Wochenende wurden 750 Afrikaner von den Kanarischen Inseln in den Senegal geschafft. In einer Nacht und Nebelaktion wurde am vergangenen Samstag wohl die bisher größte Abschiebeaktion mit 12 Flugzeugen von verschiedenen Flughäfen der Inseln durchgeführt. Die lokalen Behörden dort widersprechen den Meldungen, wonach für die Rücknahme Geld geflossen sei.. Das erstaunt, schließlich hatte auch Senegals Regierung stets Geld für die Rücknahme gefordert.
Angesichts der verstärkten Abschottung und den massiven Deportationen in die mutmaßlichen Herkunftsländer zeichnet sich bei den Flüchtlingen eine veränderte Vorgehensweise ab. Zunächst sorgten die steigende Überwachung und die Einbindung von Marokko und Mauretanien in die Abschottung dafür, dass die Wege länger wurden und man sogar in Guinea-Bissau startete. Nun werden wieder alte Routen aus Marokko und der von Marokko besetzten Westsahara reaktiviert, um schnell und unerkannt auf die Kanarischen Inseln zu kommen. Es werden sogar Schlauchboote an der Küste gefunden, deren Besatzung unerkannt eine der Inseln erreichte.
In Marokko, so behauptet die europäische Grenzagentur Frontex, warteten Tausende auf eine Überfahrt und sie würden von Schlepperbanden organisiert. Wegen der Abschottung und des steigenden Verfolgungsdrucks steigt auch die Notwendigkeit verdeckt vorzugehen, was die Schlepper besser ins Geschäft gebracht hat. Von Marokko und Algerien, allerdings über das Mittelmeer, sind nun auch schon Boote auf Mallorca gelandet. Die konservative Regionalregierung der Balearen fürchtet, dass auch diese Urlaubsinsel nun verstärkt zum Ziel wird.
Einwanderer als Wahlkampfthema
Doch dabei scheint es sich, angesichts der Wahlen am Sonntag und der kleinen bisher geringen Zahl, eher um Wahlkampfgetöse zu handeln, um das Thema auch für die Kommunal- und Regionalwahlen zu nutzen. Die rechte Volkspartei (PP) beschuldigt immer noch die regierenden Sozialisten (PSOE), sie hätte einen Sogeffekt ausgelöst, als sie 2005 fast 700.000 Personen mit legalen Papieren ausgestattet hat, die noch unter der 2004 abgewählten PP-Regierung ins Land kamen. Allerdings, so ist bekannt, hat die spanische Wirtschaft sehr stark von dem Vorgang profitiert (EU-Länder profitieren von Einwanderung und Freizügigkeit).
Die Sozialisten ihrerseits schieben den Schwarzen Peter nach Brüssel weiter und machen die EU-Kommission dafür verantwortlich, dass im Mai die Zahl der Flüchtlinge auf den Kanarischen Inseln stark zugenommen hat. Gleichzeitig beweisen sie im Wahlkampf mit massiven Abschiebungen ihre Tatkraft.
Es war schon etwas erstaunlich, dass der Frontex-Einsatz vor Westafrika gerade zu dem Zeitpunkt ausgesetzt worden war, als verstärkt mit Booten gerechnet wurde. Schließlich hatte man sich doch bei der jungen Behörde neue hochtrabende Ziele gesteckt. So wollte sich der konservative EU-Kommissar für Justiz, Freiheit und Sicherheit Franco Frattini erneut dafür einsetzen, dass der Frontex-Einsatz vor den Kanaren permanent durchgeführt wird. Tatsächlich sind die Patrouillen am Donnerstag im Atlantik und im Mittelmeer wieder aufgenommen worden.
Allerdings, so hat der Einsatz im Rekordjahr 2006 nur gezeigt, kann Frontex dem Phänomen nicht effektiv begegnen. Beruhigend ist allerdings, dass ausgerechnet auf den Balearen und auf den Kanarischen Inseln die Konservativen nach Umfragen mit starken Einbußen bei den Wahlen zu rechnen haben. In vielen Gemeinden und den beiden Regionalparlamenten könnten ab Sonntag die Sozialisten, unterstützt von kleineren Regionalparteien, den Ton angeben. Konservativen Lokal- und Regionalpolitikern sind in den vergangenen Monaten diverse Korruptionsskandale im Rahmen des Baubooms und Bodenspekulationen um die Ohren geflogen. Zudem steigt, vor allem auf den Urlaubsinseln, die Sensibilität angesichts der massiven Landschaftszerstörung durch die ausufernde Bebauung (Qualitätstourismus bedeutet Umweltzerstörung). So gelingt es offenbar immer weniger, mit dem Thema Einwanderung von den wirklichen Problemen abzulenken.