EU-Länder profitieren von Einwanderung und Freizügigkeit

Beispiel Spanien: Die Regierung öffnet den Arbeitsmarkt nach Osten, aber macht die Grenzen nach Süden dicht

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Ab dem 1. Mai fällt auch in Spanien die Beschränkung der Freizügigkeit für Arbeitskräfte aus den neuen EU-Mitgliedstaaten, die Deutschland weiterhin aufrechterhält. Dabei ist der beschworene Ansturm auf die Länder nicht eingetreten, die nie die Freizügigkeit eingeschränkt hatten. Auch bei der „Regulierung“ in Spanien spielten Arbeitskräfte von dort kaum eine Rolle. Fast 600.000 Menschen mit gültigen Papieren zu versehen, führte aber zu Einnahmen der Sozialversicherung und zur Senkung der Arbeitslosigkeit. Während sich Spanien aber nach Osten öffnet, schottet es sich nach Süden ab.

Ende März hat die Bundesregierung die Beschränkungen für Arbeitnehmer aus den neuen EU-Mitgliedstaaten um weitere drei Jahre verlängert. Sonst hätten sich ab dem 30. April auch die Arbeitnehmer der acht neuen osteuropäischen Mitgliedstaaten, die am 1. Mai 2005 der EU beigetreten sind, in Deutschland einen Job suchen können. Ausgenommen sind nur die beiden südeuropäischen Zwergländer Malta und Zypern. Der Beschluss fiel gegen die Empfehlung der EU und den Forderungen des Europaparlaments, die Beschränkung aufzuheben, weil Grundfreiheiten des Gemeinschaftsrechts eingeschränkt würden.

Bundesarbeitsminister Franz Müntefering begründete seinen Antrag mit der hohen Arbeitslosigkeit. In seiner Beschlussvorlage erklärt der Sozialdemokrat, „Übergangsfristen erlauben es, den Arbeitsmarktzugang von Staatsangehörigen der neuen Mitgliedstaaten weitestgehend gemäß nationalem Recht zu kontrollieren und limitieren“. So sieht es neben Deutschland nur noch Österreich. „Wir haben nicht unbedingt eine hohe Arbeitslosigkeit, aber die langfristigen Prognosen sind nicht gut“, sagte Österreichs Arbeitsminister Martin Bartenstein.

Dabei war die EU-Kommission in einer Studie zu einem ganz anderen Schluss gekommen: Billige Arbeitskräfte stellten keine Gefahr für den Arbeitsmarkt der alten Mitglieder dar. Länder wie Großbritannien, Schweden oder Irland, die ihren Arbeitsmarkt nie für die Neumitglieder geschlossen hatten, profitierten vielmehr davon. So sieht das auch der spanische Ministerpräsident José Luis Rodríguez Zapatero und hebt das Moratorium zum 1. Mai auf. Das geschieht auch in Finnland und Portugal, während Belgien, Dänemark, Frankreich und die Niederlande in den nächsten drei Jahren die Beschränkungen abbauen wollen. Griechenland, Italien und Luxemburg sind noch unentschlossen.

“Ankunft von Einwanderern kann Arbeitsplätze schaffen“

Der EU-Kommissar für Arbeit und Soziales Vladimir Spidla preist dagegen auf Basis einer Studie die Öffnung an. Erste Zahlen zeigten, dass Wanderungsbewegungen gering seien. Spidla erklärte, in Schweden sei die Erwerbsbevölkerung zwischen Mai und Dezember 2004 nur um 0,07 % aus den neuen Mitgliedstaaten gewachsen. Befürchtungen, sie könnten die Sozialsysteme über Gebühr belasten, hätten sich zerstreut: Zwischen Mai 2004 und Juni 2005 seien in Großbritannien etwa 50 Anträge auf Sozialleistungen angenommen worden. Er beklagte aber, die Mitgliedsstaaten legten kein umfassendes Zahlenmaterial vor.

Zahlen gibt es in Spanien aus der außerordentlichen Regulierung. Dort hatten in der Zeit vom 7. Februar bis zum 7. Mai 2005 knapp 670.000 Personen einen Antrag gestellt, um im Rahmen der „Normalisierung“ an gültige Papiere zu kommen (Aufenthaltsgenehmigung, Abschiebung und Abschottung). Davon wurden mehr als 115.000 Anträge abgelehnt, was knapp 17 Prozent ausmacht. Insgesamt erhielten bei der bisher größten Regulierung knapp 570.000 Menschen gültige Papiere. Lediglich die neuen EU-Beitrittskandidaten Rumänien, mit 95.830 die zweitgrößte Gruppe, und Bulgaren mit 21.270 auf dem sechsten Rang, stechen heraus. Mit Abstand sind es Südamerikaner, die von der Maßnahme profitiert haben.

Die Regulierung führt Spidla als Beispiel dafür an, dass „die Ankunft von Einwanderern Arbeitsplätze schaffen kann“. In Spanien gäbe es ein überdurchschnittlich hohes Wirtschaftswachstum und trotz der Einwanderung falle die Arbeitslosigkeit. Nach Angaben der europäischen Statistikbehörde kamen 2005 etwa zwei Millionen Einwanderer in die EU, etwa ein Drittel allein nach Spanien

Ein Teil der Schattenwirtschaft sei dank der Regulierung beseitigt worden und die Neuankömmlinge nähmen meist Stellen an, die bei den Ortsansässigen verpönt seien. Diese Prognose bestätigte auch die Spanische Zentralbank. Statt wie 1991 geschätzt, gibt es in Spanien derzeit nicht 41,4 Millionen Einwohner, sondern 44,1 Millionen. Verantwortlich dafür sei die Einwanderung. Viele neue Beitragszahler sorgten dafür, dass die für 2012 erwartete Krise der Sozialkassen bis 2025 verschoben worden sei, ohne dass weitere Maßnahmen getroffen worden seien. Tatsächlich hat es die sozialistische Regierung geschafft, einen Teil der verdeckten Ökonomie ans Licht zu zerren. Ein gültiger Arbeitsvertrag war die wichtigste Bedingung, um an gültige Papiere zu kommen. Tatsächlich handelte es sich um eine Regulierung von Arbeitsverhältnissen. Bisherige illegale Beschäftigung blieb straffrei, wenn sie reguliert wurden.

Die Schattenseiten im spanischen Umgang mit den „Illegalen“

Auch weitere Maßnahmen der Sozialisten (PSOE) zielen in diese Richtung. Nach dem Ende der Maßnahme wurde ein Dekret nachgeschoben. Seither können sich Personen gültige Papiere verschaffen, wenn sie illegale Beschäftigung anzeigen. Doch die Erfahrungen damit sind schlecht. Das gewünschte Ergebnis tritt selten ein, die Betroffenen bleiben oft „illegal“ und sind dann zudem arbeitslos. Darüber häufen sich Berichte, weshalb davon kaum Gebrauch gemacht wird.

Derlei Beispiele kennt SOS-Rassismus zur Genüge. Insgesamt bewertet die Hilfsorganisation die Regulierung zwiespältig. Ein Jahr danach, weist die Organisation darauf hin, dass sich an dem grundsätzlichen Problem nichts geändert hat. „Wenigstens genauso viele Menschen sind in einer illegalisierten Situation geblieben sind, wie die Zahl derer, die reguliert wurden.“

Denn zahllose Menschen seien durch die Maschen gefallen. Schon eine einfache Rechnung gibt eine Ahnung. Polizeilich gemeldet waren in Spanien am 1.1.2005 in Spanien mehr als 3,6 Millionen Ausländer. Davon verfügten zwei Millionen über einen geregelten Status, also lebten mehr als 1,6 Millionen Menschen ohne gültige Papiere, doch nicht einmal 600.000 erhielten Papiere. Die Dunkelziffer lag ohnehin viel höher, weil viele nicht gemeldet waren. Das stellte wieder ein Problem bei der Regulierung dar, weshalb diese Hürde während des Vorgangs fiel. Deshalb muss die riesige Schattenwirtschaft weiter blühen, damit die Menschen überleben können.

SOS-Rassismus weist auch auf die prekäre Situation derer hin, die Papiere erhielten. 39 % davon seien Hausangestellte. „Die niedrigen Löhne werden oft mit Sozialleistungen komplettiert, was den Familiennachzug erschwert, weil keine ausreichende ökonomische Grundlage dafür gegeben ist.“ Von Löhnen zwischen 525 - 600 Euro müssten oft sogar die vollen Sozialleistungsbeiträge bezahlt werden. Viele „Arbeitgeber“ hätten sich sonst geweigert, einen Arbeitsvertrag auszustellen. Eine wirkliche Bewertung will die Organisation erst wagen, wenn die Phase der Verlängerung der Aufenthaltsgenehmigungen im Sommer abgeschlossen ist.

Interessant ist, wie merkwürdig über die Einwanderung in Spanien (und darüber hinaus) diskutiert wird. Denn wenn über „Illegale“ gesprochen wird, dann wird meist das Bild von Schwarzafrikanern bemüht, die in wackeligen Booten die Küste erreichen. Letzten Herbst wurden Bilder gezeigt, wie sie in Gruppen versuchten die Grenzzäune zu den von Marokko umschlossenen Exklaven Melilla und Ceuta zu überwinden ("Anschlag auf die Grenze"). Diese Bilder, gemischt mit Angaben über kriminelle Schleußerbanden, sind real. Sie zeichnen aber ein völlig falsches Bild des Phänomens. Die 12.000 Menschen, die 2005 mit Booten ankamen, stellen eine genauso kleine Gruppe dar, wie die, denen der Sprung über die Zäune gelang (Ansturm auf die neue Mauer).

Die große Mehrheit der „illegalen Einwanderer“ reist in Spanien ganz legal als Tourist per Flugzeug ein oder kommt auf dem Landweg. Südamerikaner und Osteuropäer sind die beiden großen Gruppen. Reguliert wurden 122.000 Menschen aus dem fernen Ecuador und nur die Hälfte davon aus dem Nachbarland Marokko. Schwarzafrikaner fielen bei den Angaben des Ministeriums für Arbeit und Soziales nur unter die Rubrik „Übrige“.

Die Südküste wurde längst mit einem elektronischen Schutzwall versehen, der nun für weitere 30 Millionen Euro ausgebaut wird (Europa rüstet auf gegen Einwanderer). Um Ceuta und Melilla wird für 20 Millionen Euro ein dritter Zaun gebaut ("Wir wollen nach Europa - und da gibt es immer einen Weg"). Marokko wird mit viel Geld zum Vorposten gemacht und in seiner skandalösen Politik unterstützt. Auch die Brutalität beim Vorgehen gegen die Schwarzafrikaner steht völlig im Widerspruch zur übrigen Toleranz gegenüber der Einwanderung und ihrer geringen Zahl.

Dahinter muss man eine rassistische Komponente vermuten. Die zeigt sich auch am Umgang mit den Schwarzafrikanern, die es wegen des Verfolgungsdrucks in Marokko nun von Mauretanien aus versuchen, auf die Kanarischen Inseln zu kommen. Der nunmehr mehr als 1.000 Kilometer lange Seeweg verwandelt sich derweil in ein Massengrab. Der spanische Geheimdienst und Hilfsorganisationen erklären gleichsam, Tausende seien bei der Überfahrt in den letzten Monaten ertrunken. Berichte darüber lagen der Regierung in Madrid schon im Dezember vor. Sie handelte aber erst, als ab März Hunderte die Inselgruppe auch erreichten ("Massensterben" vor den Kanarischen Inseln). Die Regionalregierung sprach dann sofort von einem „nationalen Notstand“.

Letztlich hat Madrid die Lage dafür genutzt, damit auch Mauretanien als Vorposten fungiert, um Einwanderer und Flüchtlinge im Vorfeld abzufangen. Spanien hat inzwischen ein Lager in Nuadibú aufgebaut. Die EU hat dem Land, in dem es bis heute Sklavenhandel gibt, finanzielle Hilfe zugesagt. In dem Lager sollten angeblich 170 Schwarzafrikaner aus Mali und Senegal interniert werden, die man per Schnellabschiebung von den Kanaren wegschaffen wollte. Wie beim Ausbau des elektronischen Schutzwalls wurde auch hier wieder eine humanitäre Begründung vorgeschoben. Die Abgeschobenen sollten dort würdige Bedingungen erhalten und nicht wieder schlicht in der Wüste abgesetzt werden.

Doch auch hier hat die Realität die Propaganda längst Lügen gestraft. Denn inzwischen wurden mit drei Flügen 170 Menschen von den Kanaren nach Mauretanien geschafft. Derlei Massenabschiebungen sind nach Ansicht von Menschenrechtsorganisationen ohnehin verfassungswidrig. Nicht einer der 170 Menschen kam aber je in dem Lager an, sondern sie seien in die Hauptstadt gebracht werden, stellte die regierungsnahe spanische Zeitung El País fest. Dass sie von den „ersten“ Abschiebungen spricht, weist deutlich darauf hin, dass derlei Abschiebungen nun zum Normalfall werden sollen. Erstaunlich ist in Spanien auch, dass es gegen diese Politik keinen ernsthaften Protest gibt.