"Massensterben" vor den Kanarischen Inseln
Die Abschottung Europas führt dazu, dass Flüchtlinge und Einwanderer immer gefährlichere Routen nehmen
Tausende Schwarzafrikaner haben in den letzten Monaten auf dem Weg von Mauretanien zu den spanischen Kanarischen Inseln ihr Leben verloren. Die spanische Regierung musste nun einräumen, Berichte über das „Massensterben“ schon letztes Jahr erhalten zu haben. Nun baut Spanien in Mauretanien Lager für die auf, die im Schnellverfahren abgeschoben werden.
Im vergangenen Herbst versuchten Hunderte Einwanderer und Flüchtlinge aus Afrika immer wieder die Grenzzäune zu den spanischen Exklaven Ceuta und Melilla im Sturm zu nehmen (Ansturm auf die neue Mauer). Dabei wurden von spanischen und/oder marokkanischen Sicherheitskräften etliche Menschen getötet (Spanische Gründlichkeit). Zum Teil wurde sogar scharf auf die unbewaffneten Menschen geschossen. Die Hintergründe sind bisher nicht wirklich aufgeklärt, aber die Lage hat sich aufgrund des Verfolgungsdrucks um die Exklaven derart beruhigt, dass das aufgezogene spanische Militär wieder abgezogen wurde.
Die Einwanderung nach Spanien wurde dadurch aber ebenso wenig beendet wie mit der Abschottung der Küste um die Meerenge von Gibraltar zuvor. Zunächst wurde dort der elektronische Schutzwall (Sive) aufgebaut, der danach auf die gesamte Südküste ausgeweitet wurde (Europa rüstet auf gegen Einwanderer). Genau das hatte dazu geführt, dass viele den Weg über die von Marokko umschlossenen spanischen Exklaven suchten. Marokko schob, finanziert von Spanien und der EU, zahlreiche Schwarzafrikaner in Richtung Algerien und Mauretanien ab und setzte sie zum Teil schlicht ohne Wasser und Nahrung in der Wüste ab ("Man muss die Flüchtlinge mit allem Respekt als menschliche Wesen behandeln").
Einige versuchten dann ihr Glück in der von Marokko besetzten Westsahara (Überraschende Entscheidung zur Westsahara), denn diese liegt nur knapp 100 Kilometer gegenüber der Kanarischen Inseln. Aber die Westsahara ist kein sicheres Pflaster. Seit dem Ausbruch der so genannten „Intifada“ hat Marokko das Gebiet abgeriegelt). Die Zahl der Polizei- und Militäreinheiten wurde vor den Feiern zum 30. Jahrestag der Ausrufung der Demokratischen Arabischen Republik Sahara (DARS) im Februar noch weiter verstärkt, um Proteste der Saharaouis gegen die Besatzung schon im Keim zu ersticken.
Angesichts der geographischen Verhältnisse war es klar, dass die Flüchtlinge und Einwanderer nach Mauretanien ausweichen. Mit kleinen Fischerbooten, „Cayucos“ genannt, versuchen sie seit November letzten Jahres verstärkt die knapp 1.000 Kilometer über das Meer von Mauretanien zu den Kanarischen Inseln zurückzulegen. Das Ergebnis ist fatal. Inzwischen streitet auch die spanische Regierung nicht mehr ab, dass es dabei Tausende Tote gegeben hat.
“Eine stille Katastrophe, von der wir nur die Spitze des Eisbergs sehen“
Zuvor hatte sie versucht das Problem klein zu reden. Dabei hatte die spanische Guardia Civil schon im Dezember einen Bericht mit dem aussagekräftigen Titel verfasst: „Massives Sterben von Einwandern“. Der Autor war der Vize-Einsatzdirektor der Militäreinheit, José Manuel García Varela:
In den letzten 45 Tagen haben sich zwischen 2.000 und 2.500 Menschen in Paddelboote eingeschifft, um auf die Inseln zu kommen, von denen nur 800 oder 900 angekommen sind, was bedeutet, dass zwischen 1.200 und 1.700 im Atlantik ertrunken sind.
Die sozialistische Regierung hatte zuerst behauptet, den Bericht nie erhalten zu haben, um die Untätigkeit vor der „humanitären Katastrophe“ zu erklären, wie das Internationale Rote Kreuz die Situation bezeichnet. Deren Präsident Juan Manuel Suárez del Toro erklärte: „Es ist eine stille Katastrophe, von der wir nur die Spitze des Eisbergs sehen.“
Am Dienstag musste Verteidigungsminister José Bono zugeben, dass die Regierung die Informationen sogar schon vor der Guardia Civil hatte. Sie stammten vom Geheimdienst (CNI), der die Regierung routinemäßig informierte. Gehandelt wurde in Madrid aber erst, als kürzlich 45 Tote vor den Kanaren geborgen wurden und täglich eine größere Zahl „Boat People“ auf den Urlauberinseln ankamen. Dort fühlte man sich in der Ruhe derart gestört, weshalb die konservative Regionalregierung vom sogar von einem „nationalen Notstand“ sprach.
Wie viele Menschen auf dem 1000 Kilometer langen Weg ihr Leben verlieren und verloren haben, darüber kann nur spekuliert werden. Der Rote Halbmond in Mauretanien schätzt, dass täglich 700-800 Menschen das Meer zu überschreiten versuchen. Seit Beginn des Jahres sind aber nur knapp über 3.500 Flüchtlinge tatsächlich angekommen. Sollten die Schätzungen zutreffen, kann man sich das Ausmaß der Katastrophe ausmalen.
Lager in Afrika, um die Flüchtlinge abschieben zu können
Seither wird in Madrid hektisch gearbeitet. Letzte Woche wurde eine Regierungsdelegation nach Mauretanien geschickt, um dem Land finanzielle und praktische Hilfe anzubieten. Das Ziel ist, die Einwanderer und Flüchtlinge im Vorfeld abzufangen, weshalb Mauretanien auch Patrouillenboote erhält. Am Dienstag hat das Verteidigungsministerium 35 Militäringenieure nach Mauretanien geschickt, die nun ein Lager in Nuadibú aufbauen. Spanien nutzt die Situation nun, um weitere Schritte in Richtung der EU-Lager in Afrika voranzutreiben.
In dem ersten Lager sollen zunächst Schwarzafrikaner aus Mali und Senegal interniert werden, die man per Schnellabschiebung von den Kanaren deportieren will. Gesprochen wird von 170 Menschen. Menschrechtsorganisationen wie Amnesty International und die Flüchtlingskommission (CEAR) halten diese Abschiebungen für illegal, weil sie gegen die spanische Verfassung verstießen. Sie gewähre Flüchtlinge ein Recht auf Asyl, aber bei solchen Abschiebungen hätten sie keine Chance, einen Antrag zu stellen, von einer Einzelfallprüfung gar nicht zu sprechen. CEAR fordert auch Aufklärung über den rechtlichen Status der „Aufnahmezentren“ die Spanien in Mauretanien errichten will.
Das Spanien mit einem Land kooperiert, in dem es bis heute Sklavenhandel gibt - offiziell wurde die Sklaverei erst 1980 abgeschafft -, spricht für sich. Interessant ist, dass die Lager ausgerechnet humanitär begründet werden. Die Abgeschobenen sollen in Mauretanien würdige Bedingungen erhalten, damit sie nicht schlicht in der Wüste abgesetzt werden, heißt es. Allerdings hatte sich Madrid hinter Rabat gestellt, als Menschenrechtsorganisationen diese Praxis angriffen, für die es mit der Organisation „Ärzte ohne Grenzen“ Zeugen gab. Auch die Befreiungsfront für die Westsahara (Polisario) fand im verminten Gelände hinter der so genannten Sicherheitsmauer immer wieder von Marokko ausgesetzte Gruppen vor. Die Praxis hat Marokko nicht beendet. Erst letzte Woche hat Rabat erneut 81 Senegalesen im verminten Niemandsland ausgesetzt. Mauretanien hat sich geweigert, sie aufzunehmen.
Letztlich ist die Abschottungspolitik für die humane Katastrophe verantwortlich. Die Verantwortliche für Einwanderung der spanischen Regierung hat eingeräumt, dass die Einwanderer und Flüchtlinge nur die Routen gewechselt haben. Wieder einmal kündigt Consuelo Rumí neue Schritte an. Die Zusammenarbeit mit den Transitländern und die Kontrolle durch die Polizei soll erhöht werden. Doch angesichts ihrer Lage, halten Flüchtlinge und Einwanderer daran fest, dass es immer einen Weg nach Europa gibt (Es werden immer mehr Menschen kommen). Nur wenn sich die Lebensbedingungen dort ändern, wird sich an dem Phänomen etwas ändern. Die Abschottung führt nur zu immer gefährlicheren Routen und immer mehr Opfern und wird die Lage weiter zuspitzen.