Europa vor dem politischen Tsunami?

Seite 2: Symbolischer Bürgerkrieg

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Der politische Diskurs ist geprägt von Demagogie und Hetze. Fälschlicherweise wird diese nicht zuletzt in Deutschland von den öffentlich-rechtlichen Medien zum "Populismus" verharmlost. Ein Fehler, wie inzwischen die ARD eingesehen hat, die vor einigen Tagen konsequent den französischen Front National als "Rechtsextremisten" titulierte, während sie im Deutschlandradio und im ZDF immer noch "Rechtpopulisten" genannt werden. Aber rechtspopulistisch ist die CSU, nicht die Front National und auch nicht die AfD.

Genaugenommen erfüllen derartige Parteien alle Kriterien der wissenschaftlichen Faschismusdefinition:

Faschismus kann definiert werden als eine Form politischen Verhaltens, das gekennzeichnet ist durch eine obsessive Beschäftigung mit Niedergang, Demütigung oder Opferrolle einer Gemeinschaft und durch kompensatorische Kulte der Einheit, Stärke und Reinheit, wobei eine massenbasierte Partei von entschlossenen nationalistischen Aktivisten in unbequemer, aber effektiver Zusammenarbeit mit den traditionellen Eliten demokratische Freiheiten aufgibt.

Robert O. Paxton, Anatomie des Faschismus, 2006

Politische Horrorclowns

Wo stehen nun in diesem Feld die Profiteure eines Scheiterns des Verfassungsreferendums, die politischen Horrorclowns der "Cinque Stelle" ("Bewegung Fünf Sterne") des italienischen TV-Komikers Beppe Grillo? Die von Grillo veranstalteten "V-Day"-Demos ("V" steht für "Vaffanculo", also etwa "Leck-mich-am Arsch!-Tag") sprechen eine deutliche Sprache. Es geht ähnlich, aber mit noch einseitigerer Zuspitzung als bei Donald Trump um vulgär und spaßgesellschaftlich ummäntelte Verachtung der repräsentativen Demokratie und ihrer Parteigänger.

Es geht um einen symbolischen Bürgerkrieg, bei der nicht mehr die Macht im System umstritten ist, sondern das System selbst. Der Parlamentarismus als solcher wird diffamiert. Dagegen werden nicht andere Parteien und Politiker, sondern "das Volk", also Grillos Anhänger mobilisiert und Illusionen einer "direkten Demokratie" genährt.

Der französische Rechtshistoriker Jacques de Saint Victor untersucht am Beispiel der "Cinque Stelle", warum es hier um etwas ganz Anderes geht, als darum, der legitimen Wut von Entrechteten Ausdruck zu geben. In der Maske des lustigen Volkstribunen machen sich die Volksverhetzer die moralische Verwahrlosung verwöhnter Wohlstandsbürger und die Depression der Abgestiegen zunutze.

Auch dafür gibt es in der italienischen Geschichte mindestens ein Modell: Es heißt Savonarola.

Mit den Savonarolas und Mussolinis vor den Toren der Präsidentschaftswahlen in Frankreich, der Parlamentswahlen in den Niederlanden und in Deutschland, steht Europa in den nächsten Jahren vor der Wahl: Fortschritt oder Untergang. Will Europa als ernstzunehmende Macht bleiben, muss es sich verändern. Aber nicht in Richtung Vergangenheit.