Europas Kampf um die Kontrolle

Seite 3: Auffanglager, Polizeistationen und Überwachungssysteme

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Es hat also eine gewisse Logik, dass die EU in denselben Weltregionen, in denen sie wirtschaftlich expandierte und nationale Ökonomien aufbrach, auch ihre Abschottungspolitik vorantrieb. Den "mobilisierten" Teilen der Bevölkerung sollte der Weg nach Europa versperrt werden. Im Juli 2006 initiierte die EU den "Rabat-Prozess" mit zahlreichen Ländern Nord-, West- und Zentralafrikas. 2014 folgte der "Khartum-Prozess" mit den Ländern am Horn von Afrika. Möglichst viele der beteiligten Länder sollen in die europäische Migrationsagenda eingebunden werden und mit der EU "Mobilitätspartnerschaften‘" vereinbaren.

Mit ihren "Mobilitätspartnern" entwickelt die EU in der Regel gemeinsame Aktivitäten zur Grenzüberwachung, zum Auskundschaften von Migrationsrouten und beim Kampf gegen Schleuser. Im Lauf der Jahre entstand so vor allem in Nordafrika ein Netz von Auffanglagern, Polizeistationen und Überwachungssystemen. Die EU gewinnt dabei direkten Einfluss auf grundlegende Staatsfunktionen und auf die Bewegungsfreiheit der Bürger anderer Kontinente, deren Aufbruch Richtung Europa bereits im Heimatland oder in einem Transitland gestoppt werden soll.

Sie zahlt afrikanischen Regierungen viel Geld dafür, dass sie Migranten festnehmen, einsperren und zurückschieben. Im Rahmen einer solchen Kooperation gehen etwa marokkanische Behörden seit Jahren mit großer Brutalität gegen schwarzafrikanische Migranten vor, die über Marokko nach Europa gelangen wollen. Die Flüchtlinge, derer man habhaft wird, werden in Auffanglager deportiert und häufig gefoltert und misshandelt.

In Niger, auch ein wichtiges Transitland für Flüchtlinge aus Subsahara-Afrika, baut die EU ein "multifunktionales Zentrum" auf, das als Auffanglager für Flüchtlinge dienen soll. Ergänzend errichtet die deutsche staatliche Entwicklungshilfeorganisation GIZ Grenzposten und bildet Grenzpolizisten aus.

In Mauretanien sind spanische Polizeikräfte direkt im Einsatz, um Flüchtlinge daran zu hindern, auf die Kanarischen Inseln überzusetzen. Beamte der Guardia Civil führen mit den mauretanischen Kollegen gemeinsame Patrouillen durch, in Küstengewässern, in Häfen, im Landesinneren. Sie können sogar eigenhändig Migranten festnehmen und den nationalen Behörden übergeben. Ähnliche Kooperationen gibt es mit Senegal und Kap Verde. Sie sind größtenteils von der EU finanziert, im Rahmen des Projekts "Seahorse Atlantic". Ein Arrangement nach mauretanischem Vorbild strebt die EU heute offenbar auch in Libyen an.

Auch die Türkei steht schon lange auf der Agenda der EU-Migrationspolitik. Ein Rücknahmeabkommen mit dem Land am Bosporus existiert seit Dezember 2013. Darin verpflichtet sich die Türkei, ab Oktober 2017 alle Flüchtlinge, die über ihr Territorium nach Europa kamen, wieder aufzunehmen.

Die aktuelle Flüchtlingswelle hat lediglich das Procedere beschleunigt und den Preis, den die türkische Regierung verlangen konnte, in die Höhe getrieben. Was von der deutschen Bundeskanzlerin als "europäische Lösung" der Flüchtlingskrise gepriesen wird, ist nichts anderes als die Fortsetzung der Flüchtlingspolitik, die von der EU seit Jahrzehnten betrieben wird. Sie ist tatsächlich eine "türkische Lösung" europäischer Probleme, ähnlich wie die "mauretanische", die "marokkanische" oder die einstige "libysche" Lösung.

Der offensichtliche Vorteil dieser Kooperationen für die EU ist, dass die Verletzungen der Menschenrechte außerhalb Europas stattfinden, wo nur wenige Bilder an die Öffentlichkeit kommen. Das erleichtert das kollektive Verdrängen. Die Öffentlichkeit wird ruhiggestellt - eine Methode, die man eigentlich eher von autoritären Staaten kennt. Und die EU kann nach wie vor ihr Image als zivile Macht pflegen, die Menschenrechte achtet, während sie ein Netzwerk der Kontrolle und Repression gegen jene finanziert, die den Schutz ihrer Menschenrechte in Europa suchen wollen.