Europol gegen "Krieg in den Städten"

Europol-Zentrale in Den Haag. Bild: Europol

Die EU-Polizeiagentur unterstützt vor allem digitale Ermittlungen bei terroristischen Anschlägen. Ein neues Zentrum soll nun die Kontrolle des Internet erleichtern

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Der Europol-Vizedirektor Wil van Gemert hat die jüngsten Anschläge in Paris als ersten Ausdruck eines "Kriegs in den Städten" ("first urban warfare") in Europa bezeichnet. Auf einer Konferenz in Dublin erklärte Germert, islamistische Attentäter würden zunehmend militärische Taktiken nutzen und dabei wie Spezialkräfte agieren. Die internationale Planung und Ausführung der Angriffe erfordere mehr Zusammenarbeit europäischer Sicherheitsbehörden.

Die Polizeiagentur Europol in Den Haag soll deshalb zum Anti-Terrorzentrum ausgebaut werden. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf digitalen Ermittlungen. Polizeien und Geheimdienste könnten laut Germert von "Big Data" profitieren: 2,9 Milliarden NutzerInnen seien mit 20 Milliarden Geräten im Internet unterwegs. 90% aller in der EU anfallenden digitalen Daten seien allein in den letzten 2 Jahren produziert worden.

Ein weiteres Problem sieht der Europol-Vize in der Geschwindigkeit des Internet. Pressemitteilungen der Polizei kämen häufig zu spät, da bereits zahlreiche Informationen in Sozialen Netzwerken zu finden sind. 15 Minuten nach den Anschlägen in Paris kursierten demnach bereits 7.500 Tweets mit dem Hashtag #ParisBurning. 50.000 Twitter-Accounts von ISIS-UnterstützerInnen produzierten laut Germert täglich 110.000 Tweets, zu deren Verfolgung die Behörden kaum in der Lage seien.

Internetkontrolle nach niederländischem Vorbild

Vor seiner Karriere bei Europol leitete Germert eine polizeiliche Sondereinheit zur Bekämpfung öffentlicher Unruhen in den Niederlanden. Später übernahm er die Leitung des nationalen Geheimdienstes AVID, 2012 wurde er zum Chef des Nationalen Cybersicherheitszentrums ernannt. 2014 wechselte er zu Europol und kümmerte sich zunächst um den Aufbau des vor drei Jahren eröffneten "Zentrums zur Bekämpfung der Cyberkriminalität" (EC3).

Der Europol-Vize ist auch Leiter der dortigen Abteilung "Operationen". Unter ihrem Dach ist die "Meldestelle für Internetinhalte" angesiedelt, für deren Aufbau Germert maßgeblich verantwortlich war. Die im Juli vergangenen Jahres bei Europol gestartete Einheit ist ein Nachfolger des Projekts "European Joint Initiative on Internet and Counter Terrorism" (EJI-ICT), das beim niederländischen Ministerium für Sicherheit und Justiz angesiedelt ist und zuvor ebenfalls von Germert betreut wurde.

Die "Meldestelle" bei Europol soll "extremistische" Internetinhalte aufspüren und bei Verdacht an die jeweiligen Provider melden. Anbieter von Sozialen Medien, darunter Twitter, Youtube oder Facebook, sollen diese dann entfernen. Insgesamt sind laut Germert bereits 2.000 solcher Meldungen an die Diensteanbieter ergangen, zu 88% seien diese dann gelöscht worden.

Die Zusammenarbeit mit den privaten Firmen soll nun ausgebaut werden. Nach den Anschlägen in Belgien und Paris hatten die französischen Behörden vergangenes Jahr ermittelt, welche Videos die Attentäter zuvor angesehen und sich damit womöglich "radikalisiert" hatten. Einige dieser Filme wurden daraufhin ebenfalls gelöscht.

Europol rät zu Geolokalisierung

Germert schlägt vor, eine gemeinsame Plattform einzurichten, auf die alle Diensteanbieter zugreifen können. Dort könnten Daten zu "extremistischen" NutzerInnen gesammelt werden. Durch den Vergleich von IP-Adressen wären alle Beteiligten in der Lage, auch in ihrem Sozialen Netzwerk nach entsprechenden Accounts zu suchen und diese zu löschen.

Europol betreibt mittlerweile ein "First Response Network" zum Einsatz bei terroristischen Anschlägen. Nach den Anschlägen in Paris hat die Agentur kurzfristig 60 Personen zur Unterstützung der französischen Behörden mobilisiert. In Dublin erklärte Germert die Arbeit des Netzwerks. Demnach seien rund um das Bataclan 366 aktive Accounts von Soziale Medien festgestellt worden. Europol habe sich die Geotagging-Funktion der Dienste zunutze gemacht. Ziel war dabei vor allem die Ermittlung von Zeugen.

Allerdings erklärt der Ex-Geheimdienstler nichts zu der Funktionsweise der dabei genutzten Anwendung. Möglich wäre, eine der marktverfügbaren Softwarelösungen zur geobasierten Darstellung von Diensten wie Facebook, Instagram oder Twitter einzusetzen. Einige Betroffene hatten bei den Anschlägen auch aus dem Bataclan Nachrichten über Twitter und Facebook abgesetzt. Germert bezeichnet die Geolokalisierung deshalb als Gelegenheit zur Verbesserung der Arbeit von Sicherheitsbehörden. Krisen könnten dabei nicht nur ausgewertet, sondern auch erkannt werden. Europol ist selbst an drei Forschungsprojekten zum automatisierten Aufspüren von Bedrohungen im Internet beteiligt.

Vergleich mit Uber und AirBnB

Germert sieht das Vorgehen der Paris-Attentäter Strategie für zukünftige Anschläge. Behörden dürften sich daher nicht nur auf Erfahrungen mit Terrorismus stützen, sondern auch Soziale Medien berücksichtigen. Europol könne dabei helfen, Netzwerke und Verbindungen zwischen den PlanerInnen und Ausführenden der Attacken zu finden.

Der niederländischen Tageszeitung Telegraaf erklärte Germert in einem Interview, dass Europol vor allem auf Finanzermittlungen und Netzwerkanalyse setzt. Dabei fielen Namen, Adressen, Telefonnummern und Mailadressen an. Die belgischen und französischen Behörden wurden bei der Analyse von Telekommunikationsdaten unterstützt, die mit Finanzdaten abgeglichen wurden.

Das Data Mining habe dabei zu 1.600 Hinweisen ("Leads") geführt. Im Sommer will die EU ein zentrales Bankkontenregister einführen, um die Rückverfolgung von Finanzströmen weiter zu vereinfachen. Ein bei Europol angesiedeltes europaweites Netzwerk für Finanzermittlungen soll dabei weiter gestärkt werden.

Europol hat kürzlich das "Europäische Zentrum zur Terrorismusbekämpfung" (ECTC) eingerichtet, das als "Fusion Centre" mehrere Abteilungen zusammenführt. Derzeit arbeiten dort 39 Europol-Bedienstete sowie fünf entsandte "nationale Experten". Bis 2018 hat Europol einen zusätzlichen Personalbedarf von 50 Personen beantragt. Laut Germert sei die Zahl der Zahl der Beschäftigten zwar mickrig. Ähnlich wie Uber und AirBnB verfüge Europol kaum über materielle Ressourcen, jedoch sei die Agentur für ihre Werkzeuge und Qualität digitaler Ermittlungen bekannt.

Deutschland weiter Poweruser

Die größte Datei der Agentur ist das "Europol Information System" (EIS) mit derzeit fast 300.000 Einträgen, darunter rund 87.000 Personen. Mehr als ein Viertel der Daten stammt aus Deutschland. Zu "ausländischen Kämpfern" unterhält Europol eine weitere Datensammlung "Travellers", die mittlerweile Einträge zu 3.700 Personen enthält.

Jährlich wird Europol zu rund 30.000 grenzüberschreitenden Ermittlungen kontaktiert, die Agentur ist an 800 Fällen im Rahmen von "high profile investigations" selbst beteiligt. Im vergangenen Jahr habe Europol laut dem Vizedirektor Germert 4.500 Berichte ("intelligence reports") verfasst. Terrorismus und Cyberkriminalität seien die gegenwärtigen Hauptbedrohungen für die europäische Sicherheit, nun käme allerdings die unkontrollierte Migration hinzu.