Europol will Exekutiv-Befugnisse

Tampere und die Folgen: Europol-Beamte drängen auf raschen Ausbau des europäischen Polizeiamts.

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Die Arbeitsgruppe Europol arbeitet in hohem Tempo daran, die Befugnisse von Europol schnell zu erweitern. Dabei geht es um Ermittlungsbefugnisse und den Zugriff auf das Schengener-Informationssystem - alles unter der Überschrift, die Beschlüsse von Tampere umzusetzen.

Am 16. Oktober 1999 beschloss der Europäische Rat in Tampere im künftigen europäischen Sicherheitsraum Europol eine "Schlüsselrolle" zu geben. Es soll operative Daten von den Mitgliedstaaten erhalten, "die Mitgliedstaaten um die Einleitung, Durchführung oder Koordinierung von Ermittlungen" sowie die Einsetzung gemeinsamer Ermittlungsteams ersuchen können.

Die "Dringlichkeiten" von Europol

Wie die britische Bürgerrechtsorganisation Statewatch berichtete, geht die Europol-Arbeitsgruppe jedoch in einem Arbeitspapier sogar noch einen Schritt weiter: Sie schlägt gemeinsame Ermittlungsteams (Tampere-Empfehlung Nr. 44) vor - auch unter der Leitung von Europol.

Notwendig sei dafür eine Erweiterung des Europol-Übereinkommens nicht - schließlich würde dies die Zustimmung des Europäischen Parlaments sowie die Ratifizierung durch die nationalen Parlamente voraussetzen. Das Wort "demokratische Kontrolle" (siehe Computer - Daten - Macht) muss man in dem Arbeitspapier vergebens suchen.

Im Klartext heißt es in dem Bericht vom 25. November 1999, der unter dem Dokumentennamen 13370/99 Europol 48 bis heute unter Verschluss ("Limite") gehalten wird:

"Angesichts der Dringlichkeit gemeinsame Ermittlungsteams einzurichten", soll eine Lösung augeschlossen werden, "die eine Änderung des Europol-Übereinkommens erfordert. Ein Rahmenbeschluss auf der Grundlage des EUV könnte eine angemessene Lösung sein."

Das Instrument des so genannten Rahmenbeschlusses wurde im letzten Jahr kreiert, um schneller in Mehrheitsentscheidungen wichtige Fragen lösen zu können. Zwar werden auch hier das Europäische Parlament sowie die nationalen Parlamente unterrichtet, aber der Prozess benötigt nur wenige Monate, anstatt Jahre. Weiter heißt es in dem Papier, das Telepolis jetzt vorliegt:

"Ein solcher Beschluss sollte die gemeinsamen Ermittlungsteams im allgemeinen erfassen und unbedingt die Beteiligung von Europol sicher stellen. Letztere kann ohne Änderung des Europol-Übereinkommens erfolgen". Das kürzlich verabschiedete Europäische Rechtshilfeabkommen sieht in Artikel 13 und 14 bereits gemeinsame Ermittlungsteams vor - jedoch ohne die Beteiligung Europols.

Wie operativ wird Europol?

In der Anlage des Arbeitspapiers skizzieren die Europol-Beamten ein Szenario für die gemeinsamen Teams. Dabei definiert die Arbeitsgruppe folgende Terminologie:

"Operativ" sind in diesem Zusammenhang alle Handlungen, die zu dem Einsatz an sich gehören und auf der Grundlage der üblichen Rolle der Strafverfolgungsbehörden erfolgen. Dies umfaßt beispielsweise den Informationsaustausch, das Zusammenstellen und Analysieren von Informationen und Erkenntnissen usw.

Unter "Durchführungsmaßnahmen" sind Maßnahmen zu verstehen, die von den Strafverfolgungsbeamten zur Erleichterung der Ermittlungen ergriffen werden, wenn nach innerstaatlichem Recht besondere Befugnisse übertragen wurden, beispielsweise Überwachung, Vernehmung von Verdächtigen, Durchsuchung, Festnahmen usw. Durchführungsmaßnahmen können direkte Auswirkungen auf die verfassungsmäßigen Rechte des Einzelnen haben.

"Eingeschränkte Durchführungsbefugnisse" sind Ermittlungshandlungen, die keine wesentlichen Auswirkungen auf die verfassungsmäßigen Rechte des Einzelnen haben, wie die Vernehmung von Verdächtigen, Akteneinsicht usw. Die genaue Begriffsbestimmung der "eingeschränkten Durchführungsbefugnisse" ist noch im einzelnen zu erörtern. Es ist jedoch bereits jetzt klar, daß einige Handlungen wie etwa Festnahmen nicht dazu gehören.

Für Statewatch ist jedenfalls die Vorstellung, dass die Vernehmung von Verdächtigen keine verfassungsmässigen Rechte betrifft "in höchstem Maße fragwürdig".

Unter dem Punkt "Teilnehmer des Einsatzes" wird als "leitende Behörde", "Europol oder eine Organisation oder Einrichtung einer der beteiligten Mitgliedstaaten" bezeichnet. Desgleichen heißt es weiter, dass "zentralisierte Ermittlungen" von Europol aus geleitet und koordiniert, "dezentralisierte Ermittlungen" hingegen von anderen Orten aus geleitet und koordiniert werden.

Für Statewatch legen diese Formulierungen nahe, dass Europol bei einer "zentralisierten Ermittlung" auch bei "Durchführungsmaßnahmen", wie sie oben beschrieben sind, teilnehmen kann.

In dem Bericht entwickeln die Europol-Beamten mögliche Einsatz-Szenarien: In dem einen Fall werden in einem Mitgliedstaat Ermittlungen aufgenommen und die Polizei erkennt dort sehr schnell, dass der Fall internationale Bezüge aufweist. In diesem Fall bildet der Mitgliedstaat mit anderen betroffenen Mitgliedstaaten ein gemeinsames Team und ersucht um die Mitwirkung von Europol.

Es kann aber auch sein, dass Europol im Rahmen des Informationsaustausches von einem internationalem Fall erfährt. Um ein gemeinsames Team einzusetzen, wendet sich Europol dann an die einzelnen Mitgliedstaaten. Ein Mitgliedstaat ist bereit, die Leitung zu übernehmen oder Europol wird mit der Koordinierung beauftragt.

In einem weiteren Fall besteht die Möglichkeit darin, dass Europol aufgrund seiner Aufklärungstätigkeit kriminelle Organisationen ermittelt, die international in verschiedenen EU-Ländern tätig sind. In diesem Fall wendet sich Europol an die einzelnen Mitgliedstaaten, um gemeinsame Teams einzusetzen.

In den Ermittlungsphasen kann jedes Mitglied des gemeinsamen Teams in seinem eigenen Land Ermittlungen durchführen, während andere Beamte lediglich Hilfsfunktionen wahrnehmen. Europol kann unterstützend tätig sein beim Informationsaustausch, bei der Sammlung und Analyse von Informationen und Erkenntnissen sowie bei der Bereitstellung von technischem, logistischem und sprachlichem Fachwissen. Beweismittel können entsprechend den Rechtsvorschriften der jeweiligen Länder verwendet werden - im entsendenden Staat allerdings nur im Rahmen der gegenseitigen Rechtshilfe.

Operative Task-Force der europäischen Polizeichefs

Ebenfalls angelehnt an Nr. 44 der Schlussfolgerung von Tampere soll eine operative Task-Force der europäischen Polizeichefs eingerichtet werden. Sie soll mit Europol gemeinsam Erfahrungen, Methoden und Informationen "zu aktuellen Trends der grenzüberschreitenden Kriminalität" austauschen und an der Planung operativer Maßnahmen beteiligt sein.

Um dafür eine ständige Einrichtung zu errichten, wäre die Erweiterung des Europol-Abkommens notwendig. Deshalb schlägt die Europol-Arbeitsgruppe vor, die Task-Force als "Arbeitsgruppe des [Europol-] Verwaltungsrats" einzusetzen.

Um eine solche Task-Force im Rahmen des Rates einzusetzen genügt ein Beschluss des Ausschusses der ständigen Vertreter. Dieser ist nämlich für die Einsetzung von Arbeitsgruppen zuständig.

Europol will Zugriff auf SIS und ZIS

Schon heute kann Europol operative Daten erhalten, wenn die Daten zu Analysezwecken benötigt werden, wenn sie von nationalen Stellen übermittelt werden, und Europol selbst keine operativen Maßnahmen ergreift. Im neuen Europol-Computersystem (siehe Information als Rohstoff der Polizeiarbeit), das 2002 in Betrieb gehen soll, können Beamten Daten sogar dezentral eingeben. Ermittlungsdaten und teilweise historische Daten sollen die Koordination von Operationen und Ermittlungen erleichtern. Zusätzlich plant Europol seinen Datenpool über Kooperationsvereinbarungen mit Interpol und außereuropäischen Staaten (siehe Europol will mit Kolumbien und Russland Daten austauschen) zu erweitern.

Das Expansionsstreben bezieht sich aber auch auf innereuropäische Datenbestände: Die Arbeitsgruppe stellt in ihrem Bericht konsequent fest, dass bei Europol "ein klarer operativer Bedarf" besteht, "Zugang zu dem im SIS [Schengener Informationssystem] und im ZIS [Zollinformationssystem] espeicherten Daten zu erhalten". Dort werden jedoch auch operative Daten gespeichert.

Noch ist nicht entschieden, ob Europol einen direkten Zugang zu den Systemen erhält. Um Daten direkt im SIS abzurufen, muss nämlich das Schengener Durchführungsübereinkommen geändert werden. Zur Zeit formalisiert und legitimiert das Sirene-System den Informationsaustausch zwischen den Polizeibehörden in den verschiedenen Staaten.

Im Bereich der Geldwäschebekämpfung wird auch von politischer Seite eine Zusammenarbeit forciert. So planen nach Auskunft von Klaus-Henning Schapper, Staatssekretär im Bundesinnenministerium, Europol, die G-8-Staaten und die Financial-Action-Task-Force (FATF) künftig Informationen über verdächtige Geldwäschetransaktionen aufeinander abzustimmen.

Deutsche Delegation bremst Europol-Ideen

Die deutsche Delegation wies nach Informationen von Telepolis in einer ersten Reaktion auf das Arbeitspapier die Europol-Beamten in ihre Schranken: Die Frage der Beteiligung von Europol an die gemeinsamen Entwicklungsteams sei bereits unter deutschem Vorsitz erörtert worden. Als Ergebnis wurde damals im Dokument "Europol 29" festgehalten, dass die Ermittlungen der gemeinsamen Teams unter Leitung der betroffenen Mitgliedstaaten auf der Grundlage des jeweiligen nationalen Rechts durchgeführt werden. Dabei waren sich alle einig, dass Europol-Beamte keine eigenständigen Kompetenzen, "sondern lediglich unterstützende und beratende Funktion zustehen sollten".

Was die Interpretation der Europol-Arbeitsgruppe anbelangt, zeigt sich die deutsche Delegation vorsichtig: Sie fordert "zunächst zu präzisieren [...], was im Einzelnen unter einer lediglich "unterstützenden" Funktion von Europol zu verstehen ist." Ihrer Meinung nach kann Europol keine leitende Funktion in einem gemeinsam Ermittlungsteam einnehmen. Europol komme nur eine "unterstützende Funktion" zu.

Auch stellt die Delegation fest, "dass Europol lediglich eine Anregungskompetenz zur Einrichtung von gemeinsamen Ermittlungsgruppen zukommt". Deshalb haben so genannte Ermittlungsersuche von Europol keine bindende Wirkung. Was den Wunsch von Europol anbelangt, Zugriff auf die operativen Daten von SIS und ZIS zu erhalten, fordert die deutsche Delegation erst einmal eine "nachvollziehbare" Begründung.

Wenig Vorbehalte seitens Großbritannien

Die britische Delegation hingegen zeigte sich "allgemein zufrieden" mit dem Papier. Allerdings glauben die Briten, dass man noch etwas darüber nachdenken sollte, wie Europol "operationale Daten" speichern soll. Was die Einrichtung gemeinsamer Ermittlungsteams anbelangt, kann Europol aufgrund eigener Aufklärungstätigkeit die Aufmerksamkeit der Mitgliedstaaten auf entsprechende Fälle lenken, die dann über die Einrichtung eines Ermittlungsteams entscheiden.

Mehr demokratische Kontrolle

Auch die Kommission signalisierte bereits, dass sie mit den meisten Ideen der Europol-Arbeitsgruppe einverstanden ist. Sie erinnert an die Empfehlung des Ausschusses für zivile Bürgerrechte und interne Angelegenheiten des Europäischen Parlamentes, der am 23. Februar 1999 eine stärkere parlamentarische Kontrolle sowie die Ausweitung der Europol-Befugnisse gefordert hatte. Im so genannten "Nassauer Bericht" (Kürzel A4-0061/96) forderte das Parlament zudem stärkere Kontrollbefugnisse für den Fall, dass Europol die Befugnis erhält grenzüberschreitende Ermittlungen zu initiieren. Für diesen Fall solle Europol einem Mitglied der Kommission unterstellt werden, das einerseits unter der Kontrolle des Parlaments steht. Der Bericht forderte ebenfalls die Schaffung eines Büros für einen europäischen Generalstaatsanwalt., der Europol Weisungen erteilt.