Explosionsartige Ausweitung der Finanzmärkte in der Clinton-Ära

Seite 2: Die Hightech-Bonanza und Explosion der Finanzmärkte

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Dennoch scheint die wirtschaftliche Entwicklung in den USA seit 1993 den Neoliberalen Recht zu geben und diese Theorie einer langfristigen, schleichenden Stagnation der avancierten Volkswirtschaften zu widerlegen. In einem außerordentlich lang anhaltenden Wirtschaftsaufschwung, der bis Anfang 2000 fortdauerte, wurde in den Vereinigten Staaten ein offizielles Wirtschaftswachstum von vier bis fünf Prozent erzielt und die Arbeitslosigkeit scheinbar von sieben Prozent aus vier Prozent gedrückt.

Als Antrieb dieses stürmischen Wachstums schien der wissenschaftlich-technische Fortschritt zu fungieren, dessen neuste Errungenschaften auf dem Gebeit der Mikroelektronik und Informationstechnik die Hoffnungen auf einen neuen Markt, auf eine Weitere Expansionsmöglichkeit der Kapitalistischen Volkswirtschaften weckten. Hier hat die kurzfristig rasant zunehmende Investitionstätigkeit in den USA ihre Ursache. Die Verbreitung des Internets ging mit der Errichtung einer entsprechenden Infrastruktur einher, mit den Spekulationen auf neue Märkte, Waren und Dienstleistungen, die im Gefolge des Hightech-Booms entstehen und massenhaft neue Beschäftigungsmöglichkeiten generieren würden. Es war die Zeit, in der nahezu jede noch so abartige Idee auf willige Investoren stieß, solange sie mit den Wörtchen "Internet" oder "E-Commerce" garniert wurde.

Doch bereits seit Mitte der 90er Jahre überstrahlt der schwindelerregende Boom der Aktienmärkte die Konjunktur belebenden Effekte der aufstrebenden IT-Branche. Der amerikanische Hightech-Aktienindex Nasdaq klettert von knapp 800 Zählern in 1995 auf knappe 5000 Punkte auf dem Höhepunkt der Spekulationshausse im Jahr 2000. Dieses Spekulationsfieber mit den Aktien von Unternehmen aus der Hightech- und IT-Brache bildete eigentlich nur den Startschuss für eine nun tatsächlich explosionsartige Ausweitung der Finanzmärkte, die in ihrer Dimension und Dauer absolut einzigartig in der Jahrhunderte alten Geschichte des Kapitalistischen Weltsystems ist. Die Ausmaße dieser wahnsinnigen Aufblähung des Finanzmärkte werden eigentlich schon am Dow Jones sichtbar, sofern man die richtige Distanz zu dem hektischen Treiben auf dem Parkett wählt:

Dow Jones Aktienindex, Langzeitchart

Zu Erinnerung: Paul Sweezy beschrieb die "Finanzielle Explosion" innerhalb der Volkswirtschaft der USA bereits 1985, also zu einem Zeitpunkt, als rückblickend dieser monströse Prozess der stürmischen Expansion der Finanzmärkte noch nicht richtig in Schwung gekommen ist. Während des gesamten Zeitalters des kapitalistischen "Goldenen Zeitalters", also von 1950 bis 1973, steigt der Dow nur sehr langsam an, da Investitionen in die reale Wirtschaft höhere Renditen versprachen als die Börsenspekulation. Im Jahr 1985 befand sich der Dow Jones bei 1.400 Punkten, 2007 erreichte er seinen historischen Höchststand von etwas mehr 14.000 Punkten. Dies ist eine Verzehnfachung binnen 22 Jahren, die in keinem Zusammenhang mit der Entwicklung der realen Ökonomie steht.

Deutlich wahrnehmbar ist das "Platzen" der ersten Spekulationsblase im Hightech-Sektor um 2000, deren Effekte erst ab 2003 überwunden werden und der Dow Jones in den letzten Höhenrausch verfällt. Nur sehr schwer ist hingegen die Spekulation auszumachen, die 1929 der bislang verheerendsten Weltwirtschaftskrise vorausging, dem Faschismus Auftrieb verschaffte und mittelbar in das Gemetzel des Zweiten Weltkrieges führte. Damals stiegen die Aktienkurse zwischen 1921 und 1929 um fast 500 Prozent an.

Walden Bello beschrieb die Konjunktur belebenden Effekte und die problematischen Auswirkungen solch spekulativer Blasenbildung in dem bereits erwähnten Artikel:

The problem with investing in financial sector operations is that it is tantamount to squeezing value out of already created value. It may create profit, yes, but it does not create new value -- only industry, agriculture, trade, and services create new value.

Because profit is not based on value that is created, investment operations become very volatile and prices of stocks, bonds, and other forms of investment can depart very radically from their real value -- for instance, the stock of Internet startups that keep on rising, driven mainly by upwardly spiraling financial valuations, and that then crash.

Profits then depend on taking advantage of upward price departures from the value of commodities, and then selling before reality enforces a "correction," that is, a crash back to real values. The radical rise of prices of an asset far beyond real values is what is called the formation of a bubble.

Waldo Bello

Solange die Spekulationsblase wächst, können durchaus reelle Gewinne erwirtschaftet werden. Die irrationalen Wertsteigerungen können somit in reale Profite umgemünzt werden. Das Ganze gleicht einem Schneeballsystem, dem immer mehr frisches Kapital zuströmt und aus dem diejenige durchaus mit satten Gewinnen aussteigen kann, der früh genug einsteigt und wieder aussteigt. Die Internet-Blase war überdies die erste Spekulation, an der sich große Teile der US-Mittelklasse beteiligten - in Deutschland wiederum lockte etwa Manfred Krug hunderttausende Kleinanleger im Zuge der Privatisierung der Telekom auf das glatte Börsenparkett. Es entstand eine "Dienstmädchenhausse", in der kurz vor Zusammenbruch der Spekulation selbst Geringverdiener an die Börsen strebten.

Mit formell immer weiter steigenden Aktien, waren diese frischgebackenen (Klein-) Aktionäre durchaus versucht, ihren sicher geglaubten, zukünftigen Reichtum schon im Voraus zu genießen. Die Ökonomie spricht in diesem Zusammenhang von dem "Wealth Effect" (Reichtums-Effekt), von einer Tendenz innerhalb der Mittelschichten, einen Teil ihrer (scheinbaren) Einkommenszuwächse für Konsum auszugeben. Insbesondere in den USA nahm folglich auch die private Verschuldung zu, gingen die Kleinanleger aus der Mittelklasse dazu über, die noch realisierten Gewinne in Konsum umzuwandeln. Die Dimensionen des scheinbar explodierenden, "virtuellen" - im Zuge der Internet-Blase generierten - Reichtums der amerikanischen Bevölkerung, wird an der Wertsteigerung der Kapitalbeteiligungen im Besitz der privaten US-Haushalte deutlich. Betrug der Wert dieser Kapitalbeteiligungen in 1990 ca. 40 Prozent des amerikanischen BSP, so stieg er auf 140 Prozent des BSP in 2000, auf den Höhepunkt der Hightech-Spekulation, nur um dann auf 60 Prozent zu verpuffen.

Zwischen den frühen 90ern und dem Jahr 2000 konnten viele US-Bürger also der Auffassung sein, sie würden vermittels ihrer steigenden Aktien immer wohlhabender - und sie konsumierten auch entsprechend. Die private Verschuldung wird - wie wir noch sehen werden - eine immer größere Rolle in diesem von den Finanzmärkten angetriebenen Kapitalismus spielen. Alan Greenspan hat dieses Phänomen, das eine stimulierende Wirkung auf den Konsum hat, auf dem Höhenpunkt der Hightech-Blase folgendermaßen umrissen:

Historische Belege lassen den Schluss zu, dass drei bis vier Cent von jedem Dollar, der an zusätzlichem Reichtum auf den Aktienmärkten entsteht, in zusätzlichen Konsumausgaben münden.

Alan Greenspan

Aus den obigen Ausführungen müsste eigentlich ersichtlich werden, dass die derzeitige Diskussion über die Finanzkreise die kausalen Zusammenhänge zwischen Finanz- und Industriesektor falsch darstellt. Es sind gerade die im spekulativen Feuer verfangenen, boomenden Finanzmärkte, die der schwindsüchtigen, realen Wirtschaft vermittels Nachfrage auf die Sprünge helfen. Dies ist auch das "Geheimnis" der anscheinend so stürmisch wachsenden US-Konjunktur in den 90ern. Die anhaltende Hightech-Spekulation ermöglichte den langen Aufschwung während der Cinton-Ära. Das Bild eines raffenden, zersetzenden Finanzkapitals, das das kerngesunde produzierende Gewerbe mit in den Abgrund der Rezession reißt, stellt somit die Realität geradezu auf den Kopf. Wir werden noch anhand der Immobilienspekulation sehen, wie dieser Effekt einer von den spekulativen Finanzmärkten befeuerten, realen Wirtschaft noch weiter zunimmt und globale Dimension erreicht.