Exponentieller Kostenanstieg: Wie ESG-Reporting europäische Konzerne belastet
Große Unternehmen erwägen, Europa zu verlassen. Der Grund sind ausufernde Vorschriften zur Nachhaltigkeit. Warum die USA für sie attraktiver sind.
Die europäische Wirtschaft gerät im globalen Wettbewerb immer mehr ins Hintertreffen. Ein Grund dafür sind die Bemühungen der EU-Kommission und der EU-Länder, den Klimaschutz voranzutreiben.
Klimaschutz in Europa: Vorschriften statt Anreize
Dabei ist weniger entscheidend, dass Klimaschutz betrieben wird, sondern wie er umgesetzt wird. Während Europa auf eine Fülle von Vorschriften setzt, schaffen die USA Anreize. Während die EU ihre Unternehmen in ein immer engeres Korsett von Vorschriften zwängt, locken die USA Investitionen an.
Das macht sich an der Börse bemerkbar, berichtet der Finanzdienst Bloomberg. Die Aktie des US-Ölgiganten ExxonMobil hat ihren Wert in den vergangenen drei Jahren mehr als verdoppelt. Die Gewinne des französischen Energiekonzerns TotalEnergies blieben dagegen weit hinter denen der Konkurrenz aus Übersee zurück.
Patrick Pouyanne, Chef von TotalEnergies, macht dafür die ESG-Regeln verantwortlich. ESG steht für "Environment, Social and Governance" und definiert Kriterien für nachhaltiges Investieren und Wirtschaften.
Der Druck der Investoren, nach ESG-Standards zu investieren, schmälere die Gewinne, klagt Pouyanne. Wohl auch deshalb denkt er über eine Börsennotierung in den USA nach. Würden europäische Konzerne so bewertet wie ihre US-Konkurrenten, wäre Total Energies fast 108 Milliarden US-Dollar mehr wert, hat Bloomberg errechnet.
ESG-Regeln belasten europäische Konzerne
In den vergangenen fünf Jahren ist der amerikanische S&P 500 Index mehr als doppelt so stark gestiegen wie der europäische Stoxx 600 Index. Europäische Energieunternehmen werden in der Regel mit einem Abschlag von 40 Prozent gegenüber ihren US-Konkurrenten gehandelt.
Auch andere europäische Konzerne wie Mercedes-Benz und Unilever kritisieren die ESG-Anforderungen. Und der European Round Table for Industry, dessen Mitglieder zusammen einen Umsatz von mehr als zwei Billionen Euro erwirtschaften, warnt, dass "zu strenge Regulierungen den Verlust der Wettbewerbsfähigkeit beschleunigen".
Einige Unternehmen ziehen nun Konsequenzen: Der Rohstoffhändler Glencore erwägt, seine Börsennotierung von London nach New York zu verlegen. Der deutsche Energieversorger RWE AG investiert längst mehr in den USA als im Heimatmarkt. Der norwegische Batteriehersteller FREYR Battery hat seinen Hauptsitz in die USA verlegt.
Dimitri Papalexopoulos vom European Round Table warnt laut Bloomberg: "Wenn Europa seinen Anteil an diesen globalen Sektoren verliert, werden andere aus anderen Ländern einfach einspringen und der Wohlstand wird sich dorthin verlagern".
EU-Beamte verteidigen strenge Regulierungen trotz Kritik
EU-Beamte räumen Probleme mit der Geschwindigkeit und Komplexität der Regulierung ein. Sie betonen jedoch die Notwendigkeit angesichts der Klima- und Biodiversitätskrise. Helena Vines Fiestas, Vorsitzende der EU-Plattform für nachhaltiges Finanzwesen, sagt: "Es gibt natürlich kurzfristige Schmerzen, weil es einige Anstrengungen erfordert, aber die Vorteile beginnen sich abzuzeichnen.
Europäische Unternehmen kritisieren jedoch die Komplexität der EU-Vorschriften. Die Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung verpflichtet Unternehmen, mehr als 1.000 Datenpunkte zu liefern. Die Kosten für die Einhaltung der Vorschriften steigen rapide. Olga Smirnova vom Brauereikonzern Heineken NV spricht gegenüber Bloomberg von einem "exponentiellen" Anstieg der Ausgaben für die ESG-Berichterstattung.
Im Gegensatz zur EU setzt die US-Regierung auf Anreize statt auf Vorschriften. Das Klimagesetz von Präsident Joe Biden (Inflation Reduction Act) sieht Steuergutschriften und -erleichterungen für grüne Investitionen vor. Goldman Sachs schätzt, dass es bis zu 3,3 Billionen US-Dollar an Ausgaben auslösen könnte.
Im Vergleich zur Europäischen Union sind die Maßnahmen der US-Regierung für Unternehmen attraktiv. Laut einer Analyse der Bank of America haben im ersten Jahr nach der Verabschiedung des IRA mehr als 60 europäische und asiatische Unternehmen Projekte in den USA angekündigt.