FDP fordert "Meinungsfreiheits-Durchsetzungsgesetz"
Nach den Schlagzeilen um fragwürdige Twitter-Sperren haben die Liberalen eine Idee des Juraprofessors Arnd Diringer aufgegriffen
Nicola Beer, die Europawahlspitzenkandidatin der FDP, hat eine Forderung des bekannten Juraprofessors Arnd Diringer übernommen: Der hatte nach der Zensur einer Kopftuch-Äußerung von Staatssekretärin Serap Güler durch Facebook angeregt, "das Meinungsfreiheits-Verhinderungsgesetz (= #NetzDG) abzuschaffen und (auch im Hinblick auf die 'immense Macht' der sozialen Medien) über ein Meinungsfreiheits-Sicherungsgesetz nachzudenken".
"Mit dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz" wurde Beers Eindruck nach im letzten und vorletzten Jahr "die Büchse der Pandora geöffnet": "Anbieter Sozialer Netzwerke versuchen, Beschwerden und weitere Gesetzgebung zu vermeiden und löschen im Zweifelsfall auf Kosten der Meinungsfreiheit lieber einmal zu viel als zu wenig." Dieses "Overblocking" müsse nicht nur "öffentlich diskutiert werden", sondern auch "Konsequenzen" haben: "Denn es ist" Beers Ansicht nach "Aufgabe des Staates, auch im Internet für eine Umgebung zu sorgen, in der sich Meinungsfreiheit entfalten kann".
NetzDG-Zwischenbilanz im Bundestag
"Begeben sich soziale Plattformen in den Bereich der Meinungsbildung", müssen den Ausführungen der stellvertretenden FDP-Vorsitzenden nach "Grundrechte wie die Meinungsfreiheit mittelbar gelten, nicht nur von Unternehmen gesetztes Privatrecht wie AGBs und Nutzungsbedingungen". Damit gibt sie sinngemäß eine Entscheidung des Landgerichts Bamberg wider, die der bekannte Rechtsanwalt Joachim Steinhöfel im Oktober erwirkte (vgl. Facebooks Quasi-Monopol schränkt Definitionsmöglichkeiten von "Hassrede" ein).
Steinhöfel teilte seine Erfahrungen am Mittwoch dem Bundestag mit, als der sich eine Zwischenbilanz zum NetzDG geben ließ (vgl. NetzDG im Bundestag zwischen "Kapitulation des Rechtsstaats" und "Meilenstein"). Der Rechtsanwalt plädierte dabei dafür, das "von Anfang an überflüssige" Gesetz abzuschaffen und durch Pflichten zur Angabe von Zustellungsbevollmächtigten zu ersetzen, die (anders als die jetzige Regelung mit Schlupfloch) auch eine Entgegennahmepflicht beinhalten (vgl. Bundesregierung prüft Maßnahmen gegen unberechtigtes Löschen und Sperren).
Handlungsbedarf sieht auch der ebenfalls vom Bundestag eingeladene Frankfurter Rechtswissenschaftler Alexander Peukert. Ihm schweben als Reparaturversuch des NetzDG mehrere neue und gesetzlich verankerte Pflichten für die Betreiber Sozialer Netzwerke vor: Eine Pflicht, die betroffenen Nutzer zu informieren, eine Pflicht das Löschen oder Sperren auf eine Beschwerde hin innerhalb von 24 Stunden zu überprüfen, sowie eine Pflicht zur Wiederherstellung zu Unrecht entfernter Inhalte. Solche Möglichkeiten bieten die Betreiber der großen Netzwerke allerdings schon jetzt an - und sie lassen viele Nutzer so unzufrieden zurück, dass die Zensierten auf eigene Kosten oder mit Pro-Bono-Hilfe den Rechtsweg beschreiten (vgl. Einstweilige Verfügung: Facebook darf legalen Kommentar weder löschen noch sperren).
Sind sie Politiker oder andere bekannte Personen, steht ihnen auch eine kostenlose Alternative zum Rechtsweg zur Verfügung: Publicity, die beispielsweise dazu führte, dass Twitter Maßnahmen gegen die SPD-Staatssekretärin Sawsan Chebli und die Zeitung Jüdische Allgemeine wieder aufhob (Vgl. #Twittersperrt: Account der "Jüdischen Allgemeinen" blockiert). Versuchen, solche spektakulären Fälle mit Unterschieden zwischen Twitter-Regeln und den Zielen des NetzDG zu erklären, halten Kritiker die Ähnlichkeit der Formulierungen in beiden Vorschriften entgegen. Auch, dass es in Deutschland zehn Mal mehr Twitter-Beschwerdemeldungen pro Kopf gibt, als im Durchschnitt der anderen europäischen Länder, spricht für einen nicht zu unterschätzenden Einfluss des deutschen Alleinstellungsmerkmals NetzDG auf das Phänomen.
Kaum Chancen auf baldige Verwirklichung
Dass die Forderung der FDP nach einem "Meinungsfreiheits-Durchsetzungsgesetz" bald Wirklichkeit wird, ist unwahrscheinlich, da die Partei in Deutschland in der Opposition ist und im Europaparlament ein Bündnis mit der französischen Regierungs-Wahlplattform Renaissance eingehen wird (vgl. FDP: Gegen Transferunion und Uploadfilter, aber für Macron?). Deren Anführer Emmanuel Macron hat sich in der Vergangenheit nicht unbedingt einen Ruf als Verteidiger der Meinungsfreiheit erworben, sondern gilt als treibende Kraft hinter der Einführung von Uploadfiltern, die "Fake News" unterdrücken sollen (vgl. EU-Parlament stimmt für faktische Uploadfilterpflicht).
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