Fake Science? Die Sache mit den Raubverlagen

Seite 2: Terra X über die "Raub-Verlage"

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Diese Praxis der sogenannten "Raub-Verlage" hat kürzlich auch der Astrophysiker Harald Lesch in seiner ZDF-Sendung Terra X als "Fake News in der Wissenschaft" kritisiert. Dabei sieht er das Problem vor allem darin, dass Forscher hier für die Publikation selbst bezahlen. Über das oben beschriebene traditionelle Verlagswesen, bei dem der Eine oder Andere womöglich schon an "Raub" gedacht hat, äußert Lesch sich hingegen lobend.

In seiner Sendung schüttet er aber das Kind mit dem Bade aus: Ob nun Forscher selbst bezahlen, ihre Arbeiten dann in aller Regel aber für die ganze Welt frei verfügbar sind (Open Access), oder Bibliotheken für Zeitschriften saftige Abonnementpreise bezahlen - stets werden hierfür öffentliche Gelder aufgebracht. Nach dem traditionellen Modell stecken die Artikel dann aber doch hinter einer Paywall, die nur einen Bruchteil der Menschheit durchlässt.

Unabhängige Qualitätskontrolle

Die zentrale inhaltliche Frage, an der sich der Astrophysiker ebenso wie andere Kommentatoren zu der "Fake Science" vorbeilavieren, ist aber doch die nach einer zuverlässigen und unabhängigen wissenschaftlichen Qualitätskontrolle. Diese liefert das traditionelle System aus strukturellen Gründen aber gerade nicht.

Mit ordentlich Pathos schließt Lesch seinen Beitrag. In unserer Gesellschaft sei es Aufgabe der Wissenschaftler, "der Wahrheit und nichts als der Wahrheit sich verpflichtet zu fühlen: Wahrheit ist das einzige Kapital der Wissenschaft. Und nicht das Geld." Dieser Standpunkt ist aber mindestens seit Thomas Kuhns "Structure of Scientific Revolutions" überholt, also seit mehr als 50 Jahren. Damit wurde nämlich gezeigt, dass auch Forscher in Gemeinschaften funktionieren, die psychosozialen Gesetzmäßigkeiten unterliegen.

Um das Thema hier nicht ausufern zu lassen, halte ich es konkret: Die angeblich nur der Wahrheit verpflichteten Wissenschaftler befinden sich inzwischen oft genug in einem Hyperwettbewerb um Stellen und Forschungsmittel, mit dem korrumpierende Einflüsse einhergehen. Die Publikation in renommierten Fachzeitschriften ist dabei die "harte Währung", mit der man seinen Status ausweist.

Verantwortung gegenüber der Privatwirtschaft

Wir wir gesehen haben, sind diese Zeitschriften aber oftmals Eigentum profitorientierter Unternehmen. Deren Angestellte treffen die endgültigen Entscheidungen über die Veröffentlichung oder Nicht-Veröffentlichung; Entscheidungen, die im Zweifelsfalle nicht gegenüber der Wissenschaft, sondern gegenüber den Eigentümern verantwortet werden müssen.

Dabei werden zwar Fachgutachten anderer Wissenschaftler eingeholt. Diese operieren aber anonym und sind ebenfalls nur der Kontrolle des Herausgebers unterstellt, keiner unabhängigen wissenschaftlichen Instanz. Hinzu kommt, dass die Gutachter regelmäßig Konkurrenten und/oder Freunde derjenigen sind, deren Arbeiten sie neutral kontrollieren sollen. So ergeben sich zahlreiche Möglichkeiten für Interessenkonflikte, die in der öffentlichen Debatte aber so gut wie keine Rolle spielen (Warum die Wissenschaft nicht frei ist).

Machtmissbrauch durch Gutachter

Dabei sind ans Tageslicht gekommene Fälle, in denen ein Gutachter die Wissenschaftler dazu zwingt, zur Steigerung des Renommees noch ein paar eigene Arbeiten zu zitieren, noch eher harmlos (Zitier mich oder vergiss es!). Früher witzelte man über Doktor- oder Habilitationsväter, die der Meinung waren, in der Arbeit des Nachwuchses noch nicht hinreichend zitiert worden zu sein. Hier ist das Machtgefälle ähnlich, das Gegenüber aber immerhin bekannt.

Ich hatte gerade einen Fall, bei dem ich die inhaltlich sehr ähnliche Forschung eines Kollegen für eine gar nicht mal schlechte Zeitschrift begutachten sollte. Durch die Publikation so einer konkurrierenden Studie wird die Wahrscheinlichkeit, dass es die eigene Arbeit in dieselbe Zeitschrift schafft, geringer. Denn dann stellen sich die Herausgeber womöglich auf den Standpunkt, die sie nicht mehr so originell sei oder etwas Ähnliches bereits erschienen ist.

Wer dem Konkurrenten Steine in den Weg legen will, der hat in so einer Situation zahlreiche Optionen: Vom dreisten Ideenklau abgesehen, könnte man die Arbeit mit immer neuen Verbesserungswünschen in der Warteschleife halten. Dabei können mitunter Jahre ins Land ziehen, in denen man versuchen kann, die eigene Studie zu publizieren. Dann gilt man vielleicht als Erster für eine bestimmte Entdeckung. Zur Information: Mein dreiseitiges Gutachten im genannten Fall habe ich innerhalb von dreieinhalb Wochen geliefert. Die Herausgeberin fand es "terrific review work."

Man könnte auch einfach die Arbeit des anderen schlecht dastehen lassen. Die Herausgeber der Zeitschrift richten sich bei ihren Entscheidungen nach den Gutachten. Wenn man nicht will, dass der Kollege dort publiziert, weil man vielleicht selbst ein ähnliches Manuskript in Vorbereitung hat oder um dieselben Forschungsmittel konkurriert, dann kann man leicht die negativen Seiten der Arbeit hervorkehren.

Da es in aller Regel mindestens zwei Gutachten gibt, kann man hier allerdings nur Wahrscheinlichkeiten beeinflussen und keine bestimmte Entscheidung zwingend herbeiführen. Herausgeber, denen eine Reaktion spanisch vorkommt, können natürlich andere Gutachten einholen.

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