Fake Science? Die Sache mit den Raubverlagen

Seite 3: Alles basiert auf Vertrauen

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Wie man es aber dreht und wendet: Das traditionelle System basiert wesentlich auf Vertrauen. Wenn man aber die Zutaten des harten Konkurrenzkampfs mit der fehlenden Transparenz und Kontrolle kombiniert, vielleicht auch nur Schlampigkeit aufgrund von Zeitdruck, dann lassen sich zahlreiche Fehlerkonstellationen bedenken. Und wie viele Doping- oder Korruptionsskandale brauchen wir noch aus anderen Bereichen, damit wir Leschs Idealbild als unrealistische Utopie erkennen?

Die Darstellung des Astrophysikers ist aber nicht nur ärgerlich, weil sie das traditionelle Publikationswesen übertrieben verherrlicht. Weit übers Ziel hinaus schießt Lesch nämlich mit seiner Pauschalkritik an dem Finanzierungsmodell: Wie wir gesehen haben, macht es unterm Strich für die öffentliche Hand keinen Unterschied, ob ein Forscher selbst für eine Publikation bezahlt oder die Bibliothek seiner Forschungseinrichtung.

Neue Initiativen

Mit dem neuen und von Lesch und anderen so kritisierten Bezahlmodell arbeiten aber auch Open-Access-Zeitschriften namhafter Wissenschaftler, die sich gerade für mehr Transparenz, Effizienz und Freiheit im wissenschaftlichen Publikationswesen einsetzen. Nur einzelne Beispiele hierfür sind etwa die 2007 von einigen Neurowissenschaftlern gegründeten Frontiers-Journals mit inzwischen rund 60 Zeitschriften unterschiedlicher Fachrichtungen von A wie Aging Neuroscience bis V wie Veterinary Science.

Für die darin veröffentlichten Artikel zeichnen die Peer Reviewer mit ihrem Namen, sodass es persönlich zurechenbar wird, wenn ein Gutachter eine schlechte Arbeit passieren lässt. Auch PLOS ONE muss man hier erwähnen, das bereits 2006 an den Start ging und inzwischen 20.000-30.000 Artikel jährlich unter einer Creative-Commons-Lizenz verfügbar macht. Die "Public Library of Science" (PLOS) geht dabei auf eine Initiative namhafter Forscher und Nobelpreisträger aus dem Jahr 2000 zurück.

Entlarvten Gutachter die Skandale?

Man muss auch einmal die Gegenfrage stellen, welchen Forschungsskandal, welches Plagiat, welche fehlende Replizierbarkeit ganzer Forschungszweige hätte denn das oft so hoch gelobte klassische Gutachtersystem in den letzten Jahren aufgedeckt? In aller Regel waren es junge Wissenschaftler oder gar Studenten, die mitunter ihre Karriere aufs Spiel setzten, die solche Probleme ans Tageslicht brachten (Unmoralischer Moralforscher?). Den Gutachtern waren jahrelange Täuschung und Betrug nicht aufgefallen.

Kurzum, eine unabhängige Qualitätskontrolle ist in der Wissenschaft natürlich unerlässlich. Das klassische Modell ist aber systematisch fehleranfällig. Selbst wenn man mit Lesch von der Wahrheit schwärmt, haben die Gutachter begrenzte Zeit und oft nicht einmal Zugang zu den Originaldaten.

Darum können sie gar nicht alles kontrollieren. Dazu kommen zweifelhafte Anreize für diejenigen, die es mit der Wahrheit nicht zu genau nehmen, und die durch Anonymität und Profitinteressen verborgen werden.

Wir brauchen einen Bewusstseinswandel

Wer sich jetzt die Spam-Verlage vorknöpft, und deren unmoralische Geschäftspraxis mit viel Medientamtam als "Raub" oder "Fake Science" verurteilt, der macht es sich zu einfach. Es gibt viel mehr und drängendere systematische Probleme im Wissenschaftsbetrieb, als es das Abfackeln des Strohmanns einiger gekaufter Publikationen ohne Qualitätskontrolle suggeriert.

Um an den allgemeineren Ursachen etwas zu ändern, braucht es einen Bewusstseinswandel, mehr Transparenz und andere Anreize. Ob die alten Verlage dabei mitziehen oder sich hinter ihrem Renommee und Copyright verschanzen und so andere Initiativen auf den Plan rufen, wird die Zukunft zeigen.

Dabei ist das wahnwitzige Bewertungssystem noch gar nicht thematisiert, das heute so gut wie allen aufgedrückt wird: Gute Wissenschaft erkenne man an der Anzahl der Zitationen. Der polnische Biochemiker Grzegorz Kreiner von der Polnischen Akademie der Wissenschaften in Krakau wies nach, dass der Zitationserfolg kein guter Indikator für spätere Nobelpreise ist. Dabei zieht er einen interessanten Vergleich zwischen der heutigen "Sklaverei" der Zitationszahlen und dem früheren Kommunismus in seinem Land:

Wir hatten in Polen eine einzigartige Erfahrung, die aus der kommunistischen Periode unserer Geschichte stammt. Damals mussten alle Arbeitsbestrebungen in Zahlen quantifiziert werden. Diese Zahlen waren das allerwichtigste, obwohl die Ergebnisse der Arbeit alles andere als erwartungsgemäß waren. Das war eine Zeit, in der zum Beispiel eine Autofabrik stolz verkünden würde, das Millionste Fahrzeug produziert zu haben. Dabei wurde aber komplett vernachlässigt, dass man bei diesen Autos aufgrund einer Vielzahl mechanischer Fehler kaum den Motor starten oder den Parkplatz verlassen konnte.

Grzegorz Kreiner; dt. Übers. d. A.

Dieser Artikel erscheint ebenfalls im Blog "Menschen-Bilder" des Autors.

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