Fall NSU: "Verschwörungstheorie" - Ein substanzloser Begriff hat Konjunktur
Seite 3: Die Blockierer im Falle NSU sitzen in der Mitte der Gesellschaft
- Fall NSU: "Verschwörungstheorie" - Ein substanzloser Begriff hat Konjunktur
- Es geht um die Absicherung des Deutungsmonopols des Sicherheitsapparates
- Die Blockierer im Falle NSU sitzen in der Mitte der Gesellschaft
- Auf einer Seite lesen
Die ARD-Dokumentation über die offenen Fragen des Kiesewetter-Mordes von Clemens und Katja Riha hat viel Zustimmung erfahren - und bemerkenswerte Ablehnungen. Eine der absonderlichsten kommt von Wolfgang Drexler (SPD), dem Vorsitzenden des NSU-Untersuchungsausschuss von Baden-Württemberg.
Er übernimmt das Urteil der SZ-Kommentatorin (s.o.) vom "Dschungel der Verschwörungstheorien". Vor allem aber hat er sich bei den Intendanten der ARD über den Film beschwert. Eigentlich halte er sich bei der Bewertung auch bisweilen weniger sachlicher Medienbeiträge "bewusst überaus [!] zurück", schreibt Drexler in seiner Pressemitteilung zu dem Film.
Das stimmt wieder einmal nicht. Vor nicht mal zwei Jahren hat sich der Parlamentarier über eine andere NSU-Dokumentation von Clemens und Katja Riha ("NSU - Kampf um die Wahrheit") beim Intendanten des ZDF beschwert. Das ZDF hat den Film damals aus dem Programm genommen und seither nicht mehr gezeigt. Jetzt hat der SWR mit diesem neuen Film genau dasselbe getan - kurz vor Ausstrahlung aus dem Programm genommen und sich distanziert.
Bundesanwaltschaft, Bundeskriminalamt, etablierte Medien, etablierte Politiker. Die gravierende politische Erkenntnis ist: Die Beharrungskräfte, die Blockierer im Falle NSU, sitzen in der Mitte der Gesellschaft.
Mit ihren Vorwürfen greifen sie nicht etwa eine (Verschwörungs-)Theorie an, die ja gar nicht aufgestellt wird, sondern Recherchen. Was sie wollen, ist, dass nicht berichtet wird über Ungereimtheiten, offene Fragen, Details, die nicht in die offizielle Hypothese passen. Das alles soll verschwiegen werden. Ein anderer Begriff für Vertuschen. Drexler kritisiert an dem Riha-Film unter anderem auch, dass Michèle Kiesewetter als Jugendliche "im Badeanzug" [Anm.: Es war ein Bikini] gezeigt wird. Hier wird das Bemühen sichtbar, irgendetwas gegen die recherchierenden Journalisten zu finden. Notfalls zieht man es an den Haaren herbei.
Und sie messen mit zweierlei Maß. Denn die offizielle Theorie, wie sie die BAW vertritt, ist für sie sakrosankt. Jedoch: Dass Böhnhardt und Mundlos die alleinigen und einzigen Täter beispielsweise in Heilbronn waren, ist nicht beweisen. Es ist nicht einmal belegt, dass sie am Tatort waren. Die Version der BAW ist nichts weiter als eine ziemlich dürftige Verschwörungstheorie. Dreimal mussten BAW-Vertreter im dem NSU-Untersuchungsausschuss im Bundestag Rede und Antwort stehen. Sie blieben mehr Antworten schuldig, als sie gaben. Die Staatsanwälte des Bundes konnten ihre eigene Hypothese, sprich ihre spezifische Zwei-Täter-Uwe-Uwe-Theorie, nicht gegen die Zweifel der Abgeordneten daran verteidigen.
Etablierte Gruppen als Träger des Denunziationsunwesens - leider ist dieser Befund nicht vollständig. Denn der Erfolg des Begriffes "Verschwörungstheoretiker" hängt auch damit zusammen, dass er auch aus einer unerwarteten Richtung kommt. In den Reihen der Linken und von Antifa-Gruppen werden solcherart undifferenzierte Vorwürfe ebenfalls gepflegt und gegen Ketzer verwandt, die nicht ihrer reinen Lehre entsprechen. Damit bedienen sie, ob sie wollen oder nicht, die Interessen des Sicherheitsapparates. Und sie arbeiten vor allem mit an Herstellung und Verbreitung eines substanzlosen, aber giftigen Mittels aus der Küche der Geheimdienste, das wie eine Jokerkarte eingesetzt werden kann, um Kritiker diskreditieren zu können, ohne argumentieren zu müssen.
Ironie der Geschichte - oder besser: Logik der Geschichte - ist, dass mit diesem Mittel auch sie selbst attackiert werden, wie beispielsweise jüngst im hessischen NSU-Untersuchungsausschuss. Absender dort der CDU-Obmann.
Was sind Verschwörungstheorien gegen Verschwörungspraktiken?
Wo Geheimdienste beteiligt sind, herrscht die Konspiration - etwas anderes anzunehmen ist lächerlich. Allerdings finden wir sie zur Genüge auch im sicherheitspolitischen Alltag:
- Wenn eine Verfassungsschutzvorgesetzte sich mit einem Mitarbeiter, gegen den wegen Mordverdachtes ermittelt wird, in einer Autobahnraststätte trifft;
- wenn ein Staatsanwalt an den offiziellen Ermittlungen vorbei ein Anschlagsopfer zu sich bestellt, stundenlang mit ihm über die Tat redet und ihm anschließend auferlegt, das Gespräch gegenüber der Kripo zu verschweigen;
- wenn die Bundesanwaltschaft (BAW), das Polizeipräsidium Berlin und der Innensenat von Berlin beschließen, gegenüber dem Bundestagsuntersuchungsausschuss geheim zu halten, dass einer der NSU-Beschuldigten eine V-Person war;
- wenn im Jahre 2015 Polizisten gegenüber Zeugen neue Befragungen vornehmen, aber keine Behörde sich zu diesen Ermittlungen bekennt;
- wenn die BAW am Rande des Prozesses in München gegenüber Medienvertretern über Opferanwälte herzieht und das dann zum vertraulichen Hintergrundgespräch erklärt - wie soll man das alles nennen?
Ob es Zufall ist, dass dieselben Medien, die sich den Vorgaben der BAW unterordneten, am lautesten "Verschwörungstheorie!" rufen, überlasse ich dem Betrachter.
Empfohlener redaktioneller Inhalt
Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Buchempfehlung (Amazon Affiliates) geladen.
Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Amazon Affiliates) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.