Falludscha: Der kurze Sieg gegen den IS?

Die "Vernichtung eines IS-Konvoys" und die Wut der Bewohner

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Symbolisch ist das immer ganz einfach: Die Operation in Falludscha sei der "nächste Meilenstein", sagt der US-Verteidigungsminister Ash Carter in seiner Gratulationsadresse an den irakischen Premierminister Haidar al-Abadi. Dieser hatte kürzlich die Befreiung Falludschas ausgerufen, als die Kämpfe noch gar nicht beendet waren, aber im Zentrum irakische Flaggen gehisst wurden.

Auch der jüngste Erfolg sieht erstmal beeindruckend aus, nach Hightech: "Totale Vernichtung eines IS-Konvoys in der Wüste westlich von Falludscha" lautet der Untertitel eines Videos, das der Öffentlichkeit die militärtechnische Überlegenheit der Koalition gegen den IS im Irak demonstriereen soll.

Die Tagesschau meldet dazu, dass "offenbar viele IS-Kämpfer getötet wurden". Die Zahlen würden erheblich schwanken. Nach Angaben des Gemeinsamen Kommandos (US plus Koalition plus irakische Verbände) wurden mehr als 150 Menschen getötet. Bei Fox News wwrden 250 tote Kämpfer genannt. 260 Fahrzeuge der Dschihadistenmiliz seien zerstört worden.

Wem gebührt der Sieg?

Was hier als Divergenz bei den Zahlenangaben mitgeteilt wird, entpuppt sich beim Durchstreifen der Nachrichten dazu als Streit auf mehreren Ebenen. Bestritten wird etwa, dass die Angriffe von der US-Luftwaffe ausgeführt wurden, wie dies mehrere Berichte melden. Ein AFP-Journalist, der offensichtlich vor Ort ist, hält dieser Darstellung entgegen, dass es die irakische Luftwaffe war. Auch von irakischen Offiziellen gibt es solche Angaben.

In Diskussionen werden darüber hinaus Mutmaßungen ausgetauscht, ob denn in den Konvoi-Fahrzeugen tatsächlich nur IS-Kämpfer oder nicht auch Zivilisten saßen. Das kulminiert dann schließlich im Argwohn, ob es sich überhaupt um einen IS-Konvoi handelte.

Zu verifizieren ist dies von außen nicht, aber die Unsicherheit darüber, inwieweit sich Erfolgsmeldungen mit den Wirklichkeiten decken, wird dann noch von Angaben der Mitglieder der Hilfsorganisation Preemptive Love Coalition (PLC) bestärkt. Sie seien ums Haar selbst bei den Luftangriffen getroffen wurden, beklagt deren Chef.

Die Nöte der Bewohner

Die Organisation mit dem eigentümlichen Namen verweist auf ein anderes großes Problem. Sie betreut zusammen mit anderen Organisationen, vorneweg mit dem Norwegian Refugee Council, die übervollen Flüchtlingslager in der Nähe von Falludscha. Von 86.000 Flüchtlingen ist mittlerweile die Rede, die unter der großen Hitze (Spitzentemperaturen von 50°) und erheblichen Versorgungsschwierigkeiten leiden. Während der Befreiungsoffensive sei die Versorgung so gut wie zum Erliegen gekommen (Falludscha wird zur humanitären Katastrophe).

Die Nöte der aus der Stadt Geflüchteten, wie sie etwa in einem CNN-Video gezeigt werden, sollten sich nach der Befreiung Falludschas ändern. Allerdings zeigen die Aufnahmen auch einen anderen Aspekt, welcher der naheliegenden Alternative, der Rückkehr in die Stadt, entgegensteht. Die Flüchtlinge schimpfen wütend über die Regierung.

Furcht vor der Rückkehr des IS

Folgt man dem Bericht der US-Publikation Daily Beast, so gibt es unter den sunnitischen Bewohnern der Stadt die Befürchtung, dass der IS zurückkehren könnte. Dass der Rückzug nur für eine gewisse Zeit anhält und die Milizen zurückkommen, wie sie es früher schon taten, weil die irakische Zentralregierung dieselben Fehler macht wie früher schon.

Im Gegensatz zu den Befreiungs-Jubelmeldungen, die in Nebensätzen erklärten, dass es diesmal nicht zu Racheaktionen der schiitischen Milizen nach der Eroberung der Stadt kam, behauptet der genannte Bericht das Gegenteil. Die Rede ist von einer größeren Liste Verschwundener, die auf das Konto der schiitischen Milizen gehen soll, genannt wird die Kataib Hezbollah. Auch das ist von außerhalb nicht zu verifizieren.

Dass aber der Rat der Provinzregierung (Anbar Council) diese Anklagen ernst nimmt und selbst von Verschwundenen spricht, ist schon ein Verweis darauf, dass der Weg, die Hearts & Minds der Bewohner zu gewinnen, wie dies der irakische Premier versprochen hatte, ein langer und mühsamer ist.

Auf Zeugenaussagen unter Teilnehmern der irakischen Offensive gestützt berichtet AP davon, dass Mitglieder des schiitischen Haschd-Milizen-Verbandes (auch Popular Mobilization Units genannt) durchaus Racheakte begangen hätten. So sollen sie mehrere Häuser angezündet haben.

Die Rolle der PMU

Offiziell - symbolisch - sollten die schiitischen Milizen wegen der Besonderheit der "sunnitischen Hochburg" Falludscha bei der Eroberung der Innenstadt gar nicht dabei sein. Die Elitetruppe sollte dies erledigen. Aber offensichtlich gab es hier gewisse Nähen, auch die Elite-Polizeitruppen haben schiitische Mitglieder und stehen unter Kommando eines Schiiten, so dass Milizen mit an der Spitze der Rückeroberungsoffensive standen. Womit sie Anlass für eine Erneuerung der Stimmung geben, die die Stadt schon einmal für eine IS-Eroberung bereit machte.

Derzeit wird in der irakischen Führung darüber diskutiert, welche Rolle die PMU bei der Rückeroberung von Mosul einnehmen soll.