Falludscha: das amerikanische Grosny
Strategisch ist der Sieg in Falludscha kein Gewinn, sondern eher ein Fiasko
Schon jetzt scheint der sichere Sieg der US-Truppen über die Rebellen in Falludscha keineswegs die vom Pentagon erhofften Folgen zu haben. Man wollte die "Hochburg der Aufständischen" einnehmen und befrieden, um dadurch den Widerstand im ganzen Land schweren Schaden zuzufügen (Die entscheidende Schlacht). Doch es hat sich wieder gezeigt, dass militärisches Vorgehen allein, das mit überwältigender Feuerkraft nicht feindliche Truppen in ihren Stellungen, sondern bewaffnete Gruppen inmitten einer Stadt auslöschen soll, eher das Gegenteil bewirkt (Mit ausgezogenen Samthandschuhen in der "Geisterstadt"). Wieder einmal hat sich der Widerstand an anderen Orten entzündet und wieder einmal dürfte die US-Besatzung mit der irakischen Übergangsregierung im Ansehen gesunken sein. Selbst der wohl wichtigste schiitische Geistliche, der gemäßigte al-Sistani, hatte schließlich am Freitag dazu aufgefordert, das Problem Falludscha friedlich zu lösen.
Nicht nur was die Eindämmung des Widerstands betrifft, scheint die Erstürmung von Falludscha ein Fiasko gewesen zu sein, das sich vermutlich als das amerikanische Grosny erweisen könnte. Wochenlang hatten die US-Truppen angeblich Treffpunkte oder Stellungen der Terroristen um al-Sarkawi mit "Präzisionswaffen" bombardiert und von ausländischen Kämpfern gesprochen (Präzisionsschläge sorgen für Kollateralschaden). Mit der Abschließung und der Eroberung der Stadt wurde allerdings aus ganz verständlichen Gründen so lange gewartet, bis der Präsidentschaftswahlkampf vorbei war. Das hat nicht nur vielen Bewohnern Falludschas die Flucht ermöglicht, sondern vermutlich auch manchen Rebellen, die nun an anderen Stellen ihren Kampf weiter führen. Wie das bei Guerilla-Kämpfen gegen eine weit überlegene Macht ganz üblich und daher voraussehbar ist, verteidigen die Aufständischen nicht mit allen Mitteln Territorien, sondern sie weichen aus rationalen Gründen aus und schlagen dort zu, wo der Feind verwundbarer ist.
Man kann sich kaum vorstellen, dass nach der Einnahme von Falludscha - nach den großen Zerstörungen, die in Nadschaf angerichtet wurden - jetzt immer weitere Städte folgen sollten. Diese ebenfalls in Schutt und Asche zu legen, würde - mitsamt der Aufrechterhaltung des Ausnahmezustandes - für die geplanten Wahlen in zwei (!) Monaten ein Menetekel sein. Allerdings glaubt wohl kaum noch jemand, dass die Wahlen tatsächlich schon Anfang des nächsten Jahres stattfinden können, wenn sie mehr als eine Farce sein sollen. Zudem dürfte gerade die Zerstörung von Falludscha die Anerkennung der Übergangsregierung weiter untergraben haben. Regierungschef Allawi, der den Angriff ausdrücklich gebilligt hat, ist Schiit, Falludscha aber sunnitisch. Jetzt aber hat sich auch Sistani ganz realpolitisch gegen die militärische Lösung gewandt. Kein gutes Zeichen für die Regierung, die noch eher als Marionettenregierung der USA verstanden werden dürfte.
Auch der als großer böser Gegenspieler, als irakischer Bin Ladin aufgebaut al-Sarkawi ist, sollte er tatsächlich noch leben, entkommen - sofern er und seine Leute sich überhaupt in der Stadt aufgehalten haben und das nicht nur als eine der Begründungen für den Angriff diente. Tatsächlich war Falludscha - wie auch andere Städte - auch ohne Sarkawi in dem Sinne gefährlich, als es sich der Kontrolle durch die Zentralregierung und die US-Besatzungstruppen entzogen hatte. Die Gefahr war und ist weiterhin groß, dass der Irak zerfällt und sich dabei auch teilweise in autonome Stadtstaaten fragmentiert. Ohne die massive Präsenz der multinationalen Streitkräfte dürfte der Irak das Schicksal Afghanistans teilen: ein eigentlich zerfallener Staat, der nur punktuell von einer Zentralregierung regiert wird, aber ansonsten von Lokalmächten beherrscht wird. Das wäre just der Staatstypus, der Terrorismus im Verein mit organisierter Kriminalität, Korruption und autoritärer Herrschaft hervorbringt.
The terrorists will be defeated, Iraq will be free, and the world will be more secure. Our commitment to the success of democracy in Iraq is unshakable and we will prevail.
US-Präsident Bush am 13.11. zu Falludscha.
Ob die Verwüstung einer Stadt und der Tod von zahlreichen Zivilisten bei der Eroberung und der Bekämpfung von Rebellen auch dann dem Aufbau einer demokratischen Gesellschaft gedient hätte, wenn die Anschläge und Kämpfe sich nicht verbreitet hätten, ist eine andere Frage. Sicherheitshalber werden vom Pentagon nur die toten Gegner gezählt - keiner kann die Zahlen nachprüfen. Die ums Leben gekommenen Zivilisten - Kollateralschaden im militärischen Jargon - werden offiziell aus gutem Grund nicht mitgezählt. Und in Falludscha scheinen viele Zivilisten Opfer geworden zu sein. Niemand wusste auch, wie viele Zivilisten noch in der Stadt waren, als der Angriff begann. Und natürlich kann auch niemand wissen, ob diese nur nicht wussten, wohin sie gehen sollten, ob sie gedacht hatten, die Kämpfe unbeschadet zu überleben, oder ob sie Sympathisanten der Aufständischen waren.
Das eben macht die kaum lösbare Schwierigkeit eines Stadtkampfs im Guerilla-Krieg aus. Anders als in einem "normalen" Krieg gegen einen Staat, in dem die Zerstörung ganzer Städte zum Brechen des Widerstands seit dem Spanischen Bürgerkrieg und dem Zweiten Weltkrieg immer wieder geübte Strategie war, ist dies in einem Guerilla-Konflikt wohl eher kontraproduktiv - um von Moral oder Recht nicht zu sprechen. Tote und verwundete Zivilisten - und natürlich gerade Kinder - schüren den Widerstand, provozieren Ablehnung und Rache. Die Krankenhäuser in Falludscha scheinen voll von Zivilisten zu sein, die man zudem kaum behandeln kann, weil die Mittel dazu fehlen.
Allerdings könnten die US-Truppen, für die die Eroberung der Stadt selbst die Hölle sein muss und die deswegen nicht zimperlich mit dem Leben anderer Menschen sein werden, die möglicherweise bedrohlich sein könnten, nun in Bedrängnis geraten. Offenbar wurde der vom Roten Halbmond von Bagdad aus organisierte Hilfskonvoi für die Zivilisten in Falludscha zunächst von den US-Truppen aufgehalten. Dann wurde er zwar bis zum zentralen Krankenhaus durchgelassen, aber dort nach Angaben von al-Dschasira aufgehalten. Die Einwohner können die Hilfsgüter nicht holen, die Mitarbeiter des Roten Halbmonds nicht in die Stadt. Die Menschen in der Stadt haben kein Wasser, Verwundete können nicht versorgt werden, Tote verwesen auf den Straßen und in den Häusern. Die Situation muss katastrophal sein. Allerdings sollen sich nur noch wenige Menschen in Falludscha aufhalten, die irakische Übergangsregierung und die US-Truppen haben es jedoch auch versäumt, den aus der Stadt Geflohenen ausreichend Unterstützung zu gewährleisten. In Flüchtlingslagern und in den Dörfern und Städten, in die die Menschen geflohen sind, gibt es zu wenig zu essen und zu trinken. Vor allem Kinder stehen in Gefahr, zu verhungern und zu verdursten.
Doch ein weiterer Vorfall lässt nun auch den Vorwurf des Kriegsverbrechens entstehen. Am Donnerstag sollen amerikanische Soldaten, wie die New York Times berichtet, flüchtende Zivilisten wieder nach Falludscha zurück geschickt haben. Flüchtlinge in Kampfgebiete zurück zu schicken, würde gegen die Genfer Konventionen verstoßen. "Wenn das geschehen ist", so James Ross von der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch, "dann würde dies ein Kriegsverbrechen sein." Allerdings auch eines, das womöglich moralische Entrüstung, aber keine Folgen nach sich ziehen würde. Die US-Regierung ist sicherheitshalber nicht nur dem Internationalen Gerichtshof der UN nicht beigetreten, sondern hat auch Verbündete unter Druck gesetzt, dies nicht zu tun.
Am Donnerstag wurden angeblich 300 Iraker von amerikanischen Soldaten festgehalten, als sie Falludscha zu Fuß und in Autos verlassen wollten. Kinder und Frauen durften zwar schließlich weiter, aber die Männer nicht. Sie wurden zunächst auf mögliche Spuren von Sprengstoff untersucht, was darauf hingewiesen hätte, dass sie im Widerstand tätig sind. Obgleich nichts gefunden wurde, sind die Männer wieder in die Stadt zurück geschickt worden.