Fast 40 000 Manuskripte und 700 Artefakte wieder aufgetaucht

Die Rolle, die amerikanische Soldaten bei den Plünderungen im Irak gespielt haben, wird immer dubioser

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Es liegt der US-Regierung viel daran, zu zeigen, dass sie sich intensiv für die irakischen Kulturgüter einsetzt. (vgl. "Das passiert")

Gestohlener "Warka Kopf" - ca. 3100 v.Chr. aus Uruk, Bild: Interpol/ British Museum

Archäologen und Altorientalisten haben den USA vehement vorgeworfen, zumindest eine Mitschuld an den umfassenden Plünderungen haben, da die Soldaten offenbar nicht nur tatenlos zusahen, als der Mob loszog:

Das überraschendste Detail in allen Schilderungen aber war die Behauptung, dass die amerikanischen Soldaten oft erst die Plünderungen ermöglichten, indem sie gut gesicherte Tore aufbrachen oder aufschossen und dann die Umstehenden aufforderten zu plündern: "Go in, Ali Baba, its yours!" -, hätten ihnen die Amerikaner zugerufen, so irakische Augenzeugen. "Ali Baba" sei unter den Amerikanern geradezu ein Sammelbegriff für plündernde Iraker geworden. Ein Mitarbeiter des UN-Entwicklungsprogramms beobachtete, dass Amerikaner in die Technische Universität eindrangen, Computer öffneten und die Festplatten an sich nahmen, bevor sich die Plünderer ans Werk machten

Süddeutsche Zeitung

Inzwischen ist ein Team aus internationalen Kulturwissenschaftlern vor Ort und versucht Klarheit darüber zu gewinnen, was genau abhanden gekommen ist (vgl. Ascheklumpen). Einiges ist immer noch völlig unklar, zum Beispiel, ob ausgelagerte Schätze im Tresor der ebenfalls geplünderten Nationalbank noch vorhanden sind oder nicht. Die Inventarliste des Museums wurde systematisch zerstört und bisher konnten die Museumsleiter im immer noch existierenden Chaos nur 38 extrem wertvolle Stücke definitiv als gestohlen identifizieren. Nach den Erfahrungen während "Desert Storm", dem so genannten ersten Golfkrieg, waren alle wertvollen Kunstgegenstände aus den Regionalmuseen nach Bagdad gebracht worden, weil die Archäologen davon ausgegangen waren, sie dort besser schützen zu können. Vieles wurde noch vor dem Kriegsausbruch aus den Vitrinen genommen, verpackt und entweder in den Tresor der Bank, in den Keller des Museums oder andere Verstecke gebracht.

Jetzt gab die Einwanderungs- und Zollbehörde (Bureau of Immigration and Customs Enforcement), eine Unterabteilung des Department of Homeland Security, bekannt, dass inzwischen 39400 Manuskripte und 700 Artefakte in Bagdad sicher gestellt werden konnten. Wie CNN berichtete, war das meiste davon in sicheren Verstecken. Die amerikanische Besatzungsmacht hat allen Dieben und Plünderern Straffreiheit oder sogar Belohnungen zugesagt, wenn sie entwendete Stücke zurück bringen. Einige haben darauf reagiert und lieferten wertvolle Einzelstücke wie antiken Schmuck ab. Eine Person gab insgesamt sogar 46 Antiquitäten zurück.

Die amerikanischen Behörden legen Wert auf die Feststellung, dass die Verluste sich bisher nicht beziffern lassen und vermutlich weit unter den ersten Schätzungen liegen. Die hohe Zahl der wieder aufgetauchten Manuskripte lässt aber noch keinen Rückschluss auf die Bilanz der gestohlenen Artefakte zu. Die internationalen Altorientalisten, die zurzeit in Bagdad sind, gehen vorab davon aus, dass wahrscheinlich 100'000 Exponate fehlen. Inzwischen zweifelt niemand mehr daran, dass organisierte Kunstdiebe am Werk waren. Der amerikanische Justizminister sagte anlässlich einer Interpol-Konferenz in Lyon zu diesem Thema:

Nach den bisher vorliegenden Beweisen zu urteilen, spricht sehr viel dafür, dass die Plünderung und der Diebstahl der Artefakte von organisierten kriminellen Gruppen durchgeführt wurde - Kriminellen, die präzise wussten, was sie wollten.

Interpol

Das Nationalmuseum und die Nationalbibliothek in Bagdad sind erst auf dem Weg, zwischen den zerschlagenen Vitrinen und aufgebrochenen Depots eine Bestandsaufnahme zu erstellen. Im Keller des Museums fanden die US-Zollbeamten einen verschlossenen Raum, in dem sich Kisten mit als gestohlen vermuteten Stücken fanden. Noch kann das ICE keine Angaben dazu machen, um welche Artefakte und Manuskripte es sich genau handelt. Wie die New York Times meldete, hatten die Ermittlungsgruppe es zu eilig, die Funde bekannt zu geben, um sie vorher noch genauer untersuchen zu können. Das Wichtigste ist offensichtlich, diesen Erfolg zu feiern. Entsprechend äußerte sich auch Michael J. Garcia vom ICE:

Die Entdeckung dieser Gegenstände war das direkte Resultat einer superben, kooperativen Anstrengung zwischen der US-Exekutive, dem US-Militär und dem irakischen Volk.

Einige Preziosen sind aus den gesicherten und geheimen Verstecken entwendet worden, was dafür spricht, dass die Diebe sehr gut informiert waren. Es kann nicht ganz von der Hand gewiesen werden, dass möglicherweise Museumswärter und Kuratoren eine Rolle spielten. Augenzeugen beobachteten während der Plünderungen, wie Museums-Angestellte mit Paketen unter dem Arm das Gebäude verließen. Vielleicht nur zur Rettung der Exponate, aber nun beklagen die US-Beamten auch eine mangelnde Bereitschaft der irakischen Mitarbeiter bei den Ermittlungen. Der Verdacht wächst, dass Insider an den Diebstählen beteiligt waren. Wenn sich dieser Verdacht erhärtet, und zudem die Zahl der geklauten Schätze weit niedriger ist als vermutet, dann wäre das durchaus im Sinne der Amerikaner. Das würde helfen, den internationalen Image-Schaden zu korrigieren. Entsprechend zeigte sich das Verteidigungsministerium begeistert von den Neuigkeiten. Gegenüber der Washington Post sagte Joseph Collins vom Pentagon:

Ohne die Vorgänge zu kommentieren, die zu dieser Situation geführt haben, hoffe ich, dass wir das System in besser Form zurück lassen werden, als wir es vorfanden.