Fast die Hälfte der Krebstodesfälle sind vermeidbar

Rauchen, Alkoholkonsum und Fettleibigkeit weltweit die wichtigsten Risikofaktoren für Krebskrankheiten. Es gibt einfache Gegenmaßnahmen.

Fast 50 Prozent der Krebstodesfälle weltweit werden durch vermeidbare Risikofaktoren wie Rauchen, Alkoholkonsum und Fettleibigkeit verursacht. Darauf macht das Wissenschaftsmagazin Nature aufmerksam.1

Das Wissenschaftsmagazin bezieht sich dabei auf die bisher größte weltweite Studie über den Zusammenhang zwischen Krebserkrankungen und Risikofaktoren, die in der renommierten Wissenschaftszeitschrift The Lancet kürzlich veröffentlicht worden ist.2 An dieser Studie war eine sehr große Anzahl von Wissenschaftlern aus der ganzen Welt beteiligt.

Wie in dieser Studie dargelegt, fanden die Forscher unter Verwendung von Schätzungen von Krebsfällen und Todesfällen aus mehr als 200 Ländern heraus, dass vermeidbare Risikofaktoren für insgesamt fast 4,5 Millionen Krebstodesfälle im Jahr 2019 verantwortlich gemacht werden, darunter waren 2,88 Millionen Männer und 1,58 Millionen Frauen. Das entspricht mehr als 44 Prozent der weltweiten Krebstodesfälle in diesem Jahr.

Rauchen, Alkoholkonsum und ein hoher Body-Mass-Index (BMI über 30 kg/m2), der auf eine Fettleibigkeit (Adipositas) hinweist, waren die wichtigsten Risikofaktoren für Krebs.

Wie in dem Nature-Artikel beschrieben, bestätigen diese Befunde weitgehend die Ergebnisse vorheriger kleinerer Studien und weisen darauf hin, dass die Verringerung der Exposition gegenüber diesen Risikofaktoren dazu beitragen könnte, einen erheblichen Teil der weltweiten Krebserkrankungen zu vermeiden.

So formuliert Rudolf Kaaks, Krebsepidemiologe am Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg, eine einfache Botschaft zum Mitnehmen:

Rauchen Sie nicht, werden Sie nicht übergewichtig und trinken Sie nicht zu viel Alkohol.

Schwere Krankheitslast

Die wahre Zahl der Krebsfälle und der Todesfälle weltweit sei schwer zu bestimmen, da einige Länder solche Daten nicht erheben, sagt Justin Lang, Co-Leiter der großen Lancet-Studie und Epidemiologe bei der Public Health Agency of Canada in Ottawa. Im Nature-Artikel heißt es dazu:

Um diese Schwierigkeiten zu überwinden, verwendeten Lang und seine Kolleginnen und Kollegen Daten aus einer Studie, die Tod und Behinderung bei mehr als 350 Krankheiten und Verletzungen in 204 Ländern untersuchte. Ausgehend von diesen Befunden schätzten sie die Auswirkungen von 34 Risikofaktoren auf Gesundheitsschäden und Todesfälle durch 23 Krebsarten ein.

Die Untersuchung der weltweiten Krebstodesfälle nach Tumorart ergab, dass bei beiden Geschlechtern bei den vermeidbaren Krebstodesfällen

  • die Krebserkrankungen der oberen Atemwege, der Bronchien und der Lungen mit 36,9 Prozent ganz oben an der Spitze standen,
  • gefolgt von den Krebserkrankungen des Dick- und Enddarms mit 14,2 Prozent,
  • der Speiseröhre mit 7,6 Prozent,
  • des Gebärmutterhalses mit 6,3 Prozent,
  • des Magens mit 5,2 Prozent,
  • der Brustdrüsen mit 4,0 Prozent und
  • der Bauchspeicheldrüse mit 3,9 Prozent.

Dabei war Rauchen der größte Risikofaktor für durch Krebs bedingte Todesfälle.

Im Jahr 2019 war die Hälfte aller Todesfälle durch Krebs bei Männern und mehr als ein Drittel bei Frauen auf vermeidbare Risikofaktoren wie Tabak- und Alkoholkonsum, ungesunde Ernährung, ungeschützten Geschlechtsverkehr und Exposition gegenüber schädlichen Produkten wie Asbest am Arbeitsplatz zurückzuführen.

Von 2010 bis 2019 stiegen die weltweiten Krebstodesfälle, die durch diese Risikofaktoren verursacht wurden, um etwa 20 Prozent an, wobei Übergewicht und Adipositas den größten Prozentsatz des Anstiegs ausmachte – insbesondere in Ländern mit niedrigerem Einkommen.

"Diese Ergebnisse können in Kombination mit lokalen Erkenntnissen für politische Entscheidungsträger nützlich sein, um zu bestimmen, welche modifizierbaren Risikofaktoren bei der Planung der Krebsbekämpfung als Erstes ins Visier genommen werden sollten", wird im Nature-Artikel Kelly Compton, Co-Autorin der Lancet-Studie und Projektbeauftragte am Institute for Health Metrics and Evaluation (IHME) der University of Washington in Seattle, zitiert.

Richtlinien für Rauchfreiheit im öffentlichen Raum, erhöhte Steuern auf Tabak und Werbeverbote hätten sich als wirksam erwiesen, um die Exposition gegenüber dem Rauchen zu verringern, und vergleichbare Bemühungen würden empfohlen, um den übermäßigen Alkoholkonsum zu reduzieren, ergänzt die Co-Autorin der Lancet-Studie, Lisa Force, die Krebsbelastung und Gesundheitskennziffern an der Universität von Washington untersucht.

Fragen zur künftigen Krebsforschung

Es sollte berücksichtigt werden, dass die Lancet-Studie einige bekannte Risikofaktoren für Krebs, wie z. B. die Exposition gegenüber ultravioletter (UV) Strahlung und bestimmten Infektionen, nicht berücksichtigt hat. Dazu gehört das bekannte humane Papilloma-Virus (HPV), das durch ungeschützten Geschlechtsverkehr übertragen wird, und andere sexuell übertragbare Viren.

Gebärmutterhalskrebs, der durch bestimmte HPV-Stämme verursacht wird, ist die Hauptursache für Krebstodesfälle bei Frauen in Afrika südlich der Sahara. Dort, sagt Kaaks im Nature-Artikel, "könnte ein großer Teil der Krebsinzidenz und Mortalität bei Frauen durch rechtzeitige HPV-Impfung verringert werden".

Das Forschungsteam der Lancet-Studie könnte jedoch Risikofaktoren wie Infektionen und die Exposition gegenüber UV-Strahlung in zukünftige Analysen einbeziehen, sobald Daten – zum Beispiel über die Höhe der Exposition gegenüber diesen Faktoren – verfügbar seien, sagt Co-Autor Jonathan Kocarnik, der die globale Krebsbelastung am IHME modelliert.

Zukünftige Arbeiten könnten auch dazu beitragen, die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie auf Krebsfälle und Todesfälle zu bewerten. Eine Studie aus dem Jahr 2020 schätzt, dass es bis 2025 in England mehr als 3.000 vermeidbare Krebstodesfälle als Folge von Diagnoseverzögerungen aufgrund von Covid-19 geben wird.3

In einigen Bereichen, sagt Kocarnik, könnte die Pandemie die Exposition der Menschen gegenüber bestimmten Risikofaktoren auch verändert haben: Zum Beispiel könnte die Exposition am Arbeitsplatz gegenüber schädlichen Produkten während der Lockdowns abgenommen haben. Er fügt jedoch hinzu, dass es wahrscheinlich viele Jahre dauern wird, "mögliche Veränderungen der Risikofaktorexposition und deren Auswirkungen auf die zukünftige Krebsbelastung umfassend zu verstehen".

Interpretation und Kommentar

Krebs ist nach den kardiovaskulären Erkrankungen, zu denen die koronare Herzkrankheit, Herzinfarkt und Schlaganfall gehören, weltweit die krankheitsbedingte Todesursache Nr. 2.

Die vorgestellte groß angelegte neue weltweite Studie über den Zusammenhang zwischen vermeidbaren Risikofaktoren und tödlichen Krebserkrankungen hat gezeigt: Führende Risikofaktoren, die 2019 zur globalen Krebsbelastung beitrugen, waren verhaltensbedingt wie zum Beispiel das Rauchen, während metabolische Risikofaktoren wie Übergewicht und Adipositas zwischen 2010 und 2019 die größten Zuwächse verzeichneten.

Die Verringerung der Exposition gegenüber diesen modifizierbaren Risikofaktoren würde die Krebssterblichkeit weltweit senken, und die Politik sollte deshalb angemessen auf die lokale Krankheitslast durch Krebsrisikofaktoren zugeschnitten sein.

Vergleichbare Zusammenhänge existieren ebenfalls bei den kardiovaskulären Erkrankungen, der krankheitsbedingten Todesursache Nr. 1.

Diese Zusammenhänge zwischen vermeidbaren Risikofaktoren und krankheitsbedingten Todesfällen sind seit mindestens zwei Jahrzehnten im Prinzip gut bekannt. Die im August 2022 veröffentlichte Lancet-Studie gibt einen zusätzlichen umfassenden Überblick über einen wichtigen Teilaspekt dieses Themas und enthält für Fachleute auf diesem Gebiet viele neue und interessante Details.

Für die Bevölkerung wäre allerdings nützlicher, nicht nur zu wissen, was man tun kann, um vermeidbare Risikofaktoren möglichst zu vermindern oder zu beseitigen, damit die angesprochenen krankheitsbedingten Todesursachen zurückgedrängt werden können, sondern auch, wie das im Einzelnen zu machen ist.

Auf einen immer noch aktuellen Gesundheits-Ratgeber, der sich für die Prävention chronischer Krankheiten stark macht, sei deshalb hier verwiesen. Eine ausführliche Rezension dieses Buches liegt vor und kann auf Anforderung zugeschickt werden.4

Klaus-Dieter Kolenda, Prof. Dr. med., Facharzt für Innere Medizin – Gastroenterologie, Facharzt für Physikalische und Rehabilitative Medizin/Sozialmedizin, war von 1985 bis 2006 Chefarzt einer Rehabilitationsklinik für Erkrankungen des Herz-Kreislaufsystems, der Atemwege, des Stoffwechsels und der Bewegungsorgane. Seit 1978 ist er als medizinischer Sachverständiger bei der Sozialgerichtsbarkeit in Schleswig-Holstein tätig. Zudem arbeitet er in der Kieler Gruppe der IPPNW e.V. (Internationale Ärztinnen und Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges und für soziale Verantwortung) mit. E-Mail: klaus-dieter.kolenda@gmx.de