Feste Verträge werden Standard an niederländischen Unis
Harte Konkurrenz für Forschungsstandort Deutschland im westlichen Nachbarland
In Deutschland brachte erst kürzlich ein unglücklich gemachtes Filmchen des Wissenschaftsministeriums das Fass zum Überlaufen. Viele fanden unerträglich, wie ihnen das vielfach zu Ausbeutung führende Wissenschaftszeitvertragsgesetz schmackhaft gemacht werden sollte.
In Anspielung an die Hanna aus dem Filmchen äußerten sie ihren Unmut unter #IchBinHanna auf Twitter. Die Aktion schaffte es in die Medien, auch hier auf Telepolis (Hanna, die Universität und die Wut und "Die Kritik am Wissenschaftszeitvertragsgesetz ist ein Anfang").
Tja, da hat das Ministerium wohl das falsche PR-Unternehmen beauftragt. Ohnehin hat es schon etwas von "Neusprech", wenn Politikerinnen und Politiker ihre Lebensläufe mit Fake-Doktorarbeiten pimpen (Politik und Plagiatsaffären), ihren Familienmitgliedern lukrative Aufträge zuspielen und große Beratungshonorare absahnen, während sie bei vielen anderen Berufsgruppen die Daumenschrauben anziehen.
In einem Rechtsstaat, in dem alle gleich vor dem Gesetz sind, könnte man sich doch einmal die Hartz IV-Regelungen zum Vorbild nehmen - und den Abgeordneten konsequent die Nebeneinkünfte von den üppigen Diäten abziehen. Fair ist fair.
Prekäre Bedingungen
In der Wissenschaft und Lehre ist nicht nur der Arbeitsdruck hoch, sondern sind auch die Arbeitsbedingungen prekär. Wenn man nicht gerade eine (unbefristete) Professur oder eine lukrative Stelle an einem Forschungsinstitut innehat, sind wahrscheinlich Zeitverträge an der Tagesordnung. Zudem wird oft nur ein Teil der Arbeitszeit vergütet, vor allem bei Promovierenden.
Ich bekam auch jahrelang 20 Wochenarbeitsstunden vergütet, wo 60 erwartet wurden. Und das galt manchen noch als vergleichsweise fair. Aus der Not heraus bietet man in wirtschaftsnahen Bereichen wahrscheinlich mehr, schlicht weil man sonst keine guten Leute findet. Der Idealismus der anderen macht sie anfällig für Ausbeutung.
Auch in den Niederlanden war die Lage ähnlich. Allerdings hat man sich hier schon länger am angelsächsischen Modell mit seinem sogenannten "Tenure Track" orientiert. Das heißt, dass man nach Promotion und einer Zeit als Postdoc auf dem Niveau eines Assistenzprofessors anfängt - in etwa mit der deutschen Juniorprofessur zu vergleichen - und bei Erfüllung vorgegebener Kriterien zum Assoziierten Professor aufsteigt. Dann hat man in der Regel eine entfristete Stelle ("tenure").
Wer weiter hart an der Karriere arbeitet, kann so zum Full Professor aufsteigen, vergleichbar dem deutschen Lehrstuhlinhaber. Allerdings sind die Arbeitsgruppen hier in der Regel in Departments mit wechselnden Verantwortlichkeiten organisiert und nicht um "den Lehrstuhl". Das führt zu einem dynamischeren und weniger hierarchischen Zusammenarbeiten.
Paukenschläge
Trotzdem war auch in den Niederlanden die Unzufriedenheit an den Universitäten hoch. Vor allem der hohe Arbeitsdruck und die vielen Zeitverträge wurden immer wieder kritisiert. Doch selbst wenn man eine Stelle als Assistenzprofessor bekommen hat, war das kein Pappenstiel. Man kann sich vorstellen, dass die Manager eher zu viel als zu wenig in den Kriterienkatalog geschrieben haben. Wünsch dir was!
Außerdem wurden Angestellte in der Wissenschaft anders behandelt als auf dem Rest des Arbeitsmarkts: Dort muss spätestens der dritte Arbeitsvertrag beim selben Arbeitgeber unbefristet sein - und nach drei Jahren Anstellung wird er das automatisch. In der Wissenschaft waren das (noch für mich) sechs, später dann fünf Jahre. Grund: Man müsse beweisen, dass man gut genug sei.
Und so wird eben auch das deutsche Wissenschaftszeitvertragsgesetz gerechtfertigt. Wo käme man denn hin, wenn jeder mit entsprechenden Voraussetzungen gleich eine feste Stelle in Forschung und Lehre bekäme? Ja, und wo käme man denn hin, wenn jeder Lehrer oder Rechtsanwalt mit ausreichend Sitzfleisch und Sensibilität für die richtigen Lobbys gleich einen aussichtsreichen Listenplatz für Parlamentswahlen bekäme?
In den Niederlanden gab es jahrelang Proteste, auch schon einen Warnstreik und zuletzt wurden gar Universitätsschließungen diskutiert, doch dann kam die Corona-Pandemie dazwischen. Ich schrieb immer wieder über solche Aktionen (z.B. Demonstration in Den Haag für Hochschulbildung und Wissenschaft). Auch die Besetzung des Verwaltungsgebäudes der Universität von Amsterdam war ein gelungener Coup (Erste Erfolge für studentische Proteste in Amsterdam).
Zur Erinnerung: Zocker der privatisierten Uni hatten mit Immobilienspekulationen im Geheimen Millionen verloren - doch öffentlich sagte man, man müsse die unrentablen Geisteswissenschaften schließen, da diese zu teuer seien. Schließlich wurde die unerwünschte Uni-Präsidentin abgesägt. Aus der Traum vom Wissenschaftsministerium, den man ihr nachgesagt hatte. Das Zusammenhalten von Studierenden, Dozierenden und große öffentliche Unterstützung machten es möglich.
Jahre hat es gedauert. Doch nun lenken die Arbeitgeber endlich ein: Ab 1. Januar 2022 werden feste Arbeitsverträge ab dem Niveau der Assistenzprofessuren zum Standard. Es gilt nur noch eine Bewährungszeit von einem Jahr, beziehungsweise eineinhalb Jahren für Neulinge an der Universität.
Wer zudem große Forschungsprojekte mit einem bestimmten Volumen (ca. 800.000 Euro) einwirbt, bekommt ebenfalls standardmäßig einen festen Vertrag. Doch nicht nur Angestellte in den höheren Funktionen, sondern auch das unterstützende Personal soll nach einem Jahr einen festen Vertrag bekommen, sofern sie nicht nur spezifisch für ein befristetes Forschungsprojekt eingestellt sind.
Im Westen viel Neues
Auf flexiblere Anforderungen müssen die Universitäten dann vor allem mit zeitlich befristeten Dozierenden und Postdocs reagieren. Doch auch abgesehen von der Vertragsgestaltung gibt es viele Neuerungen: eine gestaffelte Lohnerhöhung von zwei Prozent, einen einmaligen Bonus von 650 Euro und eine Anhebung des Mindestlohns auf 14 Euro pro Stunde.
Interessant sind auch die Anpassungen für Heimarbeit in Reaktion auf die Corona-Pandemie: Pro Arbeitstag im Homeoffice soll es eine Vergütung in Höhe von 2 Euro geben, zuzüglich einer Monatspauschale in Höhe von 25 Euro für den Internetanschluss. Nach jahrelanger Kritik müssen die Universitäten nun konkrete Schritte zur Senkung des Arbeitsdrucks unternehmen. In dem offiziellen Beschluss heißt es dazu:
Das beinhaltet beispielsweise, dass so wenig Termine wie möglich geplant werden, der E-Mail-Verkehr auf ein Minimum beschränkt wird und dass Angestellte Zeit für Reflexion haben, für Arbeit jenseits des Alltagswahns und in Ruhe Texte lesen können. Die Angestellten haben das Recht auf Pausen.
Onderhandelaarsakkoord, 25. Juni 2021 (Übersetzung d. A.)
Wie das konkret umgesetzt wird, muss sich natürlich noch zeigen. Als konkrete Beispiele werden die Vorschläge genannt, Wochen mit weniger Meetings und Mails einzuführen oder bestimmte Arbeitszeiten für Termine zu blockieren. Die Universitäten müssen nun außerdem konkrete Maßnahmen einführen, um die Freizeit der Angestellten zu schützen: Freizeit soll auch wirklich Freizeit sein.
Im Großen und Ganzen ist es ein umfangreiches Paket, das die vier Gewerkschaften (FNV, CV/FBZ, AOb und CNV Overheid) nun mit der Organisation der niederländischen Universitäten (VNSU) vereinbart haben. Das dürfte diesen Arbeitsmarkt auch für geplagte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in Deutschland attraktiver machen. Man spricht ja immer wieder vom "Brain-Drain", vom Wegzug hochqualifizierter Arbeitskräfte ins Ausland.
Vielleicht besinnt man sich aber auch im Wissenschafts- und Innenministerium. (Letzteres regelt den öffentlichen Dienst.) Anstatt unglücklicher PR-Filmchen gäbe es dann würdige Arbeitsbedingungen. Man sollte auch mal auf die demografische Entwicklung schauen: Wer soll denn die ganzen qualifizierten Jobs noch ausführen, wenn in den nächsten Jahren immer mehr Babyboomer in den Ruhestand gehen?
Aber es gibt hier natürlich keinen "free lunch". Um seine Interessen durchzusetzen, muss man sich entsprechend organisieren.
Dieser Artikel erscheint ebenfalls im Blog "Menschen-Bilder" des Autors.