Finnland: Pessimismus hilft?

Finnland scheint derzeit eine zu starke Ausbreitung der Pandemie verhindern zu können

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Die Anzahl der Infizierten ist in dem Land mit 5,5 Millionen Einwohnern mit rund 2600 Personen moderat, beklagt werden nach Stand vom Freitag 42 Tote. Was steckt dahinter?

Dies fragt sich auch die New York Times, die ihren Sitz in der amerikanische Metropole hat, die von Covid-19 hart getroffen wird. Die Zeitung findet eine Antwort in der Historie. Für das neutrale Finnland, mit einer 1300 Kilometer langen Landgrenze mit dem Nachbar Russland, hat der Kalte Krieg nie wirklich aufgehört. Anders als bei den skandinavischen Nachbarn wurden die Lager mit Atemschutzmasken, Lebensmitteln und Medikamenten sowie Material zur Munitionsproduktion nie aufgelöst.

Tomi Lounemaa, der Chef des Sicherheitsversorgungszentrums, erklärte der NYT, die Lage und die Geschichte des Landes, hätten es gelehrt, sich auf das Schlimmste vorzubereiten. Finnland wurde als neutrales Land im Zweiten Weltkrieg 1939 von der Sowjetunion angegriffen und konnte sich lange selbst verteidigen.

Angesichts der Bedrohung durch Covid-19 hat das Gesundheitsministerium vor zwei Wochen erstmals entschieden, die sogenannten "Bereitschaftslager" zu öffnen, deren Verortung und genauer Inhalt geheim gehalten bleiben. Schutzausrüstungen und Masken, alt, aber funktionstüchtig, wurden bereits an die Krankenhäuser verteilt.

Schon zu Beginn der Pandemie in Finnland Ende Februar erklärte Kirsi Varhila, Staatssekretärin im Gesundheitsministerium, das Land könne die 400.000 Personen, die in Gesundheitsberufen arbeiten, mit entsprechender Schutzausrüstung ausstatten. Die Kapazitäten scheinen so groß zu sein, dass auch den skandinavischen Nachbarstaaten geholfen werden könnte. Rechtlich seien die Lager jedoch allein für finnische Staatsbürger da.

Die Schweinegrippe-Pandemie im Jahre 2009 war der Anlass, den Bestand der Lager zu überprüfen und für das Land mit seinen 5,5 Millionen Einwohnern einen aktualisierten Pandemieplan aufzustellen. Schon beim ersten Fall Ende Februar zeigte die sozialdemokratische Regierungschefin Sana Marin stark Präsenz und versprach eine offene Kommunikationspolitik, um Gerüchten und Fake News entgegen zu treten. Das Land entschied sich bald für eine Abriegelung, die Schulen wurden sukzessive geschlossen, wer kann, arbeitet zu Hause, die sozialen Distanzanweisungen wurden ernst genommen. Ende März wurde der Raum Helsinki, wo sich ein Großteil der Infizierten aufhält, abgeriegelt. Wer hinein oder hinaus will, braucht eine besondere Begründung. Es war nicht die letzte Einschränkung.

In der vergangenen Woche beschloss die Regierung, dass bis zum 13. Mai alle Schüler weiterhin digital unterrichtet werden und die Restaurants bis Ende Mai geschlossen bleiben müssen. Pessimismus wird in dem Land groß geschrieben, im Gegensatz zu Schweden, das in Finnland als Land der Optimisten gilt. Vor allem angesichts der Entscheidung, weit weniger Einschränkungen angesichts der Pandemie zu verabschieden. Nun blickt die schwedische Öffentlichkeit angesichts von mittlerweile knapp 800 Toten und überlasteten Krankenhäusern verunsichert auf den Nachbarn mit der anscheinend besseren Strategie.

Bald bleibt vor allem das Schauen. Diese Woche entschied Helsinki, die Grenze zu Schweden schärfer zu kontrollieren, es wird nur noch ein eingeschränkter Berufspendelverkehr zugelassen, der jedoch nicht das Personal für das Gesundheitswesen betrifft.

Vorbereitungen für das Lockern der Maßnahmen

Um ein mögliches Lockern der Abriegelung vorzubereiten, will das Land umfangreicher testen. Finnland testet derzeit 2500 Personen pro Tag, diese Zahl soll verdreifacht werden.

Zugleich sollen zufällig ausgewählte Personen von den größeren Krankenhäusern des Landes angeschrieben werden, um sie zu einem Antikörpertest einzuladen, etwa 750 in der Woche. Anfangs vornehmlich im Raum Helsinki. Dadurch erhofft sich das Gesundheitsamt einen besseren Überblick über den Verlauf der Ansteckung und eine Einschätzung der Immunität der Bevölkerung, den Anteil der Antikörper nach dem Krankheitsverlauf sowie über den Anteil der Personen, die die Infektion ohne Symptome überstehen. Merit Melin, ein Forscher des Gesundheitsamts geht davon aus, dass 40 bis 50 Prozent der Infektionen durch SARS-CoV-2 asymptomatisch verlaufen.

Ein führender Virologe der Universitätsklinik Turku hält das Vorhaben für unsinnig, da die Antikörpertests noch zu ungenau und die festgelegte Zahl der Personen zu gering sei.

Die Angaben, mit Masken gut versorgt zu sein, sind jedoch nicht ganz wahrheitsgemäß. In den sechs größten Städten sollen (vermutlich FFP-3) Masken und OP-Masken fehlen.

Nachdem von China angeforderte Masken, hochwertige Atemschutzgeräte und Op-Masken, bei der dubiose Unternehmen mitverdienten, von minderer Qualität waren, hat sich das finnische Unternehmen Lifa Air darum bereit erklärt, innerhalb von drei Monaten ausschließlich für den finnischen Staat vor Ort in Finnland unterschiedliche Masken herzustellen. Danach könne an einen Export gedacht werden.

Problematisch für Finnland ist auch die überalterte Bevölkerung. Anscheinend haben die Kapazitäten des Landes noch nicht ausgereicht, alle Mitarbeiter in den Altenheimen auf das Virus zu testen, dort kam es schon zu Todesfällen.

Besonders in der Region Kainuu im zentralen Norden des Landes, wo das Virus erst vor kurzem festgestellt wurde, wohnen prozentual viele alte Menschen. Dort gehören über 14.000 Personen der 72.000 Einwohner zur Risikogruppe der über 70-Jährigen. In dem dort gelegenen Ort Puolanka, der bezeichnenderweise einen Pessimistenverein hat, ist jeder dritte Einwohner jenseits der 70. Sollte sich hier das Virus wirklich stark ausbreiten, wogegen das weitläufige Wohnen spricht, würde die Region vor einer Katastrophe stehen.