Flexiblere Arbeitsmärkte sollen Zukunftsinvestitionen ersetzen

Institut der deutschen Wirtschaft zeigt sich von Folgen der Sparpolitik überrascht

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Die eiserne Sparpolitik, für die sich insbesondere die deutsche Regierung in der Europäischen Union einsetzt, wird Stück für Stück abgewählt. Zuletzt geschah dies bei den Parlamentswahlen in Griechenland, wo die Wähler die beiden bis dato wichtigsten Parteien Nea Dimokratia und PASOK für ihre Unterstützung des Spardiktats abstraften und die linke Syriza, die das Sparprogramm aufkündigen will, zur zweitstärksten Kraft machten. Ebenso muss das Wahlergebnis in Frankreich gesehen werden, denn der sozialistische Kandidat François Hollande hatte sich im Wahlkampf ebenfalls deutlich gegen die Austeritätspolitik ausgesprochen und für ein Konjunkturprogramm geworben. Auch im Finanzausschuss des Bundestages fällt langsam auf, dass ohne Wachstum keine Schulden abgebaut werden können - da kommt der Tipp einiger Experten, wie ein kostenloses Wachstumsprogramm aussehen könnte, gerade recht.

Für Experten wie den Chef-Volkswirt der Commerzbank Jörg Krämer wird der "Kampf gegen die Staatsschuldenkrise" durch den Wahlsieg Hollandes vor allem eines: komplizierter. Gleich zu Beginn der Expertenanhörung im Finanzausschuss erklärt er das Abrücken der Staaten vom bisherigen Sparkurs zu einem großen Problem, immerhin sei in erster Linie "das Instrument des Sparens" notwendig. Schuldenfinanzierte Wachstumsprogramme, so wie sie von einigen Ökonomen und auch in immer mehr europäischen Staaten angesichts der steigenden Arbeitslosigkeit und der dramatischen Wirtschaftseinbrüche in den Krisenstaaten gefordert werden, lehnt Krämer rundherum ab. Die angesagte "Therapie" in Kombination mit der Sparpolitik ist für ihn eine Stärkung der Angebotsseite.

Damit steht er nicht allein da. Sein Kollege Jens Ulbrich von der Bundesbank betonte ebenfalls, dass es Konsolidierung und Wachstum brauche, um das Vertrauen in die Solvenz und die Finanzsysteme der Euro-Länder wieder herzustellen. Die Basis für künftiges kräftiges Wachstum ist für Ulbrich ebenfalls die Flexibilisierung der Arbeitsmärkte. Und BDI-Hauptgeschäftsführer Markus Kerber formulierte die gleiche Forderung, in dem er vor dem Finanzausschuss erklärte, dass die Länder ihre Staatsfinanzen im Zaum halten sollten, jedoch in der Privatwirtschaft Wachstumsanreize gesetzt werden müssen.

Damit zeichnet sich ein Weg ab, wie die Bundesregierung ihrer bisherigen Linie, die öffentlichen Ausgaben stark zurückzufahren, beibehalten, zugleich jedoch auch den aufflammenden Forderungen nach Wirtschaftswachstum nachkommen kann: Ein gelockerter Kündigungsschutz und die Möglichkeit, die Löhne weiter abzusenken, sollen die Unternehmen profitabler machen und so für wachsende Gewinne sorgen. Ein derartiges Programm zu Lasten der Arbeitnehmer könnten Union und FDP durchaus mittragen, den europäischen Partnern könnten diese Maßnahmen als deutsches Erfolgsprogramm nach Art von Schröders Agenda 2010 verkauft werden.

Da die Koalition derzeit nicht müde wird zu betonen, wie sehr Schröders Reformprogramm dafür verantwortlich sei, dass Deutschland in Europa heute an der Spitze stehe, ist eine derartige Entwicklung absehbar. Staatliche Konjunkturprogramme zur Schaffung von Arbeitsplätzen und zur Unterstützung von zukunftsfähigen Industrien, beispielsweise im Bereich der erneuerbaren Energien, sind ohnehin nicht zu erwarten, was auch daran festgemacht werden kann, dass in der Union nach wie vor von den "angeblich negativen Auswirkungen" der Sparpolitik die Rede ist - obwohl die Folgen mittlerweile eindrucksvoll zu beobachten sind.

Die Sparprogramme führen in die Sackgasse

Experten wie der Volkswirt Sebastian Dullien finden nach wie vor wenig Gehör in der deutschen Politik. Er erklärte vor dem Finanzausschuss, dass die bisherige Politik in der Krise nicht geeignet sei, um die eigentlichen Probleme im Euro-Raum zu lösen. So lasse der Fiskalpakt in vielen Fällen nicht genug Raum für öffentliche Investitionen. Der Sparkurs sei zu abrupt und zu brutal, Länder wie Spanien und Italien würden in die Rezession hineingetrieben. Dullien räumte ein, dass die von ihm immer wieder kritisierten Ungleichgewichte bei den Lohnstückkosten durch die sinkenden Löhne im Süden und die leicht steigenden Löhne in Deutschland sich mittlerweile wieder etwas verringert hätten. Jedoch stellte er die Art und Weise der Anpassung in Frage, wenn die Folge eine Jugendarbeitslosigkeit von 50 Prozent im Süden sei. Sorgen bereiten Dullien ebenfalls die steigenden Immobilienpreise in Deutschland. Diese könnten zu einer Immobilienblase führen.

Henrik Enderlein von der Hertie School of Governance zeigte sich enttäuscht darüber, dass Eurobonds als "ökonomisch saubere Lösung" politisch nicht durchsetzbar gewesen seien. Von deren Einführung erhofft sich Enderlein aufgrund der gemeinschaftlichen Haftung sinkende Zinsen und damit auch eine geringere Belastung der Staatshaushalte. Nun bleibe jedoch nur noch die zweitbeste Lösung, und die ist für Enderlein eine deutliche Erhöhung des Euro-Rettungsschirms. In der Vergangeneheit sei in dieser Hinsicht nur so viel getan worden, wie gerade nötig war, manchmal sogar weniger. Die Folge sei, dass der Euroraum heute kurz vor dem Auseinanderbrechen stehe. Dazu solle der Europäische Stabilitätsmechanismus auf nahezu eine Billion Euro aufgestockt und zu einer Art europäischem Währungsfonds aufgestockt werden, der an die überschuldeten Länder Kredite ausgibt und Anleihen auf dem Sekundärmarkt aufkauft.

Bei den ersten wirtschaftsnahen Experten scheint mittlerweile ein leichtes Umdenken bezüglich der Sparpolitik eingesetzt zu haben. Jürgen Matthes vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW), welches eng mit der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft zusammenarbeitet, gestand so ein, dass die Sparprogramme in einigen Ländern womöglich über einen längeren Zeitraum gestreckt werden sollten. Er habe gehofft, dass mit einem harten Sparkurs von Beginn an ein Signal gesetzt würde, welches die Märkte mit niedrigeren Zinsen für Staatsanleihen honorieren. Der Senior Economist des IW zeigte sich überrascht und enttäuscht, dass die Märkte auf die darauf folgende Rezession sogar mit steigenden Zinsen reagiert hatten. Der Finanzmarkt habe die Zinsen nicht so gesenkt, wie er es sich erhofft habe. Er hoffe allerdings weiterhin, dass die Reformbemühungen der konservativen Regierungen an den Finanzmärkten belohnt werden. Erst wenn die internationalen Anleger zurückkehren, seien wir wieder in die richtige Richtung unterwegs.

Für Kritiker der Austeritätspolitik und der Strukturreformen zu Lasten der Arbeitnehmer wie Gustav Horn von der gewerkschaftsnahen Böckler-Stiftung ist es hingegen fraglich, ob es so bald wieder aufwärts geht. Er ist sich sicher: Die Sparprogramme lassen eine Dauerrezession in der Euro-Zone entstehen, der Weg der Bundesregierung führt geradewegs in eine Sackgasse. Wenn der Bundestag lediglich die Gesetze beschließe, die derzeit auf dem Tisch liegen, dann habe er Zweifel, ob der Währungsraum in seiner bisherigen Form auch nur das Jahr 2012 überlebe. Für eine gemeinsame Währung brauche es unbedingt auch eine gemeinsame Haftung, zudem müssten über Wachstumsimpulse die Steuereinnahmen erhöht werden.

Noch allerdings sträubt sich die Bundesregierung gegen derartige Maßnahmen, spricht lieber davon, dass es Deutschland so gut geht wie noch nie, während die Handelspartner des Vize-Exportweltmeisters nach und nach in die Rezession abrutschen. Es wird ein schwieriges Jahr für den Euro.