"Flüchtlinge": Österreichische Politiker bekräftigen "Willen zur Abwehr"

Seite 2: Kurz: "Frage des Wollens"

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Für den österreichischen Kanzler Kurz, der sich demnächst mit Vertretern der Länder auf der Balkanroute besprechen will, steht die "Frage des Wollens" im Mittelpunkt, wie in der österreichischen Presse analysiert wird. Gemeint ist die Bereitschaft, Migrationsrouten bereits an den Außengrenzen zu stoppen.

Das machte Kurz gegenüber der Zeitung Die Welt am Sonntag deutlich. Beachtenswert sind Kurz Äußerungen dazu auch deshalb, weil Österreich ab Juli den EU-Vorsitz übernimmt.

Kurz Vorschlag besteht darin, die Grenzschutzagentur Frontex möglichst schnell - und nicht wie vorgesehen erst 2027 - auf 10.000 Mann aufzustocken und Frontex mit einem "klaren politischen Mandat" auszustatten, das es den Frontex-Mitarbeitern erlaubt, "effektiv gegen illegale Migranten" vorzugehen. Was konkret damit gemeint ist, erklärt der österreichische Kanzler in der Printausgabe der WamS vom 27. Mai so:

Sie sollen illegale Migranten an den Außengrenzen stoppen, versorgen und dann im Idealfall unverzüglich in das Herkunfts- oder Transitland zurückschicken. Das neue politische Mandat sollte Frontex zudem erlauben, in Drittstaaten unter Einverständnis der dortigen Regierung tätig zu werden, um das schmutzige Geschäftsmodell der Schlepper zu beenden und um zu verhindern, dass sich Schlepperboote überhaupt erst auf den gefährlichen Weg über das Mittelmeer machen.

Sebastian Kurz, WamS

Der blinde Fleck im Bild

Kurz hat hier, wie seine Äußerungen nahelegen, die zentrale Mittelmeer-Route und Libyen vor Augen. Dort sieht der von ihm benannte "Idealfall" konkret so aus, dass die libysche Küstenwache im Mittelmeer aufgegriffene Migranten zurück in Lager schickt, die von Brutalität gekennzeichnet sind. Dass Kurz sich im Interview (online hier, allerdings mit Bezahlschranke) mit keinem einzigen Wort dazu äußert, dass zum "Idealfall" auch die Situation der Migranten gehört, ist ein auffälliger blinder Fleck.

Hält man sich an die konkrete Situation in Libyen, so wäre die Verbesserung der Zustände in den Lagern, wohin aufgegriffene Migranten gebracht werden, der erste wichtige Schritt. Würden die Versorgungssuchenden dort gut versorgt und untergebracht statt zusammengepfercht und nicht der brutalen Gewalt und Gier der Milizen ausgesetzt, wäre man einer praktischen und besseren weil menschlichen Lösung schon näher. Der Streit zwischen der libyschen Küstenwache und den NGO-Schiffen hätte den schlimmsten Stachel verloren.

Die Antwort auf die Frage, warum es in Libyen offensichtlich bislang nicht möglich ist, zusammen mit Organisationen wie dem UNHCR für bessere Unterbringungsbedingungen für Migranten zu sorgen, hängt mit der Antwort auf die Frage zusammen, wie leicht oder schwierig es ist, eine Frontex-Truppe mit mindestens mehreren hundert, wenn nicht tausenden Mitgliedern in Libyen agieren zu lassen. Den politischen Willen dazu brauchen nicht nur EU-Länder oder eine von der UN zusammengebastelte Führung in Libyen

Die Antworten auf beide Fragen haben mit libyschen Milizen und deren Einfluss zu tun. Italien hat bislang ziemlich erfolgreich auf eine zum Teil verborgene Zusammenarbeit gesetzt, indem man Milizen, die zuvor Geld mit dem "schmutzigen Geschäftsmodell der Schlepper" (Kurz) gemacht haben, nun gut dafür bezahlt, dass sie auf der Gegenseite tätig sind.

Kritiker halten dieses Modell aus mehreren Gründen für nicht nachhaltig. Dazu gehört neben der Rivaliät der Milizen untereinander und einer möglichen Wechselhaftigkeit in deren Führung hauptsächlich das Argument, dass damit der Einfluss von staatlichen Institutionen kein Land gewinnen kann.

Haftar und Serradsch und italienische Stegreiflösungen

Frankreich lädt nun erneut die beiden prominenten libyschen Politik-Persönlichkeiten zu einem weiteren Gespräch ein, den international anerkannten Regierungschef Serradsch und Feldmarschall Haftar, dem Befehlshaber über Milizen, die sich als libysche Nationalarmee bezeichnen.

Es wäre eine große Überraschung, wenn sich aus diesem Treffen im Unterschied zu früheren etwas ergeben würde, was eine zügige oder baldige Entwicklung hin zu stabilen, irgendwie verlässlichen Verhältnissen in Libyen auch nur andeutet.

Wahrscheinlicher ist, dass es erstmal bei Stegreiflösungen wie beim "italienischen Konzept" für Libyen bleiben wird - und dessen Konsequenz heißt, dass Milizen mächtig bleiben. Und solange sie es sind, wird es in Libyen niemanden geben, der ernsthaft einer Präsenz von EU-Frontex-Grenzschützern zustimmt. Lippenbekenntnisse könnte es vielleicht schon geben, aber eine dazu widersprüchliche Realität vor Ort.