Flüchtlingslager in Eidomeni: Teufelskreis aus Regen, Seuchenangst und hilfloser Politik

Seite 3: Kilkis im Ausnahmezustand, ein Nebenschauplatz des Dramas

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Tatsächlich jedoch brachten allein die zahlenmäßigen Dimensionen der Flüchtlingskrise die Region Kilkis in den seit einer Woche geltenden Ausnahmezustand. Im ehemaligen Regierungsbezirk Kilkis, der seit der Kommunal- und Regionalreform von 2010 zur Verwaltungsregion Thessaloniki zählt, leben knapp 110.000 Menschen.

Demgegenüber stehen die knapp 14.000 Flüchtlinge bei Eidomeni und dazu 3.640 Flüchtlinge im Lager Cherso bei Kilkis sowie 3.370 Bewohner des Lagers Nea Kavala bei Polykastro in der Region Kilkis. Die Unterbringung der Flüchtlinge ist lediglich in den beiden als Hotspots fungiernden Lagern Cherso und Nea Kavala annähernd menschenwürdig. Doch auch hier leben viele Menschen bei gemeinsamer Nutzung sanitärer Anlagen auf engstem Raum. Im Zeltlager Eidomeni gab es innerhalb weniger Tage einen Fall von offener Lungentuberkulose und einen akuten Fall von Hepatitis A.

Bild: Wassilis Aswestopoulos

Die von IWF, EZB und EU initiierten Reformen bedingten vor allem im Gesundheitssektor erhebliche Kürzungen. Das Krankenhaus Kilkis hatte einst vor allem hinsichtlich seiner orthopädischen Kliniken auf dem gesamten Balkan einen guten Ruf. Durch die Kürzungen wurde es zu einer eher kleinen Poliklinik, einer reinen Erstambulanz für die Bewohner degradiert. Im Vergleich zum Vorjahr wurde das Budget des Krankenhauses nun noch einmal um 30 Prozent gekürzt.

Wegen des relativ zur normalen Bevölkerung aufgrund der Strapazen der Flucht erhöhten Bedarfs der Flüchtlinge an Gesundheitsfürsorge ist nach Angaben der Krankenhausverwaltung das Budget für 2016 bereits ausgeschöpft. Gleiches gilt für die nominelle Poliklinik von Polykastro. Für die angestammten Bewohner der Region stehen die mit Flüchtlingen überfüllten Gesundheitszentren von Kilkis und Polykastro kaum mehr zur Verfügung.

Flüchtlingslager in Eidomeni: Teufelskreis aus Regen, Seuchenangst und hilfloser Politik (19 Bilder)

Bild: Wassilis Aswestopoulos

Gerade im Krankenhaus Kilkis herrschen vor allem in der Kinderabteilung aktuell mittelalterliche Verhältnisse. Mangels Personal müssen Kinder von einem Elternteil betreut werden. Die Eltern müssen dabei rund um die Uhr zur Verfügung stehen. So schlafen dann mangels Betten zwei kranke Kleinkinder mit ihrer Mutter in einem Bett, im Bett gegenüber liegen ebenfalls Mutter und Tochter und im dritten Bett des Zimmers wimmern zwei Geschwister in einem Bett, während ihr Vater vor dem Bett auf dem Boden schläft. Drei-Bett-Zimmer gehören im Krankenhaus, das ansonsten über zahlreiche Sechs-Bett-Zimmer verfügt, zu den privilegierteren Schlafstätten.

Seitens der Regierung wird nicht viel unternommen, um an der misslichen Lage etwas zu ändern. Es gibt freundliche Aufrufe der Ministerien an die Flüchtlinge, dass diese im eigenen Interesse das Lager räumen sollten. Eine polizeiliche Räumung oder eine organisierte Evakuierung wurde in den Pressekonferenzen der ministeriellen "Koordinationsgruppe für das Flüchtlingsproblem" zwar angedacht, erscheint jedoch wegen der zu erwartenden Widerstände noch nicht realisierbar.

Der Teufelskreis aus verschlossenen Grenzen, schlechtem Wetter und hilfloser Politik wird daher, wenn sich nichts Grundlegendes ändert, höchstwahrscheinlich durch eine vorhersehbare gesundheitliche humanitäre Katastrophe gebrochen.