Flugzeuge im Bauch
Bei den vielen Berichten über das Eindringen israelischer Kampfflugzeuge in den syrischen Luftraum ist Skepsis angebracht
Es ist eine Geschichte, wie sie sich Tom Clancy nicht besser hätte ausdenken können: Vor fast drei Wochen drangen israelische Kampfflugzeuge in den syrischen Luftraum ein (vgl. Rätselraten um israelischen Luftschlag in Syrien), durchbrachen dort die Schallmauer, machten dann wohl auch noch einen Abstecher in die Türkei, warfen dort ihre Treibstofftanks ab und wirbelten damit einen Staub auf, der sich bis heute nicht wieder gelegt hat. Was die Flugzeuge dort taten, warum sie es taten, ist völlig unklar, und das obwohl Hunderte von Berichten durch die internationalen Medien schwirren (vgl. Aktivitäten im Dreieck Syrien, Iran und Israel). Denn Israel und Syrien schweigen zu der Angelegenheit – und zwar so eisern, wie schon lange nicht mehr. Nur: Die USA, eigentlich ein enger Verbündeter Israels, scheinen anders zu denken: On und off the record wird dort eine Vielzahl von oft widersprüchlichen Informationen in Umlauf gebracht. Es sei ein Transport der Hisbollah angegriffen worden, heißt es; Nord-Korea baue Atomanlagen in Syrien; das Ganze sei ein Test-Lauf für einen Angriff auf den Iran gewesen. Was davon stimmt, kann niemand sagen und scheint zumindest in Israel niemanden wirklich zu interessieren: Nahezu ungeprüft werden die Berichte weiter verbreitet; abgesehen davon haben Israels Medien überwiegend entschieden, dass es wohl der Sicherheit des Staates gedient habe und man deshalb besser nicht allzu genau nachforschen sollte - ein erstaunliches Vertrauen in eine Regierung, die immer noch wegen ihres strategischen Versagens während des Libanon-Krieges (vgl. Krieg ohne Ende) im vergangenen Jahr am Pranger steht (vgl. Olmerts Winograd).
Man staunt. Man zweifelt, schaut ein zweites Mal in die Zeitung; sucht sich in einer anderen die Umfrage eines zweiten Instituts. Das etwas Ähnliches herausgefunden hat. Man fragt sich, wie er das nur geschafft hat: Noch vor einem Jahr war die Zahl derjenigen, die der Ansicht sind, dass Israels Premierminister Ehud Olmert einen guten Job macht, an der Nachweisbarkeitsgrenze gewesen. Anfang September hatte seine Zustimmungsquote noch bei etwa zwölf Prozent gelegen. Und jetzt ist sie bei ca. 25 Prozent angelangt.
...aber noch mehr liebt man es, im Ungewissen gelassen zu werden
Und das, obwohl niemand wirklich weiß, was er gerade tut: Mit einer im internationalen Vergleichsmaßstab ungewöhnlichen Akribie schottet der Regierungschef sich und seine Regierung von den Medien ab. Reporter dürfen nur noch ins Amt des Premierministers, wenn sie mit niemandem sprechen; Kabinettsmitglieder und -mitarbeiter müssen vor Sitzungen ihre Mobiltelefone abgeben.
Eine neue Richtlinie droht ihnen mit Lügendetektortests, sollte es wieder einmal eines der vielen undichten Stellen geben, die nahezu jedes Detail der Arbeit von öffentlichen Institutionen und deren Vertretern in den vergangenen Jahren der Öffentlichkeit preisgegeben haben. Israelis, pflegten Beobachter zu witzeln, können an keinem Mikrofon vorbei gehen, ohne hinein zu sprechen: Ganz gleich, ob Ermittlungen gegen Politiker (vgl. Die Schoranos), Sex-Affären (vgl. Executive Orgasms) oder politische Entscheidungsprozesse– nicht selten erfuhren Ankläger, Ehefrauen und Kabinettsmitglieder das Neueste aus den Medien.
Aber wie gesagt: Diese Zeiten scheinen vorbei. Olmert ist wieder da, und das weil er Mitarbeitern und Ministern zwei englische Worte beigebracht hat, die in Israel ausgesprochen exotisch klingen: „No Comment“ - kein Kommentar. Wenn überhaupt jemand ans Telefon geht.. „Die Öffentlichkeit muss nicht alles wissen“, hatte Olmert Journalisten in die Blöcke notiert, nachdem vor fast drei Wochen mehrere israelische Kampfflugzeuge ausgesprochen öffentlichkeitswirksam mitten in der Nacht in den syrischen Luftraum eingedrungen waren und damit den Auftakt zum aktuellen Höhenflug des israelischen Premiers gegeben hatten.
„Die Wähler lieben das Staatsgeheimnis; das Gefühl, dass ihre Regierung etwas tut, dass so wichtig ist, dass es niemand wissen darf“, kommentiert die Soziologin Ja'el Barak:
Natürlich würde man liebend gerne wissen, was los ist, aber noch mehr liebt man es, im Ungewissen gelassen zu werden. In Israel erwartet man von Politikern, dass sie die Klappe halten können, Dinge im Verborgenen tun. Olmert hat die geheimnisvolle Aura wiederbelebt, die israelische Regierungen umgab, bevor die Medien begannen im Dreck zu wühlen, und das funktioniert wahnsinnig gut.
Was hingegen passiert, wenn jemand zu viel plaudert, musste ausgerechnet der Hardliner Benjamin Netanjahu, ehemaliger Regierungschef und potentieller Spitzenkandidat des rechtskonservativen Likud-Blocks, erfahren: In einem Interview mit dem ersten Fernsehkanal räumte er ein, er sei über die Operation informiert gewesen und gab damit als erster Politiker zu, dass es überhaupt ein Eindringen in den syrischen Luftraum gegeben hat – die Regierung verfolgt derzeit die Strategie nichts zu bestätigen, nichts zu dementieren, stattdessen sagt man überhaupt nichts.
Netanjahu, von dem erwartet wird, dass er sich an diese Haltung hält, obwohl er kein Regierungsmitglied ist, ist davon abgerückt – und brach umgehend in den Umfragen ein: In Internet-Foren wurde er als „Verräter“, als „unwürdig, das Land zu führen“, also mit genau den gleichen Worten, die sich Olmert noch vor wenigen Monaten hatte anhören müssen, beschimpft.
Munter bei den amerikanischen Kollegen abschreiben
Es war nicht das erste Mal, dass israelische Flugzeuge in den syrischen Luftraum eindrangen: 2003 bombardierte die Luftwaffe ein, allerdings unbenutztes, Ausbildungslager palästinensischer Kampfgruppen (vgl. Nach palästinensischem Selbstmordanschlag greift Israel Syrien an), und immer wieder gibt es Aufklärungsflüge über syrischem Gebiet. Neu ist diesmal das Schweigen beider Seiten bei gleichzeitiger Erzeugung maximaler Aufmerksamkeit durch das israelische Militär, welches das öffentliche Interesse nur weiter anfacht.
Die Angelegenheit ist eine Geschichte, in der nichts zusammenpasst und in der auch keiner der vielen Berichte Klarheit verschafft. So gut wie nichts ist gesichert, weil alles auf Hörensagen beruht: Amerikanische Medien zitieren anonyme Quellen in Washington, die Szenarien beschreiben, die stimmen oder auch nicht stimmen können, und alle anderen schreiben munter bei den US-Kollegen ab, weil es sonst nicht viel zu berichten gibt.
Sowohl in Israel als auch in Syrien wird eisern geschwiegen. Und das bißchen, das nach draußen dringt, wird von der israelischen Militärzensur abgeblockt. Manche israelische Journalisten machen sich deshalb gar nicht erst die Mühe, es bei den Zensoren zu versuchen und erzählen es ausländischen Kollegen, um sich dann auf sie berufen zu können. Die meisten allerdings fragen gar nicht erst nach und bedienen sich ohne eigene Recherche bzw. Überprüfung bei den amerikanischen Kollegen, deren Hauptquellen in Washington sitzen, denn längst hat man sich in vielen Redaktionen dem Olmertschen Credo des „ Nicht-Alles-Wissen-Müssens“ angeschlossen.
Ob diese oder die amerikanischen Informationen stimmen, ist zweifelhaft, denn sie sind allesamt zu widersprüchlich. Letzten Endes bietet diese Geschichte eine der seltenen Gelegenheiten, seine eigene Verschwörungstheorie aufzumachen.
Plots
Da gibt es zum Beispiel die anfangs sehr populäre Variante, das Militär habe die neuen Radarsysteme Syriens testen wollen. Dagegen spricht allerdings, dass damit auch gleichzeitig die Entspannung zwischen Jerusalem und Damaskus aufs Spiel gesetzt worden wäre.
Andere Medien wiederum sind absolut davon überzeugt, dass sich die Piloten schlicht verflogen haben. Die Gegner dieser Ansicht verweisen allerdings darauf, dass deren Verfechter allesamt in Einheiten gedient haben, die die Luftwaffe nicht mögen.
Viele Anhänger hat auch das Szenario, wonach israelische Truppen einen Transport mit neuartigen Waffen für die Hisbollah im Libanon angegriffen haben. Nur: Warum hat Israels Regierung dann nicht Zeter und Mordio geschrieen und die Enhaltung von UNO-Resolution 1701 gefordert.
Dann ist da noch die „intellektuelle“ Möglichkeit: Jerusalem habe das israelisch-syrische Verhältnis bewusst neuen Spannungen ausgesetzt, weil die Vereinigten Staaten Syrien beim Nahost-Gipfel im November nicht dabei haben wollen. Die USA hätten damit dazu gezwungen werden sollen, die gestiegene Kriegsgefahr mit einer Einladung an Syrien zu kontern; außerdem habe Damaskus jetzt die Gelegenheit, sich als moderat und bedacht handelnd darzustellen.
Am Besten, weil dem ultimativen Spionage-Thriller am Nächsten, ist allerdings die Nordkorea-Connection: In den vergangenen Wochen mehrten sich die Berichte in den Vereinigten Staaten, in denen, gestützt auf meist anonyme Quellen, davon gesprochen wird, dass Israel eine Atomanlage zerstört habe, die Nordkorea in Syrien gebaut habe.
Das Andocken eines nordkoreanischen Schiffes in Syrien
Es war John Bolton, ehemaliger amerikanischer UNO-Botschafter, überzeugter Neokonservativer und ein eher unwahrscheinlicher Verdächtiger für den Besitz geheimer Informationen und besonderer Erkenntnisse, der diese Verbindung ins Spiel brachte, und in der Tat machte kurz darauf ein Privatermittler, der nach eigener Aussage auf das „Sammeln von Informationen in öffentlich zugänglichen Bereichen“ spezialisiert ist, öffentlich, dass auf einer ägyptischen und einer syrischen Webseite das Andocken eines nordkoreanischen Schiffes in Syrien erwähnt wurde.
Aber: Noch bevor die Angaben überprüft werden konnten, waren die Seiten nach Aussage des Ermittlers kurzzeitig vom Netz genommen worden und die Informationen danach unauffindbar.
Natürlich ist es möglich, dass Syrien Atomanlagen baut oder gebaut hat, aber warum das ausgerechnet mit Hilfe Nord-Koreas geschehen sein soll, also eines Landes, das sehr genau beobachtet wird, und warum dann die Lieferungen auch noch in aller Öffentlichkeit mit nordkoreanischen Schiffen nach Syrien gebracht worden sein sollen, warum Israel Syrien nicht international an den Pranger stellte, all' dies sind Fragen, die noch auf ihre Antwort warten. Sicher ist nur dies: Die Syrien-/Nord-Korea-Connection nutzt den Vereinigten Staaten, weil dadurch sehr viel weniger wahrscheinlich geworden ist, dass Damaskus im November mit am Tisch sitzt.
„Was tatsächlich passiert ist, wird die Öffentlichkeit wohl nie erfahren,“ sagt ein israelischer Journalist, der ungenannt bleiben will:
Aber wenn Sie mich fragen: Ich glaube von alledem kein Wort. Es ist offensichtlich, dass weder Jerusalem noch Damaskus wollen, dass über die Sache gesprochen wird. Warum sollten also die USA als engster Verbündeter Israels genau das Gegenteil tun. Für mich ist die einzig logische Antwort, dass es einen starken Interessenkonflikt zwischen Israel und den Vereinigten Staaten gibt.
Washington wolle Syrien vom für November geplanten Nahost-Gipfel fernhalten, weil die Befürchtung besteht, das Land könnte durch einen Friedensschluss mit Israel destabilisiert werden, was wiederum Auswirkungen auf die Lage im Irak hätte; Israel will das Nachbarland dabei haben:
Es ist ausgesprochen auffällig, dass in den vergangenen Tagen ausgerechnet Nordkorea ins Spiel gekommen ist.
Der große Gewinner des großen Schweigens ist Ehud Olmert
Dass die Öffentlichkeit die Wahrheit wohl nie erfahren wird, liegt aber auch daran, dass sich derzeit kaum ein Journalist die Mühe macht, die anonymen Informationen vom anderen Ufer des Großen Teichs zu überprüfen – wenn das überhaupt möglich ist: Denn im Prozess des Zitierens und Von-Einander-Abschreibens ist längst nicht mehr klar, wer eigentlich wann was gesagt hat, und damit lässt sich auch das „Wieso“ nicht mehr überprüfen. Und den meisten Berichterstattern scheint es auch egal zu sein: Mittlerweile sind Israels Medien in der Phase angekommen, in der man sich selbst und alle Kollegen dafür lobt, dass man sich dieses Mal „unter der Fahne versammelt“ hat, um gemeinsam mit der Regierung die Sicherheit des Staates zu schützen.
„Ganz ehrlich: Ich habe bei der Sache Flugzeuge im Bauch“, meint dazu der Journalist, der seinen Namen nicht genannt haben will:
Was, wenn sich das, was angeblich der Sicherheit des Staates gedient haben soll, irgendwann als schädlich erweist. Wir sind als Journalisten nicht dazu da zu schweigen, sondern kritisch zu hinterfragen. Wenn die Zensur dann die Veröffentlichung kippt, dann ist das eben so – aber dazu ist es bisher ja nicht oft gekommen, weil die meisten gar keine Fragen mehr stellen. Als Laie würde ich sagen: Dass israelische Flugzeuge im syrischen Luftraum einen Heidenlärm machen, erscheint mir erst einmal gefährlich. Was, wenn Syrien das als Anlass für einen Angriff nimmt? Seit dem Libanon-Krieg ist die derzeitige Regierung nicht gerade für ihre strategische Kompetenz bekannt. Was also bringt uns dazu, darauf zu vertrauen, dass er das Richtige tut, wenn er schweigt?
Doch im Moment ist eines sicher: Der große Gewinner des großen Schweigens ist Ehud Olmert. Er hat seine medialen Gelüste im Zaum gehalten und davon profitiert. Aber ob das so bleiben wird, ist auch nicht ganz sicher. Denn auf eines kann man im Nahen Osten bauen: Es gibt immer etwas zum Staunen.