Folgenreiche Regelung des Bundestags: Steuerbetrüger dürfen Beweise vernichten

Aktenstapel

Bild: Thomas Bethge/ Shutterstock.com

Bundestag verkürzt Aufbewahrungsfristt für Geschäftsunterlagen. Ampel und Union stimmt für neues Gesetz. Warum sich Steuerbetrüger freuen dürfen. Ein Expertenkommentar.

Ein neuer Beschluss des Bundestags sorgt dafür, dass Steuerverbrecher Grund zum Feiern haben. Erneut ist es gelungen, die Politik zum Komplizen zu machen. Während gegen Bürgergeldbezieher Stimmung gemacht wird und das versprochene Klimageld ausbleibt, verzichtet die Regierung auf Milliarden widerrechtlich erbeuteter Steuergelder.

Entlastungsgesetz für Diebe

Ende September verabschiedete der Bundestag mit großer Mehrheit der Ampelfraktionen und der Union das Bürokratie-Entlastungsgesetz. Die Restopposition enthielt sich. Die Medien berichteten nur spärlich, meist unter dem Motto: "Weniger Papierkram".

Das klingt positiv: Bürokratieabbau. Mithilfe verkürzter Aufbewahrungsfristen für Belege und rund 60 weiteren Maßnahmen soll der Aufwand für Unternehmen und Bürger sinken. Zukünftig können Buchungsbelege bereits nach acht Jahren vernichtet werden.

Der Bundesjustizminister lobt: "Im Fokus steht der Kampf gegen die Zettelwirtschaft". Doch selbst dieses Versprechen ist übertrieben. Nicht einmal die "entlasteten" Unternehmen signalisieren Zustimmung.

Was wirklich hinter dem Gesetz steckt, wird in der Debatte und Berichterstattung verschwiegen oder nur knapp erwähnt. Die Verkürzung der Aufbewahrungsfrist für Buchungsbelege und Rechnungen begünstigt vor allem Steuerbetrüger, insbesondere bei Cum-Cum-Geschäften.

Marco Bülow ist Publizist, Politiker und Aktivist. Von 2002 bis 2021 war er direkt gewählter Abgeordneter der im Bundestag. Bis 2018 für die SPD dann Fraktionslos. Bild: Julia Bornkessel

Eigentlich war gefordert, die Frist von 10 auf 15 Jahre zu verlängern. Nun wurde sie verkürzt, was die Verfolgung von Steuerbetrügern erschwert. Sie sind die eigentlichen Gewinner des Gesetzes.

Für sie ist es maßgeschneidert – mit besten Grüßen des Bundestags. In sozialen Medien kommentierte ich: Der korrumpierte Bundestag.

Cum-Cum und davon

Cum-Cum ist ein Nachfolgemodell der berüchtigten Cum-Ex-Verbrechen. Das Thema "größter Steuerbetrug" ist längst nicht erledigt, auch wenn die Politik diesen Eindruck vermitteln will.

Bei den Cum-Cum-Geschäften wurden schätzungsweise 30 Milliarden Euro erbeutet, mehr als bei Cum-Ex. Dieses Geld würde eigentlich dem Staat und der Bevölkerung zustehen. Um das ins Verhältnis zu setzen: Das ist etwa so viel, wie der Bund in drei Jahren für Wirtschaft und Klimaschutz ausgibt.

Finanzlobby aktiv

"Die Finanzlobby hat hier ganze Arbeit geleistet", sagte die ehemalige Oberstaatsanwältin und Cum-Ex-Chefermittlerin Anne Brorhilker. Sie gab ihren Posten im Frühjahr auf, weil sie zu wenig Unterstützung bei der Verfolgung der Straftäter bekam.

Die Taktik der Finanzlobby war von Anfang an klar: Graubereiche nutzen, Betrug im großen Stil begehen, das Thema verschleppen, spätes politisches Handeln provozieren und der Justiz entgehen.

Nur Bruchteil zurückgeholt

Bis Ende 2020 wurden von den erbeuteten 30 Milliarden gerade mal 135 Millionen Euro zurückgeholt, nicht einmal ein halbes Prozent des Gesamtschadens. Ein kleines Ermittlerteam von 55 Personen stand den Beschuldigten gegenüber. Umfassende Ermittlungen sind so unmöglich – oder dauern Jahrzehnte.

Auch das beklagte Anne Brorhilker, die jetzt für die Nichtregierungsorganisation "Finanzwende" spricht. Dort kann sie die Wahrheit besser aussprechen, aber die Politik und scheinbar auch die Öffentlichkeit schert es wenig. Die Zeit vergeht und nur wenige werden überführt.

Die Großen lässt man laufen

Ich kenne aus meinen Erfahrungen im Bundestag die Macht der Finanzlobby und wie viel erfolgreiche Lobbyarbeit bei Cum-Ex betrieben wurde. Skandalös ist, welche Kontakte der Warburg Bankchef und Cum-Ex-Verbrecher Christian Olearius sowohl in die Politik – bis zum heutigen Kanzler – als auch zu den Medien – wie zur Chefetage der Zeit – nutzte und trotz seiner Überführung nicht verurteilt wird.

Oder dass Wolfgang Kubicki, stellvertretender Bundestagspräsident, sieben Jahre lang die Interessen von Hanno Berger, einem der wichtigsten Cum-Ex-Strippenzieher, vertreten durfte.

Was wird geahndet

Wir wissen viel zu wenig darüber, wer in der Politik direkt und indirekt davon profitiert, dass solche Gesetze zustande kommen und dass nicht mehr dafür getan wird, das Geld zurückzuholen und die Verbrecher zu bestrafen. Während obdachlose Schwarzfahrer schnell im Gefängnis landen können und kleine Delikte Karrieren beenden, kommen Finanzverbrecher ungeschoren davon.

Solche Gesetze und Gefallen gibt es nicht ohne Gegenleistung. Schlimm ist, dass auch alle nicht Begünstigten mitmachen oder diese Politik zumindest dulden. Warum gibt es dann überhaupt noch den Bundestag?

Transparenz nötig

Wir brauchen endlich andere Regeln und mehr Transparenz in der Politik. Es darf solch eine Bevorzugung oder Schonung für Verbrecher nicht geben. Politiker dürfen keinen Einfluss auf die Justiz ausüben. Landesminister sollten nicht darüber bestimmen können, ob eine Staatsanwältin eingeschränkt wird oder ihren Job machen kann.

Vor allem darf es nicht passieren, dass der ganze Bundestag bei solchen angeblichen Bürokratiegesetzen mitmacht oder schläft. Und wo ist das Korrektiv der Medien? Die Gewalten in unserer Demokratie funktionieren dort nicht mehr. Der alte Spruch: "Die kleinen fängt man, die großen lässt man laufen" darf in einem Rechtsstaat niemals Realität werden.