Fotos lügen nicht

Krieg der Kulturen im amerikanischen Remake des thailändischen Gruselfilms "Shutter"

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Der Autor plante eigentlich, den folgenden Text mit dieser Einleitung zu beginnen: „Ignorieren wir einmal großzügig, dass es sich bei „Shutter“ um das Remake eines thailändischen Horrorfilms handelt, um diesen Text nicht in einen lahmen Vergleich abdriften zu lassen.“ Nach Ansicht des Films ist das unmöglich. Viel zu interessant erscheint die krude Amerikanisierung dieser klassischen asiatischen Geistergeschichte.

So verlegt „Shutter“ seinen Plot von Thailand über Amerika nach Japan, bedient sich des japanischen Regisseurs Masayuki Ochiai und gibt sich überhaupt sehr viel Mühe, dem Vorwurf zu entgehen, seinen Remake-Ursprung zu verleugnen. So erzählt der Film die Geschichte des jungen – und augenscheinlich begehrten – Fotografen Ben, frisch verheiratet, der ein Job-Angebot in Tokio annimmt. Aus irgendeinem Grund – über den sich „Shutter“ beharrlich ausschweigt – verbrachte Ben schon früher einige Zeit in Japan, spricht fließend japanisch und schafft es trotzdem bei jeder Gelegenheit, den amerikanischen Elefanten im japanischen Porzellanladen zu geben. Nur will ihm das Fotografieren hier nicht mehr gelingen: Auf allen seinen Bildern tauchen unerklärliche Schlieren und Bildfehler auf, schließlich das geisterhafte Gesicht eines Mädchens. Japan als exotischer und unverständlicher Ort, die perfekte Kulisse für einen amerikanischen Film, um Ängste zu externalisieren. Natürlich beginnt der Spuk erst hier, und noch selbstverständlicher lautet der erste Plan zur Lösung der Misere auf Flucht – zurück nach Amerika, wohin dieses Geistermädchen bestimmt nicht folgen wird.

Xenophobie und Kulturimperialismus

Immerhin, der Japan-Teil des Plots, bekommt so eine Daseinsberechtigung. Erschien er zuerst noch als uninspirierte – und obendrein krude-falsche – Referenz auf den Originalfilm, als vielleicht augenzwinkernder Hinweis, woher „Shutter“ seine Ideen nimmt, so ist jetzt klar: Das Erleben des Horrors in der Fremde und schlussendlich sein Einschleppen in die Heimat sind unverzichtbare Mittel zur Amerikanisierung des Stoffes. Wo das Original in erster Linie von Vergangenheits- und Gewissensbewältigung erzählte, hängt die Schuld der Hauptfigur im Remake nur augenscheinlich mit dem Geistermädchen zusammen, vielmehr aber mit Bens unerklärlicher Zuneigung zu dieser fremden Kultur. Japan präsentiert sich in „Shutter“ nur oberflächlich als Land des Lächelns, während es seinen Gästen hinter den Kulissen korrupt und undurchschaubar begegnet.

Alle Bilder: 20th Century Fox

Zwei Beispiele zur Veranschaulichung: Ein Kerntopos des Gruselfilms ist der „weise alte Mann“, der die mysteriösen Vorkommnisse erklären kann. Diese Figur teilt sich in „Shutter“ auf zwei Personen auf. Da ist zum Einen der Herausgeber eines Magazins für Geisterfotografie, ein beinahe-adoleszenter Wichtigtuer, der grinsend und in gebrochenem Englisch zugibt, dass die Fotos in seinem Magazin sowieso alles Fälschungen sind – während er in einer Bildbearbeitungssoftware ein paar „Geistererscheinungen“ erzeugt. Erst konfrontiert mit der Entrüstung von Bens Frau Jane, lässt er das überhebliche Grinsen fallen und führt sie in einen Raum, der über und über mit angeblich echten Fotos geschmückt ist. „Polaroidfotos kann man nicht fälschen“, so sein Kommentar, während er Jane mit einer ebensolchen knipst, bevor er sie an ein Medium – zweite Hälfte der oben erwähnten plot device - verweist. Der Besuch dort ist noch weniger aufschlussreich: Er scheitert schlicht an den mangelnden Japanischkenntnissen der Protagonistin und der fehlenden Bereitschaft ihres Mannes, den Dolmetscher zu spielen. Stattdessen sehen wir nur einen Mann, der nach Ansicht von Bens verunstalteten Fotos einen entsetzten Gesichtsausdruck aufsetzt und einen unverständlichen Wortschwall in Richtung der Kamera ablässt.

Die Opfer in „Shutter“ sind stets Amerikaner; diejenigen, die sich an besagter Japanerin vergangen haben und damit ihre Rache provozierten. Das Eindringen der urtypischen college boys in die Fremdartigkeit Japans verursachte den Konflikt, der „Shutter“ zu Grunde liegt: Der Missbrauch des Mädchens, dessen Familie „sehr traditionell“ eingestellt ist. In Amerika hat Ben seine Schuld erfolgreich verdrängt, mit der Rückkehr nach Japan ist das nicht mehr nötig, sie lastet jetzt buchstäblich auf seinen Schultern. Die Vergeltung des Mädchens ist auch Vergeltung des ganzen Landes, für das Eindringen in seine Kultur. Japan als Land einer vielleicht gerechtfertigten Rache; Japan als ein Land, das nicht vergisst.

Japan vergisst nicht. Japan fotografiert.

Es ist nur folgerichtig, dass „Shutter“ sich des Phänomens der Geisterfotografie bedient, um seine Gruselgeschichte voranzutreiben. Fotos als dokumentierte Erinnerungen, unfehlbar und gleichzeitig investigativ, sind das ideale Mittel, diese Geschichte sich langsam entfaltender Schuld zu entwickeln. Die frühesten Fotos mit besagter Geistererscheinung stammen von Bens Hochzeitsnacht: Eine Fotoserie, die zeigt, wie der Geist auf das Paar zu kriecht, die Hand nach ihnen ausstreckt. Ab hier holt die Vergangenheit den Protagonisten ein – diese Erkenntnis ist objektiver, als Bens Schweigen, und der Foto-„Beweis“ belegt das.

„Shutter“ geht sogar einen Schritt weiter, ein Mal wenigstens: Wir sehen einen U-Bahnsteig, durch die Scheiben eines einfahrenden Zuges. Eine Frau wartet auf den Einstieg, wir sehen sie durch das erste Fenster, durch das zweite, durch das dritte – und plötzlich, in diesem dritten Fenster hat sie die Gestalt des Geistermädchens, nur um durch das vierte Fenster wieder normal auszusehen. Dieser Blickwinkel ist dabei nicht durch den Plot motiviert, weder ist es ein “point of view“-Shot eines Protagonisten, noch ist die besagte Frau mehr als eine zufällige Passantin. Stattdessen ist dieser Effekt die konsequente Weiterentwicklung der Prämisse um fotografierte – oder in diesem Fall: gefilmte – Bilder als objektive Wiedergabe der Realität. „Shutter“ reißt damit die vierte Wand ein, lässt den Kinozuschauer durch das Medium der Kamera direkt am Geschehen teilhaben und einen Blick auf die Wahrheit erhaschen.

Genau hier beginnen aber auch die Probleme des Films: Dieser Blick auf die Wahrheit, diese Suspense im Hitchcock’schen Sinne, dass der Zuschauer mehr weiß als die Protagonisten des Films – „Shutter“ gelingt dieser Kniff höchstens manchmal. Stattdessen nutzt Regisseur Ochiai dieses Mittel für billige – und vorhersehbare – Schockeffekte, für ein schlecht vorbereitetes „Buh!“, das obendrein meistens nicht einmal Plotrelevanz besitzt. Die clevere Prämisse des Originals, das seinen Horror immer durch die parabelhafte Story rechtfertigen konnte, drängt „Shutter“ allzu schnell in den Hintergrund und widmet sich viel lieber dem Misstrauen zwischen westlicher und östlicher Kultur. Dabei schwankt der Film ständig zwischen amerikanischer und japanischer Sicht und nutzt den Horrorplot lediglich als Vorwand, gegenseitige xenophobe Vorurteile und Klischees zu formulieren. Das Ergebnis ist weder spannend noch originell, aber immerhin bezeichnend: Wenn die beiden Kulturen schon so inkompatibel sind, wie hier im Subtext postuliert – warum holt man sich dann überhaupt „drüben“ Anregungen für solche Filme?