Frankensteins schwuler (Film)Vater

"Gods and Monsters" erzählt die Geschichte des Regisseurs James Whale - und emanzipiert dabei das Visuelle im Film

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Er hat Frankenstein erschaffen. Den kantigen Schädel skizziert, Boris Karloff für die Rolle gefunden, mit ihm den Klassiker des psychologischen Horrors in Bilder gebannt. James Whale war ein Meister. Und James Whale starb einsam, von Hollywood enttäuscht, wegen seiner offen gezeigten Homosexualität angefeindet. 1957 - seine Erfolge lagen zwei Jahrzehnte zurück - fand die Haushälterin ihn ertrunken im Pool. Es war wohl Selbstmord. Das Leben dieses Mannes und eine mögliche Geschichte seines ungeklärten Todes erzählt Bill Condons Gods and Monsters.

James Whale und Boris Karloff

Condon befreit darin Whale von der Kategorisierung als schwulen, gescheiterten Horrorregisseur und sich selbst vom unsäglichen Ruf des Erschaffers von "Blutiger Schrei" (1981), "Das Hotel im Todesmoor" (1987) und "Candyman 2 - Die Blutrache" (1995). Sein Drehbuch der einfühlsamen Charakterstudie wurde mit einem Oscar ausgezeichnet, Hauptdarsteller Ian McKellen für einen nominiert. Allein in McKellens Augen sieht man Whale zwischen Angst vor dem nahenden Tod, Verbitterung über die Vergangenheit, Trauer, Einsamkeit und mildem, selbstironischen Lachen über all dies seinen Weg finden.

Whale hat einen Gehirnschlag erlitten. Bilder, Erinnerungsfetzen aus der Vergangenheit brechen nun unkontrolliert über ihn herein, er kann kaum einen klaren Gedanken fassen.

Er glaubt in Fremden seinen Vater vor sich zu sehen. Den strengen, frommen Arbeiter, der ihn in die Kirche hetzt und hinterher ruft: "Geh gerade, sonst halten sie dich noch für einen warmen Bruder." Whale wurde am 22. Juli 1896 in Dudley, Großbritannien geboren. Dudley, westlich von Birmingham, war ein Industriezentrum mit Kohlebergwerken, Eisen- und Erzhütten. Und armen, hungernden Arbeitern. Whale war das Kind so einer Familie. Sie verstanden nicht, dass er zeichnen wollte, das war keine richtige Arbeit. Whale aber begann seine Karriere als Karikaturist bei einer Tageszeitung.

Zum Theater kam er als Soldat. Im ersten Weltkrieg geriet er in Belgien in deutsche Kriegsgefangenschaft, organisierte im Lager eine Theatergruppe. Nach dem Krieg arbeitete er als Dramaturg, Produzent und Bühnenbildner in den Theatern des Londoner Westends. Als Regisseur des erfolgreichen Anti-Krieg- Stücks "Journey's End" wurde er 1930 nach Hollywood gerufen, um es zu einem Film zu machen. Die Karriere begann.

In "Gods and Monsters" liegt ständig die Drohung in der Luft, Whales Zustand werde sich verschlechtern. Die Ahnung der Krankheit ist schlimmer als die Krankheit selbst, so wie die unkontrollierte Ahnung der Vergangenheit schrecklicher ist als das Erlebte. Da kommt ein neuer Gärtner in Whales Haus. Ex-Marine Boone ist jung, muskulös, ungebildet und homophob. Brendan Fraser schafft es, Boones Gewaltpotential allein durch seine Präsenz zu zeigen, ohne irgendetwas böses zu tun. Zwischen Whale und Boone entwickelt sich eine ungewöhnliche, tiefe Freundschaft.

Vielleicht hat Whale Boone als seinen Todesengel auserkoren. Doch er wird zu einem Begleiter in die Vergangenheit. Auf dieser Ebene stellte der Film eine Parallele zwischen Whale und seinem Geschöpf Frankenstein her. Zu Beginn des Films zieht Frankenstein einsam in eine von Stürmen heimgesuchte Welt hinaus. Am Ende führt Boone Whale durch dieselbe schwarz-weiße Landschaft zum Grab.

Whales Frankenstein war nicht Täter, sondern Opfer seiner menschlichen Erschaffer. In "Frankenstein" hört man nur die Schmerzensschreie des Ungeheuers: Vom Diener seines Erschaffers wird es mit Fackeln getriezt, als es sich wehrt, will sein Erschaffer ihn einschläfern. Am Ende wird er in einer Mühle, die Pate für das Finale von "Sleepy Hollow" Stand verbrannt. Grausamkeit ist hier eher eine Eigenschaft der Menschen, nicht des Ungeheuers.

Das revolutionäre an Whales Monster war die Psychologisierung. Frankenstein ist unverstanden, einsam. Wie Whale. Während der 30er Jahre drehte er für die Universal Studios ungewohnt psychologisierende, die ethischen Grenzen von Menschlichkeit und Wissenschaft thematisierenden Horrorfilme wie Frankenstein (1931), Der Unsichtbare (1933), Frankensteins Braut (1935). Dann geriet das Studio in finanzielle Schwierigkeiten. Whale drehte kommerzielle Musicalfilme wie "Showboat", doch auch diese Einnahmen konnten Universal nicht vorm Abrutschen zum "Kind of the B pictures" retten. Bald wurden Filme vor allem billig und schnell gedreht. Whales ambitionierter Antikriegsfilm "The road back" geriet 1936 unter diese ökonomischen Räder. Die Nazis intervenierten bei Universal wegen "inakzeptabler deutschfeindlicher Tendenzen" des Films. So wurde Whale ein zweiter Regisseur als Aufpasser an die Seite gestellt, ab da bekam er nur noch Billigprojekte.

Whale verabschiedete sich von Hollywood. 1941 zog er sich völlig aus dem Filmgeschäft zurück. Frankenstein wandert in die Welt hinaus, um einen Freund zu suchen - und er findet ihn in einem blinden Schäfer. So wie Whale in Boone, der seine Zeit braucht, um festzustellen, dass Whale schwul und Horrorfilm-Regisseur ist. Aber in dieser Zeit haben solche Kategorien aber für ihn ihre Bedeutung verloren. Whale hat seinen Freund gefunden. Auf einer zweiten Ebene erzählt "Gods and Monsters" die Geschichte der Macht von Bildern.

Whales Krankheit ist vor allem der Verlust der Macht über sie. Fetzen seiner Erinnerung prasseln wegen des Gehirnschlags ungehemmt auf ihn ein: Die Kindheit in Armut, geprügelt vom Vater, der nichts übrig hatte für Feingeister; Dann die Schrecken der Ersten Weltkriegs, der Kamerad, der tot im Stacheldraht hängt. Zugleich hat Whale die Macht über die Bilder seines Werks verloren. In einer Bar sieht Boone "Frankenstein" im Fernsehen. Er allein ist gebannt - der Rest des Publikums lacht, schaut weg. In der Bilderflut verliert das einzelne Bild seine Macht. Das Visuelle wirkt entweder allein durch Superlative wie rasende Schnittgeschwindigkeit, die letztlich Beliebigkeit erzeugt, wie in "The Rock". Oder aber das Bild ist redundant. Sitcoms sind so gedreht, dass die Hausfrau, die sich auf Bügelbrett konzentriert, die Handlung ohne hinzusehen mitbekommt. Und selbst Rob Reiners "The story of us" wirkte wie die Bebilderung eines Hörspiels. Zugleich verliert der Betrachter seine Macht. Denn statt eines einmaligen Eindrucks wirkt ein Bild nur noch durch die Kategorie zu der es gehört. Horrorfilm, schwarzweiß - lustig.

In "Gods and Monsters" gelingt es Whale mit Boones Begleitung, die Macht über sein Leben zurückzugewinnen. Er entscheidet sich für den Tod. Zurückerobert ist auch die Macht über das Bild. Statt eines Abschiedsbriefes schenkt er Boone seine Originalskizze des Frankenstein. Auf der Rückseite steht "Friend?" Das Wort, das der wirkliche Frankenstein an der blinden Schäfer richtete. Nichts wird gesagt, aber dieser Moment zeigt so wie IanMcKellens Gesicht und "Gods and Monsters" selbst in ungewöhnlicher Fülle und Tiefe alles über einen außergewöhnlichen Mann.