Frankreich: Ausgedehnte Sozialproteste

Seite 3: Kleingruppengewalt von politischen Abenteurern

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Am 1. Mai dieses Jahres wurde dies auf der Pariser Demonstration zum internationalen Arbeitertag deutlicher denn je. Zwar hätte man zunächst als Erfolg verbuchen können, dass der sich vor die Gewerkschaftsvorstände und ihren offiziellen Spitzenblock setzende Demo-Teil - seit Frühjahr 2016 offiziell als cortège de tête (Demoblock am Kopf) bezeichnet - größer denn je ausfiel.

Die Polizeipräfektur schätzte ihn offiziell auf 14.500 Personen an jenem Tag, und die dahinter laufende Gewerkschaftsdemo auf 20.000. (Die CGT sprach für letztere von 55.000, was ziemlich übertrieben schien.)

Das ist zwar insofern grundsätzlich positiv, als viele Menschen, die der Kontrolle durch etablierte politische und gewerkschaftliche Apparate zu entgehen versuchen, unter ihnen auch viele empörte oder sich radikalisierende junge Gewerkschafter/innen, ebenfalls in diesen "Spitzenblöcken" laufen.

Doch die Schattenseite zeigte sich ebenfalls sehr schnell, denn in den Reihen dieser Demo vor der Demo (in welche der gewerkschaftliche Ordnerdienst nicht hinreicht, zum Guten wie zum Schlechten) agierten vermummte und behelmte Kleingruppen, und dies keineswegs nur zum Guten. Deren Anzahl wiederum wurde durch die Polizeipräfektur schnell auf "1.200" beziffert.

Entkoppelte Gewalt

Die weitgehend von politisch definierten Zielsetzungen entkoppelte Gewalt, einmal entfesselt, richtete sich auf Bau- und Personenkraftzeuge, die in Brand gesteckt wurden; aber auch ein McDonalds-Restaurant in der Nähe des Austerlitz-Bahnhofs wurde angezündet.

Die Gewalt zeigte dabei ihre, pardon - aber nennen wir die Dinge beim Namen - asoziale Seite, denn darüber liegen Wohnungen, um die die Akteure sich offensichtlich unbekümmert zeigten. Die Gewalt ging an jenem Tag tatsächlich nicht zuerst von der Polizei aus.

Diese wartete vielmehr zunächst 45 Minuten lang in Ruhe ab, bis die - für gesamtgesellschaftliche Legitimation des Polizeieinsatzes günstigen - Fernsehbilder produziert waren, und griff erst danach ein. Dies sorgte für einige Polemiken und Unterstellungen, wonach etwa Provokateure aktiv gewesen sein sollen oder auch - wie der Linkssozialdemokrat Jean-Luc Mélenchon behauptete, bevor er es öffentlich zurücknahm -, dass "rechtsextreme Banden" marodiert hätten und nicht Demo-Teilnehmer. Die Wirklichkeit war jedoch eine andere.

Inzwischen gibt es auch aus dem linksradikal-antiautoritären Lager eine dezidierte, scharfe Selbstkritik an dem Vorgehen von Kleingruppen an diesem 1. Mai, das als "autoritär" gegenüber den übrigen Protestierenden und Demo-Teilnehmern charakterisiert und mit dem Agieren von Hooligans verglichen wird.

Wahllose Verhaftungen

Nachdem sie eine Weile lang - von Seiten der politischen Einsatzleitung: taktisch motiviert - abwartete und zusah, griff die Polizei dann doch noch ein, umkesselte rund 200 Menschen und nahm rund 150 fest. Angeblich, so verlautbarte die Polizeipräfektur zunächst, handele es sich dabei um den "harten Kern".

In Wirklichkeit wurden, man ist versucht zu schreiben: "natürlich", nicht die unmittelbaren Urheber von tatsächlich problematischen Aktionen festgenommen, sondern vielmehr wahllos alle, die sich zur falschen Zeit in der falschen Zone befanden.

Zu ihnen zählten auch "gewaltferne" Menschen, die einfach der Demonstration von ihrem Ankunftsort her entgegenlaufen wollten, um sich unterwegs irgendwo einzureihen. Prozesse in diesem Zusammenhang haben bereits begonnen, die ersten drei endeten jedoch mit Freisprüchen respektive einer Geldstrafe in Höhe von 1.000 Euro. Ende Mai und Anfang Juni dieses Jahres folgt nun die nächste Welle von Prozessen in diesem Zusammenhang.