Frankreich: Ausgedehnte Sozialproteste

Seite 4: Die (links-)sozialdemokratische Vereinnahmung

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Die zweite Klippe ist jene der (links-)sozialdemokratischen Vereinnahmung. Vor allem, nachdem sich die linkssozialistische und in Teilen linksnationale Wahlplattform La France insoumise (abgekürzt LFI oder FI; ungefähr: "Das aufsässige Frankreich") von Jean-Luc Mélenchon im Zusammenhang mit der sehr erfolgreichen Demonstration vom Samstag, den 05. Mai, auf Profilsuche exponierte.

Diese fête à Macron (doppeldeutig; ungefähr übersetzt: "eine Party für Macron", aber eben auch: "Emmanuel Macron kann was erleben!") war ursprünglich durch ein Initiativentreffen am Abend des 4. April im Pariser Gewerkschaftshaus anberaumt worden.

Doch an jenem Samstag war die Wahlpartei LFI äußerst sichtbar präsent und verteilte Pappschilder mit Slogans und Sprüchen, die durch Teile des Publikums dankbar aufgegriffen und zur Demonstration mitgenommen wurden.

Dies erweckte den Eindruck, die Wahlplattform LFI sei in der Demonstration omnipräsent, was jedoch so nicht zutraf: Diese war heterogen zusammengesetzt, wobei jedoch die organisierte gewerkschaftliche Komponente relativ schwach ausfiel.

Der Protestzug zeigte durchaus einen Erfolg: Die Beteiligung dürfte laut Beobachtungen des Verfassers dieser Zeilen, an dem die Demonstration - an einer breiten Stelle - 120 Minuten lang vorbeizog, bei rund 60.000 bis 70.000 gelegen haben. Insgesamt war der Aufzug von guter Stimmung und viel fantasievollen Darbietungen gekennzeichnet.

Doch für böses Blut sorgte, dass die Führungsriege von LFI auf einem Bus neben den laufenden Demonstrationsteilnehmern herfuhr und Parteiboss Jean-Luc Mélenchon von dessen Empore herab die Teilnehmer mit Reden zudeckte. Dies generierte heftige Kritik - man mache nicht eine "Party", um einem modernen König einzuheizen, damit sich ein anderer wie ein Monarch aufführe, hieß es etwa.

Ein in der Linken zirkulierender Text dazu trug die Überschrift: "Steigt von Eurem Bus herunter!".

Auch waren Spannungen zwischen Mélenchon einerseits und François Ruffin andererseits bereits vor Ort zu verzeichnen. Letzterer ist einerseits selbst Abgeordneter für LFI in der Nationalversammlung, zählte andererseits jedoch zu den überwiegend aus Basisbewegungen kommenden Initiatoren der Demonstration. Dies wurde von bürgerlichen Medien begierig aufgegriffen.

Nur wenn die Protestbewegung sich weder in die partei- und staatsfromme Basis einer neuen Sozialdemokratie (unter Mélenchon) verwandelt noch in Abenteurertum und Kleingruppengewalt im Zeichen einer vermeintlichen "Radikalisierung" verfällt, wird sie auf Dauer Erfolg haben können.